6591071-1952_26_05.jpg
Digital In Arbeit

Ein Bekenntnis zu Beethoven

Werbung
Werbung
Werbung

In unserer frühen Jugend hatte man uns mit seinen Sonaten überfüttert, indem man uns gleichzeitig Beethovens berühmten „Weltschmerz“, seine „Tragödie" und alle jene Gemeinplätze aufdrängte, auf denen man sich seit einem Jahrhundert tummelt, wenn von diesem Komponisten die Rede ist, der unwidersprochen als eines der größten Genies der Welt gilt. Wie viele andere junge Musiker war ich abgestoßen von dieser intellektuellen und sentimentalen Haltung, die wenig Beziehung zu einem ernsthaften musikalischen Urteil hat. Diese beklagenswerte Pädagogik verfehlte ihre Wirkung nicht: sie lenkte mich für lange Jahre von Beethoven ab.Geheilt und reifer geworden mit den Jahren, konnte ich mich ihm jetzt auf sachliche Art nähern, und er erschien mir bald unter einem anderen Aspekt. Vor allem erkannte ich in ihm den souveränen Herrn des Instruments. Das I n- st rum ent ist es, das ihm seine musikalische Idee eingibt und deren Substanz bestimmt. Die Beziehung zwischen dem Komponisten und dem Klangmaterial kann eine zweifache sein. Die einen zum Beispiel komponieren Musik für Klavier, die anderen Klaviermusik. Beethoven gehört entschieden zu dieser letzteren Kategorie. Vor allem in seinem um fassenden pianistischen Werk ist es die instrumentale Seite, welche so charakteristisch ist und ihn mir unendlich wertvoll macht. Es ist der wunderbare „Lautenspieler“, der bei ihm den Vorrang; hat, und mit dieser Eigenschaft rührt er jedes Ohr, das der Musik geöffnet ist.

Aber ist es die Musik Beethovens, die die unzähligen Arbeiten inspiriert hat, welche dem Werk dieses gewaltigen Musikers von Philosophen, Moralisten und selbst von Soziologen gewidmet wurden, die sich plötzlich in Musikschriftsteller verwandeln? ... Entspringt in der Mehrzahl dieser Werke die Begeisterung seiner Panegyriker nicht viel mehr aus den Quellen von Beethovens Inspiration als aus dessen Musik? Hätten sie ihre dicken Wälzer füllen können, wenn sie nicht die Möglichkeit gehabt hätten, diese nach Herzenslust mit allen möglichen außermusikalischen Zutaten zu schmücken, welche das Leben und die Beethoven-Legende bieten, um daraus ihre Schlußfolgerungen u d ihr Urteil über den Künstler abzuleiten? Was macht es aus, ob die III. Symphonie durch die Gestalt des republikanischen Buonaparte oder durch' den Kaiser Napoleon inspiriert wurde! Nur die Musik ist wichtig. Aber von der Musik zu sprechen ist eine riskante Sache, die Verantwortung auferlegt. Daher zieht man es vor, sich mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Das ist leicht und trägt den Ruf tiefen Geistes ein. Das erinnert mich an ein Gespräch zwischen Mailarme und Degas. Eines Tages sagte Degas zu Maliarme: „Ich bin nicht imstande, mein Sonett zu beenden. Und dabei fehlt es mir nicht an Ideen." Worauf Mailarme sanft erwiderte: „Nicht mit Ideen macht man Verse, sondern mit Worten." So ist es auch mit Beethoven. In der hohen Qualität seines Tonmaterials (substance sonore) und nicht in der Natur seiner Ideen besteht seine wirkliche Größe.

Es ist Zeit, diesen Gesichtspunkt hervorzukehren, Beethoven dem nicht zu rechtfertigenden Monopol der Intellektuellen zu entreißen und ihn jenen zu überlassen, die in der Musik nichts als die Musik suchen. Aber andererseits ist es aįich an der Zeit — und vielleicht ist dies noch dringender —, ihn vor der Dummheit und der Flegelei der Toren zu schützen, die sich hohnlächelnd damit unterhalten, ihn anzuschwärzen, indem sie hoffen, auf der aktuellsten Seite zu stehen. Aber gebt acht! Eine Seite wird bald umgeschlagen.

So, wie sich Beethoven in seinem pianistischen Werk vom Klavier inspiriert, so inspiriert er sich in seinen Symphonien, seinen Ouvertüren und seiner Kammermusik durch das Instrumental- e n s e m b 1 e. Bei ihm ist die Instrumentation niemals eine Einkleidung, und deshalb springt sie nicht in die Augen. Die tiefe Weisheit, mit der er die Rollen der verschiedenen Instrumente und ganzer Gruppen verteilt, die Sorge, mit der er die instrumentale Niederschrift ausführt, und die Präzision, mit der er seinen Willen kundgibt, all das bezeugt, daß wir es mit einer in erster Linie konstruktiven Ordnungskraft zu tun haben. Ich glaube nicht, mich zu täuschen, wenn ich behaupte, daß es eben diese Art, das Tonmaterial zu gestalten, ist, die ihn zwangsläufig zum Aufbau jener monumentalen Formen führte, die seinen Ruhm ausmachen.

Es gibt Leute, die behaupten, daß Beethoven schlecht instrumentierte, daß sein Klang dürftig ist. Andere wollen diese Seite seiner Kunst ignorieren, indem sie die Instrumentation als eine Angelegenheit zweiten Ranges betrachten und nur die „Ideen" gelten lassen. Die ersteren bezeugen damit mangelnden Geschmack, eine absolute Unzuständigkeit in dieser Materie und eine beschränkte und schädliche Denkungsart. Natürlich erscheint, neben der dicken Orchestrierung Wagners mit ihren reichen Farben, die Instrumentierung Beethovens glanzlos. Sie würde auch neben dem lebhaften und glänzenden Mozart einen ähnlichen Eindruck machen. Das kommt daher, daß die Musik Beethovens, aufs engste mit seiner Instrumentierung verbunden, in der Nüchternheit dieser letzteren ihren genauesten und vollkommensten Ausdruck gefunden hat. Man würde mangelndes Feingefühl beweisen, wenn man darin Armut sähe. Die wirkliche Nüchternheit ist die am seltensten und am schwersten zu erreichende Qualität.

Jene nun, welche der Instrumentierung Beethovens keine Bedeutung beimessen, indem sie seine Größe in seinen „Ideen" suchen, betrachten offensichtlich jede Instrumentierung als ein Kostüm, als Farbgebung, als Würze und geraten — obwohl auf einem anderen Weg — in den gleichen Irrtum wie die ersteren. Die einen und die anderen begehen den fundamentalen Irrtum, die Instrumentierung unabhängig von der Musik zu betrachten, die deren Gegenstand ist. Diese gefährliche Betrachtungsweise der Instrumentation, verbunden mit einer ungesunden Feinschmeckerei für die orchestrale Üppigkeit unserer Zeit, hat das Urteil des Publikums irregeleitet, welches, durch den unmittelbaren Effekt des Klanges beeindruckt, nicht mehr erkennt, ob dieser letztere eine Einheit mit der Musik bildet oder ob er nur künstliche Zutat ist. Die Orchestrierung ist zur Quelle von Genüssen geworden, die von der Musik unabhängig sind. Es wäre Zeit, die Dinge wieder an ihren rechten Platz zu rücken. Man hat genug von der orchestralen Bunt- scheckigkeit und von üppigen Klängen, man ist überdrüssig, sich an Klangfarben zu sättigen, man will nichts mehr wissen von dieser Überfütterung, welche das Wesen des instrumentalen Elements entstellt, indem sie es über die Maßen aufbläht und es in eine Sache für sich verwandelt. Hier gilt es, Umerziehungsarbeit zu leisten.

Alle diese Gedanken kamen mir, als ich wieder Kontakt mit Beethoven bekam, in jener Zeit, als ich meine Sonate komponierte. Sie haben sich seither entwickelt und haben bis jetzt ununterbrochen meinen Geist beschäftigt.

Aus: „Chroniques de ma vie.“ Les Editions Denoel et Steele. Aus dem Französischen übersetzt von Prof. Dr. Helmut A. Fiechtner.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung