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Wieder Symphonie?

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Der Autor dieses Aufsatzes gehört tu den führenden Musikkritikern Amerikas Er lehrte von 1920 bis 1925 als Professor für Musik an der Harvard-Universität, ist der Verfasser zahlreicher Kompositionen und trat auch als Organist hervor. Von 1925 bis 1932 lebte er in Europa.

Es ist auffallend und für das zeitgenössische Musikschaffen charakteristisch, daß di Komponisten heute wieder Symphonien schreiben Die großen Meister und Wegbereiter der modernen Richtung taten es nicht. Weder Richard Strauß noch Debussy oder Ravel komponierten Symphonien im ursprünglichen Sinn. Auch Strawinskijs Opus Nr. I, die Symphonie in Es-Dur, wurde von seinen Anhängern lange Zeit lediglich als eine jugendliche Unbesonnenheit betrachtet. Die Schüler Cesar Franks — Vincent d'Indy, Ernest Chausson, Paul Dukas und

Albert Roussel — bedienten sich zwar wieder der symphonischen Form, doch waren sie noch verhältnismäßig konservativ. Jene Komponisten aber, die als wirkliche Schöpfer der modernen musikalischen Ausdrucksform gelten, hielten konsequent an einer von der Umwelt her beeinflußten Tonmalerei fest — die man als impressionistische Programmusik bezeichnen könnte — und vermieden jeden abstrakten Subjektivismus. Selbst Debussy, der im letzten Jahrzehnt seines Lebens die für unser Jahrhundert charakteristische Richtung des „Neo-klassizismus“ begründete, führte deren ästhetische Ziele — in seinen drei Sonaten — nicht weiter als bis zu einer rein formalen Wiederbelebung historischer Strukturen Der Subjektivismus — wie etwa der Beethovens — galt vor dem ersten Weltkrieg in fortschrittlichen Musikkreisen als eine un-

würdige und reaktionäre Quelle der Inspiration. Nach 1918 wurde aber die ganze, den modernen Richtungen aufgeschlossene Welt ein wenig reaktionärer und begann wieder auf die abstrakten Formen zurückzugreifen, in denen zwei Jahrhunderte hindurch musikalische Gedanken ausgedrückt worden waren. Zuerst kam die Fuge wieder zu Ehren und dann die Symphonie. Milhaud, Honegger, Hindemith und Prokofieff näherten sich ihr vorsichtig auf dem Umweg über das Konzert, das Streichquartett und die Sonaten. Ebenso verfuhren Strawinskij, Ravel und Schönberg. Die beiden letztgenannten schrieben allerdings kein einziges Orchesterwerk mit der Bezeichnung Symphonie, nur Strawinskij folgte seinen jüngeren Kollegen auf ihrem gefährlichen Weg.

Und heute ist es so weit, daß jeder Konservatoriumsschüler eine Symphonie komponiert.

Die Art und Weise, wie sich die zeitgenössischen Komponisten der symphonischen Form nähern, ist sehr unterschiedlich. Die Sowjetrussen zum Beispiel stellen sie in den Dienst unpersönlicher, weltanschaulicher Ziele; für die Mitteleuropäer ist die Symphonie eine Form der musikalischen Aussage; die Franzosen halten am Naturerlebnis, am Genrebild fest — wie es Debussy tat; die Amerikaner schließlich und jene Europäer, die in den Vereinigten Staaten heimisch geworden sind, wie Strawinskij, Milhaud, Hindemith, Kfenek und Tansman, folgen zumeist dem Vorbild der Wiener Klassik. Ähnlich verhält es sich mit den Eng-

ländem, ausgenommen jedoch Vaughan Williams, der als Schüler Ravels auch in einem impressionistisch anmutenden und zumindest an Mendelssohn erinnernden Verhältnis zur Landschaftsmalerei steht. Die Bezeichnungen der einzelnen Werke verraten bereits die Unterschiede. Während die amerikanischen Komponisten ihre Symphonien einfach fortlaufend numerieren, geben ihnen die Musiker das westeuropäischen Kulturkreises Namen. Honegger zum Beispiel nennt eine seiner Symphonien die „Liturgische“ und eine andere „Deliciae Basiiienses“; Manuel Rosenthal bezeichnet sein jüngstes Werk als „Weihnachtssymphonien“ und fügt jedem Satz eine genaue Inhaltsbeschreibung hinzu. Die Amerikaner — Antheil, Cowell, Copland, Piston, Schuman, Harris, Ives — warten nicht mit Erklärungen auf. Tun sie es dennoch einmal — etwa in einem Konzertprogrammheft —, dann höchstens, indem sie eine streng formale Analyse geben.

Im Laufe der letzen Jahre wurde in den Vereinigten Staaten eine Anzahl beachtenswerter neuer Symphonien aufgeführt: vor allem Honeggers Dritte (Deliciae Basiiienses), Antheils Fünfte, Rosenthals „Weihnachtssymphonien“ und Cowells Fünfte. Die Komposition Honeggers gibt das Bildnis einer Stadt wieder, ihren Anblick, ihre Geräusche und die Empfindung ihrer Bewohner. Das Werk Rosenthals ist schon formal kaum eine Symphonie zu nennen — deshalb auch der Plural im Titel —, sondern es ist eine Aneinanderreihung von Einzelbildern, außerordentlich lebhaft im Kolorit. Antheils Fünfte Symphonie ist zweifellos ein meisterhaft geschriebenes, kraftvolles und überaus lebensfähiges Werk, aber irgendwie

bedeutet es doch nur ein Festhalten an der klassischen Form der Symphonie, nicht mehr. Das gleiche gilt für die Kompositionen William Schumans, Harris' und Pistons, für Coplands Dritte und für die beiden letzten Symphonien Strawinskijs und Hindemiths. Die Fünfte Symphonie Cowells ist ein Vorstoß in Neuland, sowohl hinsichtlich der Form als auch des Ausdrucks. Sie strebt nach einer internationalen musikalischen Sprache, der nicht die Formeln des „Neo-klassizismus“ oder die Gesetze der Zwölftontechnik, sondern eine universale Anwendungsmöglichkeit primitiver und folkloristischer Elemente zugrunde liegt. Bezeichnenderweise unterscheidet sich diese Zielsetzung Cowells nicht wesentlich von der Bar-toks. Zweifellos will sie das symphonische Musikschaffen des „NeokLassizismus“ aus der Sackgasse herausführen, in die es heute mehr und mehr geraten zu sein scheint.

Die sogenannte „neoklassische“ Symphonie ist von allen zeitgenössischen Musikformen die am wenigsten erfolgreiche. Dagegen hat die auf „Landschafts- und Tonmalerei“ aufgebaute Symphonie mehr Erfolg. Sie ist jedoch keine Form, die man als zeitgenössisch bezeichnen könnte: sie liegt etwa in der Linie von Mendelssohns „Schottischer“ und Debussys „La Mer“. — Alle die genannten neuen Symphonien sind wertvolle Werke; kaum eine jedoch zeigt einen Weg zur Überwindung des gegenwärtigen Stillstandes. Das Beste wäre sicherlich eine Aktivierung der subjektiven lyrischen Elemente — doch wollte man 6ich in einem Zeitalter, das gerade durch ihren Mangel gekennzeichnet ist, auf dieselben verlassen, so hieße das gewissermaßen, seine Rechnung ohne den Wirt machen.

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