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Vom II. Internationalen Musikfest

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In drei großen, repräsentativen Orchester- konzerten hörten wir im Laufe der vergangenen Woche je ein Werk von acht zeitgenössischen Komponisten. Drei von ihnen gehören der älteren Generation an (Bartök, Strawinsky und Prokofieff), zwei der mittleren (Krenek und Petrassi) und drei der jüngeren (Uhl, Britten und Einem). Überblickt man die aufgeführte Werkreihe, so läßt sich eine gewisse folgerichtige Entwicklung ablesen, die uns in der Annahme bestärkt, daß die zeitgenössische Musik immer mehr aus dem Stadium des Experiments heraustritt und in das einer gewissen Konsolidierung gelangt ist. Eine Komposition, die IV. Symphonie von Krenek, fällt hiebei aus dem Rühmen. Von ihr soll besonders die Rede sein.

Das älteste der zeitgenössischen Werke war Strawinskys Suite „Der Feuervogel”, 1910 durch die Tanzgruppe Diaghi- lew in Paris uraufgeführt und 1919 vom Komponisten für den Konzertsaal bearbeitet. Die Ahnen dieser Musik sind unschwer festzustellen. Sie heißen Mussorgsky, Rimsky- Korsakow uni Debussy, Das Neue daran ist die sehr frei gehandhabte Form, die zum Teil durch das Ballett bedingte Überbetonung des rhythmischen Elements und die leuchtend- grellen Orchesterfarben. In Prokofieffs III. Klavierkonzert, 1917—21 entstanden, spüren wir, neben dem Einfluß der genannten Meister, vor allem den Strawinskys: dessen Rhythmus und Motorik, dessen energisch - kurzatmige Motive und dessen Orchesterpalette. Ohne daß dieses brillante und wirkungssichere Werk spezifisch russischen Charakter trüge, klingt allerlei Folkloristisches durch — filtriert durch den Kunstverstand und das kühle Temperament eines eher westlich orientierten Meisters. Belu Bartök, 1881 geboren und der älteste in dieser Reihe, kommt ganz von der ungarischen Folklore her. Er hat eine der modernen europäischen Musikbewegung entsprechende, aber von dieser fast unbeeinflußte, eigenständige Entwicklung durchgemacht. Das „Concerto für Orchester”, 1943 in Amerika geschrieben, ist Bartöks letztes großes Orchesterwerk. Wir haben es im Laufe dieser Konzertspielzeit gehört und konnten damals feststellen, daß Bartöks Concerto eigentlich eine Symphonie ist, die entwicklungsgeschichtlich bereits diesseits der „neuen Sachlichkeit” steht und unverkennbare autobiographische Züge trägt, also in gewissem Sinne eine Rückwendung zum Gefühlsgehalt der klassisch-romantischen Bekenntnissymphonie bedeutet.

Eine Überraschung, wie gewöhnlich bei Krenek — aber diesmal leider eine unangenehme —, war die Erstaufführung der IV. Symphonie des in Amerika lebenden Komponisten. Nur wer vorher Kreneks VII. Streichquartett und seine letzte Violin- sonate gehört hatte, war auf dieses klanglich und harmonisch äußerst widerborstige Werk einigermaßen vorbereitet. In einer Analyse seiner Symphonie spricht der Komponist von dem Hauptthema des ersten Satzes, das zunächst „einigermaßen unbestimmt formuliert” sei, von einem anderen Motiv, das „nebelhaftes Tasten auszudrücken versucht”, und von den „grimmigen Dissonanzen” des Finales. Soweit stimmen wir mit dem Komponisten überein, bemühen uns aber vergeblich, beim Anhören des Werkes dessen Gefühlsablauf zu folgen. Auch den „tragischen Höhepunkt” vermag auch der gutwilligste Hörer nicht mitzuerleben, sondern ist eher versucht, in diesem Werk einen tragischen Irrtum des begabten Komponisten zu sehen, einen Irrweg, den Krenek sicher bald wieder verlassen wird, um uns Schöneres, Verständlicheres — und Musikalischeres zu schenken. In dem Adagioteil mit seinen gedämpften Wozzek-Klängen glauben wir bereits Ansätze zu Neuem zu gewahren. — Eine Reihe gefälliger Musikstücke ohne besonderen Eigenwert hat Godfredo Petrassi aus seinem Ballett „Don Quichote” zu einer Orchestersuite zusammengestellt. Die einzelnen Nummern sind gut instrumentiert, vermögen aber weder rhythmisch noch melodisch zu fesseln.

Alfred Uhls „Konzertante Symphonie für Soloklarinelle und Orchester” liegt, wie bereits der Titel andeutet, auf der Linie einer Synthese zwischen klassischer Symphonieform und moderner Spielmusik. Sehr schön sind dem Komponisten die beiden Ecksätze gelungen: ein Sonatensatz mit einer brillanten und geistvollen Kadenz sowie das spritzige Rondofinale. Der mittlere Teil, auch wenn man ihn als Ballade interpretiert, ist formal doch ein wenig zu improvisatorisch geraten. — Die „Sinfonia da Requiem” des erfolgreichen jungen englischen Opernkomponisten Benjamin Britten entsprach nicht ganz den Erwartungen; eine dünne Substanz, weite monotone Strecken und ein unverbindliches Spiel mit Klängen, Farben und Stilelementen in einem Werk, dessen einzelne Teile die sehr verbindlichen Titel führen: Lacrymosa — Dies irae — Requiem aeternam. Straffere Form, enge thematische Verknüpfung und eine sehr sichere Hand, die von einem zugleich kühlen und leidenschaftlichen Kopf gelenkt wird, zeigt Gottfried von Einems „O rche&termusi k N r. 1”. Rhythmische Prägnanz, große Flächen und eindeutigklare Farben zeichnen das Werk aus. Die angehängte Coda freilich will weder in ihrer Melodik noch im Stil zum ernsten Charakter der Komposition passen und sollte entweder abgeschnitten oder verlängert und etwas gewichtiger gestaltet werden. Gottfried von Einem, 1918 geboren und der jüngste in der Reihe, steht dem klassischen Formwillen am nächsten.

Die Buckpester Philharmoniker unter Janos Ferencsik spielten temperamentvoll und be- gleiteteten aufmerksam die Werke von Uhl (Soloklarinette: Franz Hernad, Budapest), Bartök und das Klavierkonzert d-moll von Mozart (Solistin: Annie Fischer, Budapest). Karl Böhm führte unbedingt sicher und zuverlässig die Wiener Symphoniker durch das Tomgestrüpp und über die Steinhalden von Kreneks IV. Symphonie und brachte, mit genauer Partiturbeherrschung und Temperament, die Werke von Einem, Petrassi und Strawinsky. Das fünfte Orchesterkonzert mit den Kompositionen von Britten, Prokofieff und Brahms III. Symphonie dirigierte Sir Adrian Boult. Es spielten die Wiener Symphoniker, der Solist des Prokofieff-Konzertes war Friedrich Gulda, der seinen Part mit vollkommener Sicherheit und ganz im neusachlichen Stil des Komponisten herunterspielte: eine technisch und gedächtnismäßig bewundernswürdige Leistung des jungen Musikers.

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