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An den Quellen der Wiener Bach-Tradition

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Im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek wird gegenwärtig eine sehenswerte Ausstellung, .Johann Sebastian Bach und Wien“, gezeigt. Wir haben aus diesem Anlaß den mit der Durchführung der Ausstellung betrauten Leiter der Musiksammlung der österreichischen Nationalbibliothek, Univ.-Prof. Dr. Leopold Nowak, gebeten, zu dem obigen Thema das Wort zu ergreifen. Die Osterreichische Furche“

Das Wiener Musikleben wird seit Generationen auch von den großen Werken .1. S. Bachs beherrscht. Aufführungen der „Matthäus-Passion“, der h-moll-Messe und so mancher anderer Werke unter berühmten Dirigenten gehören zu musikalischen Ereignissen, die Weltruf besitzen. Unvergessen sind noch die Verdienste, die sich Franz Schalk um die Wiederbelebung Bachscher Kunst, vor allem auch der acappella-Chöre erworben hat. Die Wurzeln der Wiener Bach-Pllege liegen aber viel weiter zurück. Jetzt, wo Bach anläßlich der 200. Wieder-! ehr seines Todes gefeiert wird, mag es geboten sein, sie in Erinnerung zu rufen.

Aus dem Leben Joseph Haydns wissen wir, daß er sdion um 1750 die Preußischen und Württembergischen Sonaten von Ph. E. Bach studiert hat. Sie waren 1742 und 1744 erschienen und wirkten Mir Zeitalter barocker Fugenherrschaft durch die vollständige Neuartigkeit ihres Stils umstürzend. Haydn selbst berichtet iavon:

„Da kam ich nicht mehr von meinem Klavier hinweg, bis sie durchgespielt waren, und wer mich gründlich kennt, der muß finden, daß ich dem Emmanuel Bach sehr vieles verdanke, daß ich ihn verstanden und fleißig studiert habe. Emmanuel Bach heß mir audi selbst einmal ein Kompliment darüber machen.“

Das Haus, in dem sich dieses Studium vollzog, steht noch, es ist das alte Haus Kohlmarkt. Nr. 11 neben der Michaeler-kirche. In einer der Dachstuben hatte damals Haydn seine erste eigene Behausung gefunden.

1756, im Geburtsjahr Mozarts, liest man zum ersten Mal den Namen eines Bach, es ist Carl Philipp Emmanuel, im „Wienerischen Diarium“. Auf der letzten Seite von Nummer 38, „Mittwoch, den 18. Maji“, macht der Buchhändler Georg Bauer, er hatte sein Gewölbe auf dem alten Fleischmarkt „in dem Seiderschen Haus“, bekannt:

„Es seynd bei mir ganz neue Musicalia zu haben, welche von denen berühmtesten in der Music verfertigt worden.'

Von den vier Angaben beziehen sich drei auf C. Ph. E. Bach und eine auf Christoph Nichelmann.

Die Werke Philipp Emmanuels sind: Sechs Sonaten für Cembalo, ein Konzert für Cembalo und die dem Grafen Wilhelm v. Schaumburg und zu Lippe gewidmeten „Zwey Trio, das erste für zwo Violinen und Baß, das zweyte für Querflöte, 1 Violine und Baß ...“. Das erste der Trios ist die berühmte Programm-sonate „Gespräch zwischen einem San-nuineus und Melancholicus“. C. Ph. E. uach unternahm es in ihr, gemäß der Affektenlehre seiner Zeit, das „Redende“ in der Musik zum Ausdruck zu bringen. Der Expressionismus des 18. Jahrhunderts, der als wirksames Gegengewicht die barocke Mathematik der Fuge zurückdrängte, hatte sich darin bedeutsam ge-rffenbart. Im Wien der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts wird dieses Werk mit Überraschung aufgenommen worden .in. Wie man aus den Musikalienankündigungen sowohl im „Wienerischen Diarium“ wie in der „Wiener Realzeitung“ der folgenden Jahrzehnle liest, waren die Werke C. Ph. Emmanuels, aber auch die seines Bruders Johann Christian (des Londoner Bachs), in stetem Vordringen.

Ein Dokument von geradezu einzigartiger Bedeutung aber ist ein Brief Gottfried van Swietens an Fürst Kaunitz vom 26. Juli 1774 (Original im Staatsarchiv). Swieten war damals österreichischer Gesandter in Berlin und berichtet von einer Audienz bei Friedrich dem Großen folgendes (im Original französisch):

„ ... unter anderem sprach er von Musik und von einem großen Organisten, der Bach heißt und der gerade für einige Zeit in Berlin war. Dieser Künstler ist mit einem Talent begabt, das an tiefreichenden Kenntnissen der Harmonielehre und an Kraft der Ausführung alles übertrifft, was ich bis jetzt gehört habe oder mir vorstellen konnte; und trotzdem finden diejenigen, die seinen Vater gekannt haben, daß er an ihn nicht heranreicht. Der König ist dieser Meinung, und um sie mir zu beweisen, sang er mir mit lauter Stimme ein Thema einer chromatischen Fuge vor, das er dem alten Bach angegeben hatte, der sogleich daraus eine vierstimmige, dann eine fünfstimmige und schließlich eine achtstimmige Fuge machte.“

Swieten hat also von Friedrich dem Großen selbst jene denkwürdige Begegnung J. S. Bachs mit dem Preußenkönig geschildert bekommen, bei der das „Thema Regium“ entstand, das der Thomaskantor dann ausgearbeitet als „Musikalisches Opfer“ dem König widmete. Die letzte Fuge bei der Improvisation Bachs vor dem König war nicht acht-, sondern sechsstimmig. Wie stark muß doch die künstlerische Persönlichkeit Bachs gewesen sein, fortgesetzt erneuert durch die Pflege seiner Musik im Kreise der Berliner Musiker, daß noch 25 Jahre nachher, der schon alternde König davon sprach. Die Anwesenheit Philipp Emmanuel Bachs in Berlin hat sicher auch dazu beigetragen, das Andenken an seinen Vater hochzuhalten, das außerdem in einer von Kirnberger und Marpurg geleiteten Bach-Gemeinde gepflegt wurde. Den Generationen nach 1780 war es dann beschieden, zu vergessen, zumal die Werke des großen Thomaskantors mit ganz wenigen Ausnahmen nur handschriftlich überliefert wurden.

Zur gleichen Zeit, 1774, kam Johann Baptist Schenk zu Georg Christoph Wagenseil als Schüler. Wagenseil war der Musiklehrer der Kaiserin Maria Theresia und ihrer Töchter. Er genoß einen ausgezeichneten Ruf als Lehrer und war in seinen Kirchenwerken ein Anhänger der strengen Richtung; in der Klavierkomposition folgte er dem galanten Stil seiner Zeit.

Die auf dem Kontrapunkt beruhende ernste Schreibweise hatte in Wien eine eigene bodenständige Schule entwickelt. Sie führt unter italienischem Einfluß (Rom, Bologna) von J. J. Fux bis zu Simon Sechter. Schenk schreibt nun in seiner Autobiographie:

„Die Praehidien und Fugen von Sebastian Bach, so auch die Ciaviersuiten von Händl, waren meine Übungswerke.“ (Neudruck in den Studien zur Musikwissenschaft, Heft 11, Wien 1924.)

Die direkten Zeugen dieser Bach-Pflege, etwa die Handschriften mit den Bachschen Fugen, aus denen Wagenseil unterrichtete, sind uns nicht erhalten. Nach dem, was man aus der Folgezeit weiß, muß man aber annehmen, daß es solche gegeben hat, wie dies beispielsweise von J. G. Albrechtsberger bekannt ist. Von ihm stammt auch, soweit bis jetzt bekannt, die erste Fuge eines österreichischen Komponisten über B-A-C-H.

Gottfried van Swieten wurde 1777 Präfekt der Hofbibliothek und verpflanzte nun seine Bach-Begeisterung an die Donaustadt. Am 20. April 1782 schon schreibt Mozart an seine Schwester: „Baron van Swieten, zu dem ich alle Sonntage gehe, hat mir alle Werke des Händeis und Sebastian Bachs (nachdem ich sie ihm durchgespielt) nach Hause gegeben.“ Er kennt auch Fugen Philipp Emmanuel Bachs, wie ein Brief an seinen Vater vom 24. Dezember 1783 beweist und lernt schließlich auf seiner Reise nach Berlin 1789 die Motetten Bachs kennen. Johann Friedrich Doles, der zweite Nachfolger Johann Sebastians, läßt sie ihm von den Thomanern vorsingen und Mozart versenkt sich voll Freude und Überraschung in das Studium der Stimmen, die er am Boden um sich herum ausbreitet, da keine Partitur vorhanden war.

Darüber hat Friedrich Rochlitz in der „Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung“ von 1798 anschaulich berichtet. Die Auswirkungen der Bachschen Kontrapunktik auf den Spätslil W. A. Mozarts sind bekannt, an sie kann hier nur erinnert werden. (Finale der Jupitersymphonie, Ouvertüre und Gesang der Geharnischten in der „Zauberflöte“.)

Mozart hat auch, wie bekannt, Bachsche Fugen für Streichtrio beziehungsweise Streichquartett bearbeitet und an Stelle der originalen Präludien Einleitungen dazu komponiert. In der Notensammlung Kaiser Franz' I. befinden sich ganz ähnliche Bearbeitungen aus dem Jahre 1796. Ihr Verfasser ist noch unbekannt, sie beweisen aber nur, daß die Wiener Kammermusikpflege die Bachsche Polyphonie, die für Cembalo und Orgel bestimmt war, sich auf ihre Weise zurechtlegte.

Van Swieten, der bei C. Ph. E. Bach sechs Quartettsymphonien bestellte (Hamburg 1773 gedruckt), wurde auch dessen Anwalt in Wien. Dominik Artaria eröffnete 1778 seinen Musikverlag und schon am 14. Juli 1779 schreibt C. Ph. E. Bach aus Hamburg den ersten Brief an Artaria, aus dem eindeutig van Swietens Vermittlerrolle hervorgeht. „Pränumeranten-Verzeichnisse“ (zum Beispiel in Klop-stocks „Morgengesang am Schöpfungs-tage“, Leipzig 1784) beweisen fast immer, daß in Wien Artaria und van Swieten Interesse für Kompositionen C. Ph. E. Bachs hatten.

Durch eine Nachricht im „Musikalischen Almanach für Deutschland auf das Jahr 1789“ (S. 121) erfahren wir von der Aufführung der „Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“ C. Ph. E. Bachs bei Graf Johann Esterhazy:

„Wien, am 26sten Febr. 1788. An diesem Tage und am 4ten März wurde Ramlers Cantate, die Auferstehung und Himmelfahrt Christi nach der vortreflichen Com-position des unvergleichlichen Hamburger Bachs, bey dem Grafen Johann Esterhazy, von einem Orchester von 86 Personen in Gegenwart und unter Leitung des großen Kenners der Tonkunst, des Freyherrn von Swieten, mit dem allgemeinen Beyfall aller vornehmen Anwesenden aufgeführt. Der Kaiserl. Königliche Capellmeister, Hr. Mozart, taktirte und hatte die Partitur, und der Kaiserl. Königl. Capellmeister, Hr. Umlauft spielte den Flügel. Die Ausführung war desto vortreflicher, da zwey Hauptproben vorher gegangen waren. In der Aufführung am 4ten März ließ der Hr. Graf das in Kupfer gestochene Bildniß des Hrn. Capelimeist. Bach im Saale herumgehen. Die anwesenden Fürstinnen und Gräfinnen und der ganze sehr glänzende Adel bewunderten den großen Componisten, und es erfolgte ein hohes Vivat, und eine drey-fache, laute Beyfallsbezeugung. Unter den .. Sängern waren Madam Lange, der Tenorist Adamsberger, der Bassist Saale, 30 Choristen etc. Am 7ten wurde das nemlidie Stück im Kais. Königl. Hof-National-Theater aufgeführt.“

So fügt sich Einzelheit zu Einzelheit, die Tradition wird immer stärker, Beethoven gesellt sich hinzu, die musikbegeisterten Kreise des Wiener Vormärz — Erzherzog Rudolf, Kaiser Franz I., Raphael Georg Kiesewetter, Simon von Molitor, Fanny Freiin von Arnstein, Aloys Fuchs — sammeln und musizieren die Werke J. S. Bachs und seiner Söhne. Das würde aber über diese kleine Skizze, die nur die Anfänge in Erinnerung bringen wollte, hinausgehen. Eines ist sicher: Wien hat eine Bach-Tradition, die bis in das Todesjahr Johann Sebastians zurückreicht und mit dem Gedenken an diesen Tag selbst ihr 200jähriges Jubiläum feiert.

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