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Von der „Neunten” zur symphonischen Erzählung

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Ihre außergewöhnliche Beliebtheit beim großen Publikum verdankt Beethovens IX. Symphonie vor allem dem Chorfinale, welches der Meister nur zögernd den bereits vollendeten drei Teilen anfügte und dessen Umarbeitung er bis zuletzt erwog. Keinesfalls beabsichtigte er, mit diesem Satz einen Freibrief auf die Sprengung der instrumentalen Form der Symphonie aus- züstellen. (Wir hörten das große Werk unter Eugen Jochum in einer etwas unruhigen, nicht ganz überzeugenden Interpretation, deren Schwächen vor allem in einigen Leerläufen des Adagio zutage traten.)

Brahms und Bruckner machten von der revolutionären Neuerung Beethovens keinen Gebrauch und schufen zwar erweiterte, aber streftg gesetzmäßige und rein instrumentale Formen. Als ihr Vollender, ja als der Meister, dem die gewaltige Synthese von Brahms und Bruckner, bereichert um Straußsche Stilelemente, gelungen sei, wird gelegentlich und würde auch jetzt wieder anläßlich der Aufführung seiner II. Symphonie Franz Schmidt gepriesen. Solche Urteile beweisen, wie unsicher die Maßstäbe geworden sind Und wie gering das Gefühl für die richtigen Proportionen von Gehalt und Gestalt sowie für das Wesen der klassischromantischen Symphonie geworden ist. — Im’ Unterschied zu Schmidts meisterhafter IV. Symphonie ist in der zwischen 1911 und 1913 entstandenen Zweiten die symphonische Haltung aufgegeben und durch eine überdimensionale und mit großem Klangaufwand durchgeführte Variationenreihe ersetzt. .Vor allem aber ist es die bedenkenlose „musikan- tische” ‘ Stilvermischung, die mit ein Grund dafür ist, daß der Gesamteindruck ein zwiespältiger bleibt und sich auch andere Werke außerhalb der Heimat des Komponisten nicht durchzusetzen vermögen. (Anton Heiller war der Interpret der schwierigen Partitur, deren dichtes Gewebe er nicht immer ganz zu entwirren . vermochte.)

Im gleichen Konzert erklang Beet-, h ovens Violinkonzert, in welchem innerhalb der problematischen Gattung des. Instrumentalkonzerts eine wirklich „einmalige” S? nthese von Gehalt und Gestalt, Form und Virtuosität gelungen ist. Dieses Werk, nebst einigen wenigen anderen klassischen Konzerten, bleibt der untrügliche Maßstab für technisches Können, Musikalität und menschliche Reife des Solisten. (Daß der junge Geiger Gerhard Taschner vor allem das erstere erweisen würde, war zu erwarten.) Mit dem Beethoven-Konzert verglichen zeigt das Violinkonzert D-dur von Tschaikowsky eine bedenkliche Veräußerlichung des virtuosen Elements und einen wenig wählerischen Geschmack in bezug auf die-Melodik. (Den brillanten Solopart meisterte Willi Boskowsky nicht ohne Anstrengung, aber ohne Zwischenfall. Der Substanz des Werkes blieb er nichts schuldig.) —

Das Tschaikowsky-Konzert stand zwischen den erfolgsicheren, immer wieder applaudierten Streichen Till Eulenspiegels und dem fast ebenso effektvollen, im exotischen Schmuck seiner farbigen Federn prangenden „F e u e r v o g e 1” von Strawinsky.

Eines der ersten Werke Franz Schrekers heißt „Schwanengesang”, und wie ein Schwanenlied der Neuromantik mutet uns heute auch das klangschwelgerische, viel zu lange Vorspiel zu einem Drama, den „Gezeichneten”, an. (Alois Melichar hat ein gutes Gefühl für die flimmernden Farben und orgiastischen Steigerungen dieser Partitur und brachte das Werk seines Lehrers wirkungsvoll zur Geltung.) Im Mittelpunkt des Konzerts stand die symphonische Er Zahlung „Pete rund der Wolf” von Prokofieff. Der Komponist ist in diesem Werk bemüht, kindlich-einfach zu schreiben. Damit verleugnet er sein Bestes: seinen Geist und seine Originalität, und findet, wie die unbewegten Gesichter der kleinen Zuhörer bewiesen, auch keinen Zugang zu den Kinderherzen. Also ein Märchen für Erwachsene? Dann ist aber der Text zu anspruchslos, ein Text, mit dem Käthe Gold absolut nichts anzufangen wußte. Im zweiten Teil des Werkes schlägt einigemal der echte Prokofieff durch, und sofort wird alles farbig und; lebendig. Im ganzen aber bleibt ein unbefriedigender Eindruck, der vor allem durch das Mißverhältnis zwischen dem Stoff und dem aufgewendeten Klangapparat bedingt ist. Den Beschluß dieses 1. Studiokonzerts bildete ein formal konzises, in seiner Gesamthaltung und durch das peinliche Stilgemisch unerfreuliches Werk von Gottfried von Einem. In den Ecksätzen dieses „Concerto” aus dem Jahre 1943 werden Elemente des amerikanischen Jazz nicht assimiliert, sondern karikiert. Dazwischen steht ein romantisch-nachempfundenes Larghetto, welches gewisse Schönheiten aufweist, aber in dieser Umgebung nicht recht ernst genommen werden kann, wohl auch vom Komponisten nicht ganz seriös gemeint ist. Wozu das alles?

Was Form, Stil und Können ist, hinter denen eine gradlinige und verantwortungsvolle Künstlerpersönlichkeit steht, erlebte man beglückt und erfrischt in einem von Paul Hindemith geleiteten Kammerkonzert. Hier gab es weder romantische Klangräusche noch geistreiche Grimassen. Nach einer Reihe französischer Danserien und deutscher Chorlieder aus dem 16. Jahrhundert dirigierte Hindemith, als Wiener Erstaufführung, ‘ seine Ouvertüre „Amor und Psyche” und eine Suite aus dem im Vorjahr an der Staatsoper getanzten Ballett „Nobilissima Visione”. In diesen kurzen Sätzen ist mehr erreicht und erstrebt, als individuelle Aussage, nämlich ein auf festem Fundament ruhender, allgemeingültiger und verständlicher Zeitstil, den man mit der Bezeichnung „barockisierend” nicht einfach abtun kann. Hier ist jene Meisterschaft in der Beschränkung und jenes schöne Gleichgewicht zwischen Gehalt und Klanggestalt, die wir sonst nur klassischen Werken nachrühmen können.

Die ganze Reihe der besprochenen Konzerte wurde von den Wiener Symphonikern bestritten, die während der vergangenen Wochen die alleinigen Träger aller größeren konzertanten Veranstaltungen waren. Daß so schwierige und bunte Programme, oft bei kürzester Vorbereitungszeit, durchführbar waren, ohne daß das Niveau der einzelnen Konzerte merkbar gelitten hätte, ist dem Fleiß und der hohen Leistungsfähigkeit dieses Orchesters zu danken.

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