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Im Zeichen Strawinskys

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Was beispielsweise auf dem Konzertsektor der Salzburger Festspiele bisher nicht verwirklicht werden konnte, das realisierte der künstlerische Direktor der Internationalen Musikfestwochen (IMF) Luzern heuer in überzeugender Weise: einen konsequenten Leitgedanken bei der Programmgestaltung. Rudolf Baumgartner, der auch Direktor des Konservatoriums Luzern und Leiter der von ihm gegründeten Festival Strings Lucerne ist, präsentierte in 25 Konzerten nicht weniger als 21 (!) Werke von Igor Strawinsky. Eigentlich waren die IMF 1972 als großangelegte Hommage zum 90. Geburtstag des Komponisten geplant worden. Da der Meister im Vorjahr starb, wurde daraus ein anschaulicher Gedenkzyklus, bei dem neben den bekanntesten Kompositionen auch seltener aufgeführte erklangen.

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Was beispielsweise auf dem Konzertsektor der Salzburger Festspiele bisher nicht verwirklicht werden konnte, das realisierte der künstlerische Direktor der Internationalen Musikfestwochen (IMF) Luzern heuer in überzeugender Weise: einen konsequenten Leitgedanken bei der Programmgestaltung. Rudolf Baumgartner, der auch Direktor des Konservatoriums Luzern und Leiter der von ihm gegründeten Festival Strings Lucerne ist, präsentierte in 25 Konzerten nicht weniger als 21 (!) Werke von Igor Strawinsky. Eigentlich waren die IMF 1972 als großangelegte Hommage zum 90. Geburtstag des Komponisten geplant worden. Da der Meister im Vorjahr starb, wurde daraus ein anschaulicher Gedenkzyklus, bei dem neben den bekanntesten Kompositionen auch seltener aufgeführte erklangen.

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Die Programme von nur acht der 25 IMF-Konzerte enthielten kein Werk von Strawinsky; das heißt also: bei mehr als zwei Drittel der diesjährigen Konzerte im (durch einen eleganten Foyer- und Garderobevorbau vorteilhaft umgestalteten) Kunst- und Kongreßhaus wurde das konservative Festwochenpublikum mit ein oder zwei Schöpfungen des Proteus der Musik des 20. Jahrhunderts konfrontiert. Trotzdem war der Kartenverkauf sehr gut und der Erfolg durchschlagend.

Dem Referenten war es heuer möglich, 18 der 25 IMF-Konzerte zu besuchen und zu begutachten. Manche Sternstunde war darunter. An erster Stelle ist die behutsam auf zwei Stunden ununterbrochener Aufführungsdauer gekürzte Wiedergabe von Händeis „Messias“ in der erst vor kurzem von Tobin zugänglich gemachten englischen Originalfassung zu nennen; dabei handelte es sich um eine überwiegend bodenständige Glanzleistung (in der barocken Jesuitenkirche), bei der neben hervorragenden Solisten (darunter dem in Wien bei der denkwürdigen Festwochenrekonstruktion von Monteverdis „Ulisse“ beteiligten Countertenor Paul Esswood) drei Luzerner Vokal-und Instrumentalensembles unter der umsichtigen Gesamtleitung des neuen Stadttheaterdirektors ergreifend zusammenwirkten.

Glanzvoll war auch die Interpretation von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ und von Schumanns „Vierter“ durch Herbert von Kara-jan und das Berliner Philharmonische Orchester, deren zweitägiges Gastspiel bereits Tradition in Luzern ist. Dagegen wirkte ihre Wiedergabe von Strawinskys „Symphonie in C“ und Mozarts Es-Dur-Symphonie (KV 543) etwas unterkühlt. Eine in Österreich bekannte Spitzenleistung war Hermann Preys Brahms-Abend (am Flügel: Karl Engel).

Als weitere Höhepunkte verdienen Erwähnung: der Bach-Orgelabend des Dupre-Schülers Josef Bucher (in der Matthäuskirche); das Konzert des für das verhinderte Janäcek-Quartett eingesprungenen Bartök-Quartetts, dessen Programm von Mozart und Schubert bis zu Bartök und Strawinsky reichte; eine ausgewogene und konzentrierte Aufführung der Psalmensymphonie (1930) von Strawinsky und der „Ersten“ von Mahler (mit dem vom Komponisten selbst eliminierten, erst kürzlich wiederentdeckten ,,Blumine“-Satz) durch Seiji Ozawa und das alljährlich neu formierte Schweizerische Festspielorchester, dem heuer wieder

— wie in den letzten Jahren — vier Konzerte anvertraut waren.

Als ambitionierter Einspringer (für Itzhak Perlman) erwies sich Salvatore Accardo bei der packenden Gestaltung des Soloparts von Strawinskys Violinkonzert in D-Dur (1931). Am selben Abend bewies das Concertgebouw-Orchester unter seinem Chefdirigenten Bernard Haitink mit der prächtigen Wiedergabe der „Siebenten“ in E-Dur, daß es neben einer großen Mahler- auch eine, bedeutende Bruckner-Tradition besitzt. Das Concertgebouworkest bestritt insgesamt drei Konzerte (das zweite unter Rafael Kubelik brachte unter anderem die einzige Uraufführung der IMF 1972, nämlich das konservative Klavierkonzert Nr. 6 op. 99 des in der Schweiz lebenden russichen Komponisten Alexander Tscherep-nin, das er 1965 im Alter von 66 Jahren schrieb und der Pianistin Mar-grit Weber widmete, die es auch aus der Taufe hob). In der traditionellen Serenade beeindruckte das Collegium

Musicum Zürich unter der präzisen Leitung Paul Sachers mit dem, diesem Schweizer Dirigenten und Anreger sowie Auftraggeber namhafter Komponisten von Strawinsky gewidmeten „Basler Konzert“ („Concerto in D“ von 1946) und Haydns A-Dur-Symphonie (Hob. 1/87). Der gelungene Celloabend von Pierre Fournier bot die Gelegenheit, seinen Sohn Jean Fonda, einen 35jährigen, wendigen Pianisten kennenzulernen.

Nicht vergessen werden dürfen die erfolgreichen Bemühungen des 32jährigen Nachwuchsdirigenten Marc Andreae, dem Enkel des auch in Österreich unvergessenen Volkmar Andreae, zusammen mit dem Rundfunkorchester der italienischen Schweiz einen Abend unter dem Motto „Junge Künstler“ zu gestalten. Dabei vermochten die rumänische Geigerin Miriam Fried und der japanische Schlagzeugvirtuose Stomu Yamash'ta mit selten aufgeführten Stücken zu reüssieren. Marc Andreae hatte zudem den unvollendeten symphonischen Erstling von Robert Schumann (in g-Moll, 1832/33 entstanden) einer geschickten Bearbeitung unterzogen.

Natürlich blieben Enttäuschungen auch nicht aus: vor allem waren die beiden Klaviermatineen jungen Pianisten anvertraut, die weder durch ihre Programmwahl noch durch ihre Vortragstechnik dem Motto „In memoriam Clara Haskil“ überzeugend entsprachen. Die seit wenigen Jahren unter dem Titel „Perspektiven“ in Luzern stattfindende Präsentation avantgardistischer Produktionen — heuer ein Stockhausen-Abend — verlief gleichfalls enttäuschend und zusätzlich in Monotonie. Das Japanische Rundfunkorchester Tokio unter seinem Chefdirigenten Iwaki demonstrierte schließlich, wie man Brahms und Strawinsky nicht aufführen darf; dieses NHK-Orchester setzte sich auch vergeblich im Verein mit einer jungen japanischen Pianistin für das Klavierkonzert eines Landsmannes ein, das eine gräßliche Mischung westlicher Sentimentalität und fernöstlicher Einförmigkeit darstellt) Am besten zu schweigen ist schließlich über das Recital des 85jährigen Pianisten Arthur Rubinstein.

Fazit der dreieeinhalb IMF-Wochen Luzern: viele Höhepunkte und Glanzlichter, eine hervorragende Programmidee und einige Schönheitsfehler.

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