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Das Instrumentalkonzert - gestern und heute

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Der bekannte Musikschriftsteller Heinrich Strobel hat in seiher Hihdemith-Monographie (vielleicht in etwas zu düsteren Farben) die Sackgasse beschrieben, in die das Konzert als Gattung an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geraten war. Es diente entweder der Schaustellung des Vir-tuosentums und verlor dadurch seinen künstlerischen Wert; oder es wurde den emotionell-malerischen Absichten des Komponisten unterworfen und erhielt bekenntnishaft-subjektiven Charakter, wie die großen symphonischen Werke dieser Zeit. Aehnlich verhält es sich mit der kompositorisch-technischen Seite des Instrumentalkonzerts. Aufeinandergetürmte Klangmassen, breite Themendurchführungen und konflikthafte Zuspitzung — das sind in der Tat Dinge, die dem Wesen konzertanten Musizierens widersprechen. In der neuen, auf barocke Vorbilder zurückgehenden Konzertform, wie sie etwa die vier Instrumentalkonzerte von Hindemiths op. 36 repräsentieren, ist die auf- und absteigende symphonische Entwicklung dutch flächige Gliederung und Reihung ersetzt, Formteil steht neben Fotmteil auf gleicher Ebene, aus dem „Klanggeschehen“ wird ein Klangablauf, aus den Steigerungen werden Bewegungsformen.

Die vier Instrumentalkonzerte, die H i n d e m i t h 1924 bis 1927 schrieb (für Klavier und zwölf Soloinstrumente, für Cello und zehn Soloinstrumente, für Violine und Bratsche mit größerem Kammerorchester) zeigen, als Kompositionen, eine aufsteigende Linie. Nach dem technisch kniffligen, rhythmisch komplizierten, harmonisch spröden Klavierkonzert und dem vorwiegend heiter-lebhaften Cellokonzert folgt das innerlich erregte, klanglich überaus kühne und elektrisierende Violinkonzert. Größte Meisterschaft zeigt aber das Bratschenkonzert, das Hindemith zum eigenen Gebrauch schrieb und das er oft, gern und ausgezeichnet spielte. Dessen erster Satz darf wegen seiner formalen Vollendung, der Kraft des thematischen Einfalls und der absoluten Sicherheit seiner Diktion in die würdige Nachfolge der „Brändenburgischen“ eingereiht werden.

Dieser Abend der Musica-viva-Reihe war der ergiebigste und instruktivste. Anton H e i 11 e r leitete mit „absolutem“ Gefühl für den Stil dieser Musik ein Ensemble aus Mitgliedern des Kammerorchesters und des Staatsoperriorchesters. Von den Solisten (Erna Heiller, Maurice Gendron, Edith Bertschinger und Paul Angerer) verdient jeder im Hinblick auf die ungewöhnlichen technischen Schwierigkeiten der Soloparts und der hohen Anforderungen, die sie an die Musikalität der Spieler stellen, Sönderlob und einen Kranz. Doch: „Wer spricht von Siegen? Ueberstehen ist alles“ sagt Rilke. (Wir meinen ausdrücklich und ausschließlich die hervorragenden Solisten und nicht das Publikum, das sich glänzend unterhielt.) ' #

Daß es nicht auf das Genre, die Form und den Stil ankommt, erwies — nur wenige Tage später — die österreichische Erstaufführung des neuen Violinkonzertes von Frank Martin, das im Auftrage der Stiftung „Pro Helvetia“ geschrieben und zu Beginn des vorigen Jahres unter Paul Sacher zum erstenmal gespielt wurde. Die Form ist die traditionelle dreisätzige, auch hatte der Komponist die Absicht, „ein Konzert zu schreiben, welches tin Stück symphonischer Musik ist“; und auch der lyrisch-emotionelle Charakter des klassisch-romantischen Konzerts ist gewahrt. Aber wie eigenartig und original abgewandelt! Die Kadenz des ersten Satzes ist ein inhaltsschwerer Monolog, der spezifische Martirische Chrömatismus und Lyrismus gibt dem Andante seine besondere Note, und das Presto ist ein modernes Spiel- und Laufstück, das einige charakteristische Grundfiguren der „Petite Symphonie concertante“ zeigt, Im ganzen: ein nobles, meisterhaftes Werk, ein echter Martin. Wolfgang Schneiderhan, dem die Art und das Temperament dieses Komponisten nah verwandt sind, hat mit der Interpretation des Soloparts eine ausgezeichnete künstlerische Leistung vollbracht, die ihm nicht weniger Ruhm (wenn auch im Augenblick etwas weniger Beifall) einbringen wird, als die 33. Wiedergabe von Beethovens großem Violinkonzert. Die Gesellschaft der Musikfreunde, die mit diesem Konzett unter Joseph Keilberth den so erfolgreichen Zyklus „Die große Symphonie“ abgeschlossen hat, möge — nicht etwa durch den befriedigenden Erfolg, sondern durch den wirklichen Wert und die Schönheit dieses Werkes — dazu animiert werden, auch künftig nach ähnlichen Meisterwerken Ausschau zu halten. Helmut A. Fiechtner

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