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Virtuosen und Virtuosenkonzerte

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„Eindrücke, starke, ijinerlich tiefeingreifende Eindrücke zu wecken„ das aber ist die Aufgabe und gleichzeitig der Lohn des reproduzierenden Künstlers, der in seiner höchsten Vollendung dann dem Sinn des Wortes gemäß den Beinamen Virtuose erhalten darf.“ Virtuosus, der Tugendreiche: in'der Tat eine ehrenvolle und verpflichtende Bezeichnung! Worin diese Verpflichtung des Virtuosen, des ausübenden Künstlers im allgemeinen, besteht, ist in dem zitierten Wort Hans v. Bülows mit aller Deutlichkeit ausgesprochen: er soll mit Hilfe seiner Technik die Erlebniswerte des Kunstwerkes zur Geltung bringen, nicht aber mit und durch seine technischen Fertigkeiten brillieren wollen. Denn damit würde sich der Instrumentalsolist auf eine Stufe stellen mit den Akrobaten und Seiltänzern — was doch unmöglich der Ehrgeiz und die Bestimmung eines Künstlers sein kann.

Der Typus des Virtuosen, des Musikstars, wie er sich während der vergangenen Dezennien herausgebildet hat, existiert hute kaum mehr Doch trifft man immer noch auf Relikte dieser Un- kunst, auf Ansichten und Meinungen, auch in Musikerkreisen, die das Virtuosentum verteidigen Gibt man sich zum Beispiel darüber Rechenschaft, wie unkünstlerisch und egozentrisch es ist, ein| Komposition als „dankbar“, eine andere als „undankbar“ zü bezeichnen? Gemeint ist damit, daß ein Werk mehr, ein anderes weniger Gelegenheit bietet, mit technischen Fertigkeiten zu glänzen. Sollte 'es aber nicht vielmehr so sein, daß der ausübende Künstler dem Werk und seinem Schöpfer dankbar zu sein hat? Daß er es sich zur Ehre rechnet, Mittler und Sprachrohr des Schöpferischen sein zu dürfen? „Denn er ist der Durchgangspunkt für die künstlerische Idee“, schreibt Richard Wagner, „welche durch ihn erst zu einem realen Dasein gelangt. Die eigene Würde des Virtuosen beruht daher lediglich auf der Würde welche er der schaffenden Kunst zu erhalten weiß: vermag er mit dieser zu tändeln und zu spielen, so wirft er seine eigene Ehre fort. Dies fällt ihm allerdings leicht, sobald er jene Würde gar nicht begreift: ist er dann zwar nicht Künstler, so hat er doch Kunst- fertigkeiten zur Hand; sie wärmen nicht, aber sie glitzern, und bei Aben 1 nimmt sich das alles recht hübsch aus.“

Es soll anderereits nicht verkannt werden, daß erst hohe technische Vollendung die Vorbedingung für die vollendete künstlerische Wiedergabe des Gehaltes eines Werkes ist. Und die harte Arbeit, die Selbstzucht, die vom Künstler gefordert werden, um höchsten technischen Anforderungen zu entsprechen, sollen nicht nur nicht verkannt, sondern voll gewürdigt werden. Da aber erst beginnt echtes Künstler-tum. Und nur von diesem ist die Rede.

Es gibt nun aber auch eine Virtuosenmusik, für und zumeist auch von Virtuosen geschaffen. Da echte Kunst, ganz besonders aber die Musik, immer Ausdruck ist — mittelbarer oder unmittelbarer —, so ist Virtuosenmusik eine contradictio in se. EHe einschlägigen Konzertstücke und Vortragspiecen beweisen es zur Genüge. Zu Übungs- und Examenszwecken mögen sie notwendig sein. Daß sie immer noch, und zwar in recht großer Zahl, in den Konzertprogrammen' auftauchen, “wird von jedem ernsten Musiksr und Musikfreund als ein anscheinend unausrottbares Übel angesehen. Fast alle unsere großen Meister der Musik haben Konzerte geschrieben, in denen dem Solisten nicht nur „dankbare“, sondern vor allem auch künstlerisch lohnende Aufgaben gestellt sind. Wie sehr ist in diesen Werken — von Bach über Mozart, Beethoven und Brahms bis zu den Neuesten — alles Technische vergeistigt, mit Inhalt erfüllt: sinnvoll! Hier ist ein Betäti-gungs- und Bewährungsfeld, so groß und so weit, daß daneben die inhaltsleeren, speziellen „Virtuosenstücke“ sehr entbehrlich erscheinen.

Schon durch die Auswahl der Werke und die Zusammenstellung des Programms zeigt der ausübende Künstler, wes Geistes Kind er ist. Das Bekenntnis zu wertvoller Musik unter Ausschluß technischer • Spielstücke scheint uns — gerade auch bei jüngeren Musikern — wichtiger zu sein, als der Grad der technischen Vollendung, bis zu dem er es eben gebracht hat. Da hier nur von konzertreifen Gesamtleistungen gesprochen wird, ist der Einwand nicht stichhältig: es werde hiemit einem anspruchsvollen Dilettantismus das Wort geredet, der sich mit unzulänglichen Mitteln an schwierigste Werke wagt.

Glanz und Elend des Virtuosentums kamen uns eindringlich zum Bewußtsein im ersten 'Konzert der jungen französischen Geiger in J a n i n e Andrade, die das Violinkonzert von Paganini spielte, eine der trostlosesten und ödesten Virtuosenkompositionen, und von deren künstlerischerf Fähigkeiten und Persönlichkeit man sich nach der Interpretation dieses Werkes absolut kein Bild machen konnte. (Die Wiener Svmphoniker begleiteten unter Hans Swarowsky.) Moura Lympani, die englische Meisterpianistin, erwies sich dagegen in dem Klavierkonzert in D-dur von Brahms als Musikerin von Format und gezügeltem Temp-ramenj. Sie ist eine der wenigen Frauen, die dieses in vielfacher H'nsicht echt männliche Konzert gut zu spielen versteht. (Felix von Prohaska dirigierte die Wiener Symphoniker.)

Arnold E i d u s, der erste Preisträger des Internationalen Wettbewerbs in Paris 1946, hatte sich das technisch „dankbare“, aber künstlerisch sehr undankbare Violinkonzert des Virtuosen Wieniawski ausgesucht und hinterließ keinen bleibenden Eindruck. Alles war glatt, plan und oberflächlich — wie die Komposition. Die Aufgabe des Dirigenten (Milo von Wawak) bestand im wesentlichen darin, das aufgeregt hinter dem Solisten hergaloppierende Orchester anzutreiben und_ beisammenzuhalten, eine wirklich sehr undankbare Aufgabe für alle Beteiligten.

Der Geiger Richard Odnoposoff konnte im IV. Abonnementkonzert der Wiener Philharmoniker zeigen, was für ein ernster, ausgezeichneter Musiker und Btahms-Interpret er ist. Die reiche und vielfarbige, aber immer etwas gedämpfte Skala Brahmsscher Gefühls- und Farbwerte wurde durch ihn sehr überzeugend wiedergegeben, weil fein eigenes Temperament dem der dargebotener. Musik in hohem Maße entspricht. Josef Krips war ihm mehr als nur ein ausgezeichneter Begleiter. Friedrich Wildgans legte, neben vollendeter technische) Meisterschaft, in Mozarts Klarinettenkonzert in A - d u r noch das ganze Gewicht einer hochkultivierten Musikerpersönlxhkeit in die Waagschale. Hier spürte man fast in jedem Takt ' den Musiker, dem es nicht nur um die Meisterung der technischen Schwierigkeiten geht (seine Phrasierungcn, logisch und voll zweckmäßiger Schönheit seien besonders hervorgehoben), sondern der auch den Aufbau der Komposition klar übersieht und nachgestaltend verlebendigt. (Die Wiener Symphoniker begleiteten unter Erik Leinsdorf.) Die erfreulichste Leistung aber bot die junge französische Pianistin Nicole Henri ot in dem geistvollen, tänzerisch bewegten und farbis instrumentierten Klavierkonzert ihres Landsmannes Maurice Ravel. Sie gab der manchmal etwas etudenhaften Brillanz des Klavierparts jene leicht ironische Note, die dem Komponisten als Interpretationsstil seines Konzerts vorgeschwebt haben dürfte. Es war eine Leistung aus einem Guß: Soloinstrument und Orchester Gehalt. Klanggewand und Technik waren zu einer idealen Einheit verschmolzen, wie sie mit dieser Selbstverständlichkeit und Vollkommenheit vielleicht am ehesten den Romanen gelingt.

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