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Luzern entdeckt die Modernen

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Im Vorjahr hatte es der . künstlerische Leiter der Internationalen Musikfestwochen Luzern leicht, ein Konzept für sein Festival vorzulegen. Das Beethoven-Jahr bot willkommenen Anlaß, die neun Symphonien des Meisters aufzuführen. Heuer hatte es Rudolf Baumgartner, der auch Direktor des Luzerner Konservatoriums und Dirigent der Festival Strings Lucerpe ist, viel schwerer. Er wählte als Motto „Weg von Mitteleuropa, weg von der deutschen Klassik und Romantik“. Doch muß man das ‘Programm der 25tägigen Veranstaltungsreihe schon recht genau unter die Lupe nehmen, um Ansätze zur Verwirklichung dieses Konzepts zu entdecken.

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Im Vorjahr hatte es der . künstlerische Leiter der Internationalen Musikfestwochen Luzern leicht, ein Konzept für sein Festival vorzulegen. Das Beethoven-Jahr bot willkommenen Anlaß, die neun Symphonien des Meisters aufzuführen. Heuer hatte es Rudolf Baumgartner, der auch Direktor des Luzerner Konservatoriums und Dirigent der Festival Strings Lucerpe ist, viel schwerer. Er wählte als Motto „Weg von Mitteleuropa, weg von der deutschen Klassik und Romantik“. Doch muß man das ‘Programm der 25tägigen Veranstaltungsreihe schon recht genau unter die Lupe nehmen, um Ansätze zur Verwirklichung dieses Konzepts zu entdecken.

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Das heurige Programm der IMF Luzern umfaßte insgesamt 24 Konzerte und acht Aufführungen von Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“. Das Schwergewicht lag bei den elf Orchesterkonzerten. Die ersten vier bestritt das alljährlich neu zusammengestellte Schweizerische Festspielorchester. Im Eröffnungskonzert dirigierte Paul Klecki die Zweite, die „Auferstehungs- Symphonie“, von Mahler, mit den Solisten Stefania Woytowicz (Sopran) und Brigitte Fassbänder (Alt). Klecki interpretierte das 85-Minu- ten-Werk, an dem der „letzte Symphoniker“ fast sieben Jahre gearbeitet und in dem er die Frage nach dem Sinn von Leben und Tod gestellt hatte, weniger dramatisch gerafft als episch ausgebreitet. Trotzdem waren Erfolg und Echo groß. Auch Hans Schmidt-Isserstedt hielt sich im zweiten Konzert nicht an das Motto; er dirigierte die A-Dur- Symphonie (KV 201) von Mozart, die Mozart-Variationen (op. 132) von Reger, Strąussens „Till Eulenspiegel“ und — als Höhepunkt des ansonsten konventionellen Programms — das Violinkonzert von Berg (mit Josef Suk als Solist).

Im dritten Orchesterkonzert kam Karei Ančerl den Intentionen Baumgartners mit der Interpretation von Smetanas „Tabor“, Dvoräks Cellokonzert (Solistin: Zara Nelsova) und Janäöeks „Sinfonietta“ schon näher. Das vierte Konzert brachte unter Dean Dixons Leitung neben Werken von Liszt, Mendelssohn und Franck die 1948 von Bruno Walter urauf geführten „Variationen, Chaconne und Finale“ des 1913 geborenen Amerikaners Norman Delio Joio.

Im fünften Konzert erlebte „Utrenja“ von Penderecki, interpretiert vom Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester (WDR), dem Kölner Rundfunkchor, den Chören des Norddeutschen Rundfunks und dem Tölzer Knabenchor unter der Gesamtleitung von Zdenek Macai, die bejubelte Schweizer Erstaufführung. Im sechsten Konzert spielten die Kölner unter Mario Rossi neben der „Rheinischen“ von Schumann Raritäten von Ravel („Shėhėrazade“) und Busoni („Turandot“-Suite).

Das siebente und achte Orchesterkonzert war den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajans Stabführung Vorbehalten; die Aufführung der Achten von Bruckner, der Ersten von Bahms und der Dritten („Liturgique“) von Honegger wurde mit stürmischer Begeisterung aufgenommen.

Das neunte Konzert bedeutete für das Israel Philharmonie Orchestra das Schweizer Debüt. Der wiederhergestellte Chefdirigent Zubin Mehta setzte sich nicht nur für Mozarts „Prager Symphonie“ (KV 504), Mendelssohns Violinkonzert (mit dem 23 jährigen Pinchas Zukerman als brillantem Solisten) und Bartöks Ballett-Suite „Der wunderbare Mandarin“ ein, sondern auch für eine mehr durch ihre Zehnminutenkürze als die überladene Instrumentation für sich einnehmende symphonische Dichtung „Qumran“ des 35jährigen israelischen Komponisten Ami Ma- ayani.

Das zehnte, wiederum vom Israel Philharmonie Orchestra getragene Konzret stellte unter Istvan Kertesz neben Beethovens fünftes Klavierkonzert (Solist: der 26jährige Rumäne Radu Lupu) und Dvoräks Siebenter gleichfalls eine israelische Komposition vor: „Dance and Invocation“ des 74jährigen Paul Ben-Haim. Das letzte Konzert, in dem das israelische Orchester unter Josef Krips Schuberts Siebente und das zweite Violinkonzert von Bartök (mit Yehudi Menuhin als Solisten) spielte, konnte der Referent wegen anderweitiger Verpflichtungen leider nicht mehr hören.

Von den übrigen 13 Konzerten sind besonders erwähnenswert: der vielbejubelte Abend, an dem Dietrich Fischer-Dieskau, begleitet von Irwin Gage, ausschließlich Lieder nach Gedichten von Goethe (von zwölf Komponisten) interpretierte; das Konzert des Londoner Amadeus- Quartetts (mit Werken von Mozart, Schubert und Britten); die traditionellen zwei Serenaden beim Löwendenkmal. Viel Beifall ernteten auch die „Menestrels“, das sechsköpfige, von Maria-Thėrese Escribano angeführte Wiener Ensemble für alte Musik; sie erzählten, sangen, spielten und tanzten (wie schon ein paarmal in Wien und anderswo) die aus dem 13. Jahrhundert stammende Chantefable „Aucassin et Nicolete“, daß es eine rechte Freude war. Besondere Beachtung verdiente auch ein Chorkonzert mit alter Musik (Werke von Machaut, den beiden Gabrieli, Monteverdi und Purcell).

Etwas für Spezialisten war der Abend von Yehudi Menuhin (Violine), Ravi Shankar (Sitar) und Alla Raka (Tabla), die sich für indische Musik einsetzten. Allgemeine Enttäuschung erregten die (heuer zum zweitenmal veranstalteten) „Perspektiven“, in deren ermüdendem Verlauf „Aroura“, ein Zehnminutenwerk des in Frankreich lebenden griechischen Komponisten und Architekten Iannis Xenakis, uraufge- führt wurde. Ergänzend seien noch kurz erwähnt: die zwei Klavierabende (Andor Földes und Vladimir Ashkenasy), das traditionelle Konzert „Junge Künstler“ (Okko Kamu dirigierte das Orchestra della Radio Svizzera Italiana), der Abend des Beaux-Arts-Klaviertrios und ein Kammerorchesterkonzert mit gemischtem Programm (von Vivaldi bis Serodci). Was das Budget der IMF Luzern betrifft, so werden ungefähr zwei Drittel der Ausgaben eingespielt; das verbleibende Defizit wird zu etwa gleichen Teüen von der öffentlichen Hand und von privaten Mäzenen (!) gedeckt.

An den diesjährigen Meisterkursen nahmen 92 Musiker aus 18 Ländern teil.

Sehr beachtlich war auch die im Kunsthaus Luzern vom Basler Museum für Völkerkunde veranstaltete Ausstellung mit dem Titel „Klangzauber“, in der rund 450 Objekte zur Schallerzeugung, zum Großteil von Naturvölkern, gezeigt wurden.

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