6615474-1955_28_11.jpg
Digital In Arbeit

Neue Werke beim Internationalen Musikfest

Werbung
Werbung
Werbung

-Die Konzerte der letzten Wochen des Internationalen Musikfestes waren ausschließlich neuer und neuester Musik gewidmet. Andre Cluytens dirigierte Ballettmusik. Vier Episoden aus dem 1940 ur-aufgeführten Ballett „Prinzessin Turandot“ von Gottfried von Einem zeigen bereits jene Qua-* litäten, durch die man von allem Anfang an auf diesen Komponisten aufmerksam wurde und die auch seine vorläufig letzten Arbeiten charakterisieren: Klangphantasie, rhythmische Prägnanz und gestischen Ausdruck. — Die II. Orchestersuite aus ,,Bachus et Ariane“ von Albert Roussel ist ein gehaltvolles und virtuoses Werk, in dem sich Impressionistisches ru festen, imposanten Formen verdichtet, die der Komponist mit großer Kraft und vollendeter Eleganz zu bewegen versteht. Daneben wirkte Emmanuel Bondevilles Poeme symphonique „Gaultier Garguille“, das Porträt eines französischen Schauspielers mit Rabelais-Zügen aus dem 16. Jahrhundert recht matt. — Andre Cluytens hat diese Werke mit dem überanstrengten Orchester der Wiener Symphoniker klangprächtig, präzise und isit federnder Rhythmik interpretiert. S t r a w i n-skys „F e u e r v g e 1“ litt durch die übersteigerten Tempi.

Ein Konzert des Kammerorchesters unter Paul S trau ss fiel positiv durch das interessante Programm und negativ durch unzureichende Vorbereitung auf. Das „Co n c er t o grosso Nr. 1“ von Ernest B1 o c h ist eines jener vielen Stücke „im alten Stil“, die, in Anlehnung an Bach oder Händel, solid gearbeitet sind, gut klingen, aber keinerlei Eindruck hinterlassen. — Boris Blachers „Konzert füi Streichorchester“ aus dem Jahre 1942 wirkt, verglichen mit späteren Arbeiten des Komponisten, recht zahm und ein wenig unpersönlich. Die bereits erwähnte mangelhafte Interpretation ermöglicht kein verbindliches Werturteil über das Werk. — Als wirklichen Gewinn buchen wir dagegen die Wiederbegegnung mit der seit vielen Jahren verschollenen „Orchesteriiiusilt mit Klavier“ aus dem Jahre 1935 von Rudolf Wagner-Regeny (Solist: Hanns Kann). Zur Charakteristik der vier meisterhaft geformten knappen Sätze mögen die Vortragsanweisungen des Komponisten dienen: Heftig gehämmert, einfach-Zart, freimütig-frisch-anmutig und bewegt. Besonders reizvoll sind die Anklänge an die südöstliche Folklore in den bewegten Sätzen (Wagner-Regeny stammt aus Siebenbürgen) und an Altdeutsches im gesanglichen Mittelteil. — Hätten wir Honeggeis meisterhafte „Symphonie für Streichorchester“ von 1941 (mit dem von der Solotrompete geblasenen Choral im letzten Satz) zum erstenmal in diesem Konzert gehört, so könnte man meinen, daß es sich um ein farbloses, wenig geglücktes Opus handelt...

Zwei neue Werke brachte auch der Wiener Kammerchor unter seinem Dirigenten Hans Gillesberge r. Anton H e i 11 e r variiert in seiner achtstimmigen Choralmotette über Text und Weise von Michael Franck (1652) achtmal das Thema „Ach wie nichtig, ach wie flüchtig“ in streng polyphonem, aber äußerst farbigem und expressivem Stil. Fast lautmalerisch-programmusikalisch wird des Menschen Leben mit Nebel und Strom verglichen,wird die Vergänglichkeit der irdischen Schätze und der Schönheit geschildert: „Das muß fallen und vergehen. Wer Gott fürcht't, wird ewig stehen“, so klingt das ungewöhnlich schwierige Werk machtvoll aus. — Drei im Gefängnis geschriebene Gebete und Anrufungen hat Luigi Dallapiccola seinen „C a n t i di prigionia“ zugrunde gelegt: ein Gebet der Maria Stuart, einige Zeilen aus dem „Trost der Philosophie“ des Boethius und Savonarolas Meditation über den Psalm „In te Domine speravi“. Die ausdrucksvoll-ernsten Gesänge des Chores werden von einem eigenartigen Ensemble (zwei Klaviere, zwei Harfen, sechsfach besetztes Schlagwerk und Röhrenglocken) begleitet.

Am gleichen Abend dirigierte Otto Klemperer im Großen Musikvereinssaal (gewissermaßen im Zeichen der Programm-Coordination) die Jupiter-Symphonie von Mozart und Gustav Mahlers Vierte (Sopransolo Therese Stich-Randall, Wiener Symphoniker).

Wieviel, von einer mustergültigen Interpretation abhängt, bewies Nino S a n z o g n o, dessen Pro-giamm drei der schwierigsten Werke dieses Musikfestes enthielt. Wir hörten die Uraufführung der Neufassung von Karl Amadeus Hartmanns 1. Symphonie für eine Altstimme und großes Orchester. „Elend“, „Frühling“, „Tränen“ und „Bitte“ heißen die vier Gedichte Walt Whitmans, die als Mittelteil einen breitangelegten Variationensatz umschließen. Das bedeutende Werk fesselt durch den dichten, düsteren Stimmungsgehalt und eine geradezu unbändige Klangphantasie. Der Titel „Symphonisches Fragment“ scheint uns freilich angemessener. — Mario Peragallos.,Konzerte für Violine und Orchester“ wurde im vergangenen Jahr in Rom mit dem Preis „Meisterwerk des 20. Jahrhunderts“ ausgezeichnet. Meisterlich ist hier in der Tat alles: die spielerische und überlegene Handhabung der Zwölftontechnik, der virtuose und gehaltvolle Solopart und die farbige, jederzeit durchsichtige Orchestrierung. Als Solist zeichnete sich Andre Gertler aus, während Hildegard Rössel-Majdan den expressiven Klagegesängen Hartmanns ihre schön-timbrierte Altstimme lieh. — Meisterschaft ist auch das Signum der Symphonie Nr. 6 von Johann Ncpomuk David, die der Wiener Konzerthausgesellschaft gewidmet ist und durch die Wiener Symphoniker unter Sanzogno uraufgeführt wurde. Das monothematische Werk beginnt mit einem knappen, kraftvollen Allegro-Prolog, dem ein monologisches Adagio religioso folgt. Daran schließt sich ein „Wiener Walzer“ und an diesen eine Tiipelfuge mit dem Charakter eines Perpetuum mobile. Nun,' Ravel und Schostakowitsch, der Franzose und der Russe, haben den Walzerton natürlicher getroffen als der gelehrte österreichische Kontrapunktiker, dem dafür der letzte Satz um so besser gelungen ist. Jedenfalls zeigt diese Symphonie David auf neuen Wegen: zu einem einfacheren und beschwingteren Stil. 1

Mit einer konzertanten Aufführung von Debussys Oper „Pelleas et Melisande“ im überfüllten Großen Kouzerthaussaal erreichte das heurige Internationale Musikfest seinen Höhepunkt — und sein Ende. (Wir haben an dieser Stelle das Werk am 21. Mai in der Schallplattenrubrik eingehend besprochen.) Mitglieder der Pariser Oper verbanden sich mit Einheimischen zu einem hervorragenden Ensemble, die Symphoniker hatten sich in ein französisches Opernorchester verwandelt, das Andre Cluytens souverän und feinfühlig leitete. Ueber den gedämpften, in allen Farben leuchtenden Orchesterklang erhoben sich die Stimmen von Pierre Mollet und Janine Micheau, Bertrand Etcheverry und Frederick Guthrie, Rosette Anday. Laurence Dutoit und Ljubomir Pantscheff. — Gewiß, ein subtiles, ein etwas esotherisches Werk, das man nicht achtmal hintereinander spielen kann. Aber es gehört unbedingt ins Repertoire eines Opernhauses von Weltformat. Daher hoffen wir auf ein baldiges Wiederholen — und dann auch Wiedersehen! — im Großen Haus am Ring.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung