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Ueber Beethovens Persönlichkeit

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Die Abstammung Beethovens bestätigt die Aulfassung, dafj aus einem Kreise ohne kulturelle Interessen nie plötzlich ein musikalisches Genie ersten Ranges erscheint. Es braucht bei Musikern Generationen, die kulturell Vorarbeiten, bis letzte Höhen dann von einem Einsamen erreicht werden.

Wenn das bei den Malern anders erscheint, so ist das eine Täuschung; grofje Maler, die von Bauern abstammen (van Gogh, Rubens, Segantini, Nolde), treten auch in schon vorbereitete Bahnen, denn der Bauer lebt ja mit den Formen der Natur, dem Licht und Schatten, der Landschaft und den Tieren und verarbeitet dauernd Eindrücke des Auges; schätzt Entfernungen, liest aus der Atmosphäre das Weiter und arbeitet so einem Künstler des Lichtes vor.

So waren die Vorfahren der Bach, Haydn, Couperin, die Familien Mozart, Beethoven, Schubert alle schon Musiker oder in verwandten, den kulturellen Gebieten zugewandten Berufen tätig. Auch die aristokratische Luft, der Sinn für architektonische Schönheit, für kultische Bräuche, war ihnen täglich nahe; denn sie dienten meist an FürstenhöJen oder kirchlichen Stätten.

Anderseits sind es die harten, schweren Bedingungen, die das Genie zur Reife kommen lassen. Diese Klassiker hatten alle eine strenge Jugend; man könnte fast sagen, sie bekamen mehr Prügel als zu essen, wenn die Prügel auch meist die Form von harter Arbeit annahmen, oft bis in die Nacht hinein. Es ist dann wunderbar zu sehen, wie im Existenzkampf, im Ringen um Erfolg, um Einnahmen, zuerst als Wunderkind, dann als Angestellte oder selbständige Musiker, das wahre Künstlertum, das reine Dienen an ernster Kunst, ohne Konzessionen als eine hohe sittliche Verpflichtung, das weitere Schaffen dieser Meister bestimmt. Und keiner war dessen bewufjter und Unnachgiebiger gegenüber den Forderungen des Publikums als Beethoven.

Schauen wir uns nun einmal die musikalisch-geistige Nahrung an, die Beethoven fcgffijtffprÜMhiMiA r. , »StB»’? .0?ti «ia '5it i sjtnbJT «tnraH shsw ssG ;hn h 09TT jM

Derber“ früh fh Bonh iä“rti der OKg f beschäftig njrdef'war es Kirchenmusik, die’Win” beeindruckte, und ln den Hofkonzerten des Erzbischofs die Musik der Stamitz, Gluck, Grefry, Kompositionen der Mannheimer Benda, Dittersdorf, Paisiello, Bach und Händel.

Nun mufj man sich aber nicht vorsfellen, er hätte wie wir Gesamtausgaben der Werke Bachs oder Handels besessen. Nur ein verschwindend kleiner Teil des Bachschen Werkes war ihm bekannt, denn der grofje Alte aus Leipzig schlief damals den Schlaf des Vergessenseins. Nur vom Wohltemperierten Klavier kannte Beethoven manches, und die Werke Handels erhielt er auf seinem letzten Krankenlager als Geschenk aus London.

In Wien lernte er viele Haydnsche und Mozartsche Werke kennen; ich möchte dabei auch gleich den Satz richtigstellen, den man off hört: Diese und jene Stelle bei Mozart klinge schon ganz Beethovenisch. Nein, Beethoven war siebzehnjährig, als er Mozart in Wien aufsuchte. Als Mozart starb, zählte Beethoven einundzwanzig Jahre, und alle diese Beethovenschen, dramatischen, überraschenden Stellen in Mozarts Werken sind ureigene Erfindungen Mozarts. Beethoven hat sie von ihm übernommen. Ohne den Don Juan wäre die Sonate op. 27, Nr. 2, nicht entstanden, ohne Mozarts c-moll-Sonate nicht op. 11, Nr. 1, ohne Mozarts c-moll-Konzert wohl nicht Beethovens c-moll-Konzerf. Trotzdem tragen sie natürlich den Stempel der Beethovenschen Persönlichkeit.

Die italienische Musik nahm damals besonders jn der Oper einen grofjen Raum ein; von ihnen, den Italienern, hat Beethoven den Sinn für Ebenmafj und schöne Form gelernt, die sinnvolle Behandlung der Streichinstrumente. Die französischen Clavecinisten hinfer- liefjen bei ihm wenig Spuren, eher die Feierlichkeit Glucks...

Den sozialen Stand des Musikers, hat Beethoven zum Teil durch Selbstbewufjtsein, das wohl auch in grobem Benehmen und Zürnen zum Ausdruck kam, anderenteils durch die Aristokratie seines Herzens, seine edle Gesinnung, gewaltig gehoben. Während Bach noch 1750 schrieb: ,,Dero Gnaden atlerunfertänigster Diener und gehorsamer Knecht’ und eine Perücke trug, Unterzeichnete Beethoven an den Erzherzog Rudolf: „Ihr Freund Beethoven", und trug das Haar frei. Während Mozart noch Fufjtriffe erhielt und quasi im Lakaiendienst stand, bekam Beethoven bei gräflichen Freunden zuerst serviert, und Fürst Lichnowsky antichambrierte bei ihm.

Beethoven war scheinbar ein Kind der Französischen Revolution, des dritten Standes, er anerkannte keine Vorrechte der Geburt oder des Geldsackes, aber er war sich seiner eigenen Bedeutung im Sinne eines geistigen Herrn und Fürsten der, Tonkunst, wohlverstanden auch als erster Diener des Staates, mit allen Verpflichtungen bewufjt. Jedenfalls war er keiner, der nach der Gunst der Masse schielte und er war ein leidenschaftlicher Anhänger der individuellen Freiheit auf sittlicher Basis. Seine Lektüre bestand in Marc- Aurel, Plutarch, Shakespeare, Klopsfock (von dem er sagte, er sei immer Maestoso Desdur), Schiller und Goethe, den er besonders verehrte, von den zeitgenössischen Dichtern hatte er Kontakt mit Grillparzer, Kotzebue, Collin, Matthisson (Adelaide), Rochlilz.

Es gibt verschiedene Einstellungen zum Leben, und jeder von uns wird mehr oder weniger einer der folgenden Kategorien zugehören, oder doch zuneigen:

Der Durchschnittsmensch ist ganz von den Ereignissen des Tages, den kleinen oder groben Stöfjen und Püffen, den wärmenden und sättigenden Freuden der Stunde erfüllt; sein Kopf hebt sich kaum aus den Wellen des stündlichen Geschehens, und die erbarmungslose Teufelsmaschine der ewigen Wiederholung ist sein trauriges Los, Gott sei Dank ihm selber nicht bewufjt.

Die romantischen Naturen lassen sich von den Eindrücken fragen, in Stimmungen ver- setzeq, sie sind die menschliche Aussage der ewigen Natur, sie sind sozusagen eine Realisation der Träume der Natur.

Der dritte versucht, aus dem ihm vom Leben zugespielten Material ein eigenes Gebäude aufzuführen. Er läfjt das Kleinliche, das Alltägliche als unwichtig passieren und mifjt ihm keinen zu grofjen Wert bei. Die Stärksten unter ihnen bekennen sich zu Promo- theus: Ich werde die Welt nach meinem Bilde formen, ein Geschlecht, das mir gleich sei, ich will nicht Ambofj, sondern Hammer sein. Sie sind „schöpferisch”. Das war Beethoven in hohem Mafje, und sein Gegenbild, Michelangelo, grüfjf über zwei Jahrhunderte zu ihm herüber.

Aus dem Buch: „Edwin Bischer. Ludwig van Beethovens Klaviersonaten.

Ein Begleiter für Studierende und Liebhaber.“ Insel-Verlag, Wiesbaden.

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