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Dreimal Karl Böhm

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Es wurde ein festlicher Abend, als der neue Opernchef zum erstenmal ans Pult trat und „Elektra" dirigierte. Hier gelang dem Dirigenten — auf einem Gebiet, wo er Meister ist — eine vorbildlich klare und durchsichtige Wiedergabe dieser überaus schwierigen und „kompakten" Partitur sowie die notwendige Dämpfung des Riesenorchesters an allen jenen Stellen, da es die Singstimmen zu überfluten droht. Christi Goltz ist heute wahrscheinlich stimmlich und darstellerisch die beste und überzeugendste Interpretin dieser Rolle, die zu den anspruchsvollsten des gesamten Opernrepertoires gehört. Klassisches Format hatten auch Margarete Klose als Klytä- mnestra und Hilde Zadek als Chrysothemis. Oscar Czerwenka sang seine Partie sehr schön, blieb aber der tragikumwitterten Gestalt des Orest noch etwas schuldig. Um so bedauerlicher, daß diese wenig befriedigende Inszenierung und das unglückliche Bühnenbild nicht endlich gründlich revidiert wurden. Das Orchester hatte einen großen Tag, und der neue Operndirektor wurde demonstrativ gefeiert.

Kaum geringer war der Erfolg Dr. Böhms als Konzertdirigent mit den Wiener Symphonikern. Im Zyklus des Musikvereins „Die große Symphonie“ standen „Don Juan" von Richard Strauss, Strawinskys „Capriccio für Klavier und Orchester" (mit Helmut Roloff als Solisten) und die II. Symphonie von Brahms auf dem Programm des 5. Konzerts. Drei Werke von Beethoven (die 3. Leonoren-Ouvertüre, das Tripelkonzert mit dem Trio di Trieste und die VII. Symphonie) bildeten das Programm des 7. Konzerts im Zyklus „K lassische Musik" im Konzerthaus. Die überaus natürliche und elastische Art der Orchesterführung ermöglicht einen freien, niemals verkrampften Vortrag und läßt den Solisten die nötige Freiheit; die sichere und energische Hand gewährleistet den geschlossenen Gesamteindruck, den man von jedem der stilistisch so unterschiedlichen Werke empfängt. Eine gewisse Neigung zum „Dramatisieren" und zu dynamischen Effekten (wobei aus einem f oft ein ff wird und das Pianissimo zuweilen unter die Hörgrenze gedrängt wird) gehen wohl, ebenso wie die Virtuosität im Begleiten der Solisten, auf Konto des Opernkapellmeisters.

Der junge Rafael Kubelik, Sohn des berühmten Geigers, war nicht zum erstenmal in Wien, aber ein Neuling in den Philharmonischen Konzerten. Mit einem gefälligen national-tschechischen Programm, dem er als Ouvertüre Mozarts Prager Symphonie voranstellte, eroberte er sich die Gunst des philharmonischen Publikums, das in den wohlvertrauten Klängen „aus Böhmens Hain und Flur" schwelgte und für gehabten Genuß entsprechend herzlich und ungewöhnlich lautstark dankte. Smetanas „Moldau" und Dvoraks Fünfte dirigierte Rafael Kubelik genau so, wie man es von ihm erwartete, die Philharmoniker spielten so klangschön, wie sie nur konnten, und damit war der Erfolg gesichert. Der kritischere Hörer dankt dem jungen Dirigenten eine sehr intensive Wiedergabe des Doppelkonzertes für Streicher, Klavier und Pauken von Bohuslav Martinu, der dieses Werk unmittelbar nachdem er seine Heimat verlor und kurz bevor er die Alte Welt verließ, auf Bestellung Paul Sachers für das Basler Kammerorchester schrieb: ein ernstes und bewegendes Werk mit einem noblen Pathos.

Mit dem ad hoc zusammengestellten „P r o- Arte-Orchester” veranstaltete der junge Salzburger Dirigent Meinhard J. Winkler sein drittes Konzert. Neben einer Rarität, der klassizistischen Symphonie Nr. 2 von Muzio Clementi, gab es auch eine interessante Novität für Wien: die „M usik für sieben Saiteninstru mente" des 1915 gefallenen Rudi S t e p h a n t eine hochexpressive, ernste und schöne Musik, die, in chorischer Besetzung, auch einmal in einem größeren Saal vor zahlreicherem Publikum erklingen sollte. Hier wie bei der Begleitung von Alexander Jenner, der Beethovens 3. Klavierkonzert spielte, zeigte der junge Dirigent erfreuliche Fortschritte, die wir um so bereitwilliger registrieren, als er gewillt scheint, sein Talent auch an weniger Bekanntem zu erproben.

Das weitaus schwierigste Programm, mit drei zeitgenössischen Werken, im Zyklus „Musica viva"leitete der jüngste Dirigent, Michael Gielen. Nach Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1 folgte ein „Piccolo concerto"für Klavier und Kammerorchester (mit Edith Farnadi als Solistin) von Luigi Dallapiccola, das einen schwachen und zwiespältigen Eindruck machte. Für ein Kind geschrieben — aber für Kinder sowohl in der Ausführung als zum Hören viel zu kompliziert —, hat man auch als Erwachsener keine rechte Freude an dieser künstlichen Partitur, in der der Komponist pentatonische Motive und Reihentechnik miteinander zu verbinden sucht. Der Münchner Karl Amadeus Hartmann beschäftigt in seinem Konzert für Klavier aus dem Jahre 1952 acht Schlagwerker und etwa die doppelte Zahl Bläser. Hier ist eine persönliche, sehr eigenwillige Aussage, Kraft und Vitalität. Besonders der letzte Satz mit dem ein wenig ironisch klingenden Titel „Rondeau varlė II" wirkt wie ein musikalisches Elementarereignis, trotz der sich stereotyp wiederholenden „variablen Metren". Jedes der drei Werke stellt ah den Dirigenten und die Aus'führehden besondere Anförderungen, die zumindest im letzten Stück voll und ganz erfüllt wurden.

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