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Im Spiegel der Temperamente

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Wiederholt wurde an dieser Stelle ausgesprochen, daß der Maßstab einer reproduktiven künstlerischen Leistung in erster Linie das dargebotene Werk ist. Je mehr es dem Nachgestaltenden gelingt, den Gesamtstil und das Detail einer Komposition zu erfassen und je zwingender er diesen Eindruck auch dem Zuhörer zu vermitteln vermag, um so höher ist seine Leistung zu werten. Die Voraussetzung hiefür ist die einwandfreie Beherrschung alles Technischen. Die ideale Leistung kommt freilich erst dort zustande, wo eine gewisse — oft weitgehende — Ähnlichkeit oder Angleichung des Reproduzierenden an den T fms oder die Persönlichkeit des schaffenden Künstlers statthat: wenn etwa Furtwängler oder Backhaus Werke von Beethoven interpretieren, wenn Edwin Fischer Bach spielt oder Bruno Walter Mozart dirigiert. Mit Technik, „Werktreue” oder Routine Wörden nur achtbare, nie aber hinreißende künstlerische Leistungen erzielt.

In einem Orchesterkonzert der Konzerthausgesellschaft dirigierte Karl Böhm die Wiener Symphoniker. Das Konzert in D für Violine und Orchester von IgorStrawinsky, 1931 geschrieben, ist an sich schon ein etwas problematisches Werk. Nur eine sehr exakte Aufführung unter einem Dirigenten, der ein Gefühl für die besondere Note des späteren Stra- winsky besitzt, hätte das Werk vorteilhafter präsentieren können. Technisch und musikalisch ausgezeichnet war der Brüsseler Geiger ArthurGrumiaux, der sich aber gegen den spröden Part und den schwerfälligen Begleitapparat nicht recht durchzusetzen vermochte. — Bei der Interpretation von Bruckners V. S y m p h o n i e (in der Urfassung) ist die absolut sichere Beherrschung der Partitur, die Karl Böhm bis auf jeden kleinsten Einsatz seinem Gedächtnis eingeprägt hat, und die klare Darstellung der großen Formen anzuerkennen. Ebenso groß ist die Sicherheit Böhms bei der Führung des Orchesters. Das macht aber, wie eingangs gesagt, nur die eine Hälfte einer guten Aufführung aus.

Im 5. Orchesterkonzert der Konzerthausgesellschaft musizierten zwei Italiener mit den Symphonikern: Guido Cantelli dirigierte Verdis Ouvertüre zur „S i z i 1 i a- nischen Vesper”, und man staunte, was der Dirigent in der Partitur seines Landsmannes alles zum Klingen und Leuchten brachte. Die „Rhapsodie Espag- nol” — eines der bekanntesten, aber keineswegs das stärkste oder inspirierteste Werk von Ravel — wurde ganz von der tänzerischen Seite dargestellt, mit einer faszinierenden Schmiegsamkeit und Differenziertheit alles Rhythmischen und Klanglichen. Die an sich dünne Substanz löste sich fast ganz in Farben und Klanggebärden auf. — Nicht ohne Sorgen sah man bei dieser Art der Interpretation der letzten Nummer des Programms entgegen. Hinde- miths Symphonie „M athis der Maler”. Doch siehe da: diese Musik ist auch dem etwas robusten Zugriff das jungen Römers gewachsen, ja sie gewann in ihrem letzten Satz, der „Versuchung des heiligen Antonius” — der einige Konzessionen ans Theater und die Programmusik macht — durch das ekstatische Temperament des jungen Dirigenten. —-TschaikowskysKlavier- konzert b-moll habe ich noch nie so derbprotzig und sentimental gehört wie von Franco Mannino. Wer ein wenig Humor hatte, konnte auch an dieser Darbietung seine Freude haben. Die eine Seite Tschaikowskys, sozusagen sein Oberflächenaspekt, kam mit plakathafter Deutlichkeit zum Ausdruck.

Und dann, drei Tage später, ein Schritt in eine andere Welt: Adrian Aesch- b a c h e r und Wolfgang Schneide r- h a n spielten Violinsonaten von Händel, Schumann, Brahms und Hindemith. Zwei Solisten von ungefähr gleichem Rang, der eine mehr von Geist, Stil und Form des Werkes ausgehend, der andere — zunächst — von der Klanggestalt, dem schönen Geigenton inspiriert. Doch irgendwo, auf einer sehr hohen Ebene, finden sich die beiden Künstler in edel-vollkommenem Zusammenspiel. Daß die Sonate von Schumann ein wenig abfiel, lag nicht an den Ausführenden. Das musikalisch stärkste Werk des Abends, die d-moll-Sonate von Brahms, hinterließ auch in der Darbietung den tiefsten Eindruck. — So hört man nicht alle Tage musizieren.

Bei der Beurteilung des 2. Konzerts junger Solisten gilt zunächst die Einschränkung, daß alle vier Exekutanten noch mit der Technik und dem Lampenfieber zu kämpfen hatten. Das verhindert weitgehend die freie Entfaltung des Temperaments und — wo sie vorhanden ist — der Persönlichkeit der Ausführenden. Peter Schwarzl (Cellokonzert B-Dur von Boccherini) spielt vorläufig noch ohne Bravour und mit kleinem, etwas gepreßtem Ton. Der Solopart war gut studiert — mehr kann dem jungen Cellisten derzeit nicht bestätigt werden. — Grete Seher- z e r aus Klagenfurt spielte das d-moll-Kon- zert von Mozart. Sie ist noch ein halbes Kind, etwa 15- bis 16jährig, zeigt für ihr Alter eine erstaunliche Reife und Technik, rennt aber dem Orchester — ob aus Eigenwillen oder in der Aufregung, konnte ich nicht unterscheiden — bei jeder Gelegenheit davon. Als Gesamteindruck blieb: ein etwas nervöser Miniatur-Mozart. — Mit ihr verglichen, ist der junge Alfred Prinz schon ein kleiner Podiumlöwe an Sicherheit und Routine. Doch — war es physische Schwäche oder eine bei Prinz ungewohnte Zaghaftigkeit —: Debussys Erste Rhapsodie für Orchester und Soloklarinette geriet etwas schwach im Ton, sehr zart- farbig und differenziert, zuweilen etwas zerfasert. — Glazunow Violinkonzert a-moll ist nur von der virtuosen Seite zu packen und wirkt erst dann überzeugend. Die Grenzen von Eva Hitzkers Technik waren mit aller Deutlichkeit wahrzunehmen: sie genügten für die langsamen Sätze, wo sie zuweilen einen schönen, kantablen Ton entfalten konnte, versagten aber bei den raschen, die auch nicht ganz griff rein gerieten. Die besondere Begabung und Richtung ihres Talents ist noch nicht abzusehen.

Mit diesem Konzert haben sich Franz Litschauer und sein Kammerorchester einer ebenso „undankbaren” wie dankenswerten Aufgabe unterzogen. Denn: ist es für einen verantwortungsbewußten Orchesterleiter nicht schöner, jungen Künstlern eine Chance zu geben, als mit einem erfolgssicheren Alltagsprogramm billige Lorbeeren einzuheimsen?

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