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Wo soll Johann Sebastian Bach ruhen?

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Am 28. Juli 1950 werden wir die zweihundertste Wiederkehr von Bachs Todestag begehen.

Es ist selbstverständlich, daß man sich in der Bach-Stadt Leipzig jetzt schon Gedanken macht, wie dieses Ereignis gefeiert werden soll und welche Vorbereitungen dazu zu treffen sind. Aber in erster Linie muß sich die Stadt Leipzig bis dahin ihrer Pflicht entledigt haben, die sterblichen Überreste des Meisters an einer würdigen Stätte unterzubringen.

Ja, liegt denn der Thomaskantor nicht in seiner Kirche? Diese Frage, die an alte und junge Thomaner schon oft gestellt und kürzlich wieder aufgeworfen wurde, als die Meister des russischen Staats-Streichquartetts dem Genius Bach ihre Huldigungen erweisen wollten, sei mit folgender musik- geschichtlicher Erläuterung beantwortet: Als Bach am 28. Juli 1750 abeads ein Viertel vor neun Uhr gestorben war, verblieb seine Leiche zunädist in seiner Amtswohnung in der alten Thomasschule am Thomaskirch- hof. Am 30. Juli wurde der tote Meister in die damalige Begräbniskirche Leipzigs, die Johanniskirche, übergeführt, wo sein Leichnam in der Nacht vom 30. zum 31. Juli vor dem Altar aufgebahrt stand. Am Freitag, den 31. Juli, wurde Bach „sechs Schritte von der südlichen Kirchentür“, also nahe der Kirchenmauer, auf dem alten Johannisfriedhof tief begraben, und zwar in einem Eichensarg, was damals etwas Seltenes gewesen sein muß und später wesentlich zur Auffindung seiner sterblichen Überreste beitrug, da die nach und über Bach beerdigten Personen nur einfache Holzsärge hatten.

Kein Grabstein wurde zu des Meisters Gedächtnis errichtet, niemandem war der Gedanke gekommen, den Thomaskantor etwa in der Thomaskirche beizusetzen. Das wäre etwas Außergewöhnliches gewesen und hiefür lag kein Grund vor, denn die Umwelt hatte die einmalige Größe der Erscheinung Bachs zu seinen Lebzeiten nicht so empfunden wie wir. Das Grab an der Friedhofsmauer, das bald in Vergessenheit geriet, war für ihn gut genug.

Als man 1885 anläßlich seines zweihun- dertsten Geburtstages dann endlich auf die Idee kam, wenigstens eine Gedenktafel an jener Grabstätte zu errichten, war das Gelände des Johannisfriedhoüs längst aufgelassen und das Grab verschüttet. Da genaue Anhaltspunkte fehlten, ließ der Rat der Stadt an der südlichen Kirchenmauer zwischen der Tür und dem nädisten Altarfenster folgende Gedächtnistafel anbringen:

„Auf dieser Seite des ehemaligen Johanniskirchhofs wurde Johann Sebastian Badi am

31. Juli 1750 begraben.“

Im Jahre 1894 wurde die alte Johanniskirche bis auf ihren Turm abgebrochen und ein Neubau ausgeführt. Die Fundamentierungsarbeiten boten einer Ausgrabekommis- sion unter Führung des bekannten Anatomen Prof. Wilhelm His Gelegenheit, nach den Gebeinen Bachs zu forschen. Es gelang His unter Mitwirkung des Bildhauers S e f f n e r auf Grund überzeugender Feststellungen, den Schädel zu identifizieren. Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, Bach aus dem Bereich der unbedeutenden Begräbniskirche heraus in den weihevollen Bau seiner Thomaskirche zu überführen, wo die wöchentlichen Motetten der Thomaner, die sonntäglichen Kantaten, die Passionen, die Bach-Feste Zeugnis ablegten für seine Größe. Jedoch die Überführung der Bach-Gebeine in die Thomaskirche unterblieb, weil der Vertreter der neuen Johanniskirche als rührigstes Mitglied jener „Ausgrabekommis- sion“ das „Eigentumsrecht" des Kirchenvorstandes an den sterblichen Resten Bachs zu wahren wußte.

Und genau so ist die Situation heute wieder!

Die neue Johanniskirche ist ein Opfer des Bombenkrieges geworden. Ihre Ruine soll nicht wieder aufgebaut werden. Die Bach-Gruft, die übrigens keineswegs dem Genius dieses Mannes allein gewidmet ist, sondern außer ihm in einem dem seinen völlig gleichen Sarkophag Christian Fürdite- gott Geliert (1715—1769) und dessen Bruder, den wadeeren Oberpostsekretär Leberecht Geliert, birgt, ist unter den Trümmern gerade noch betretbar. „Es fällt schwer“, so schreibt der Sdiweizer Musikhistoriker Prof. Dr. L. Birchler, „des zwiespältigen Eindrucks Herr zu werden, der jeden Besucher packt, wenn er diese äußerlich gleichgestellten Gräber sieht: der brave Fabeldichter — und der gewaltige Genius der Musik, ein strahlender Gipfel in der abendländischen Kultur. Der zwiespältige Eindruck dieser Bach-Gellert-Gruft verstärkt sich, wenn man an die ,Fürsten- gruft in Weimar mit den Überresten Goethes und Schillers denkt. Warum konnte Leipzig 1894 nicht nachholen, was der Unverstand von 1750 unterlassen hatte: Bach in seiner Kirche beizusetzen unter der Orgel der Thomaskirche, so wie Bruckner unter der Orgel in St. Florian ruht?“ Die Thomaskirche ist so gut wie unbeschädigt, die Thomaner tun ihren Dienst wie immer, und Bachs Musik erfüllt den würdigen Raum. Der Augenblick wäre da, seine Gebeine dort beizusetzen. Warum zögert man in Leipzig? — Weil noch immer wie 1894 die Vertretung der Johanniskirche die Badh- Überreste nicht hergeben will, da sie auf diese Weise die Wiederaufrichtung eines kirchlichen Gebäudes für die Zwecke der Gmein.de zu erzwingen gedenkt. Sie ist mit ihrer Propaganda wahrhaftig schon bis zum Londoner Rundfunk vorgedrungen!

Der Oberbürgermeister der Bach-Stadt, Prof. Dr. Z e i g n e r, ist überzeugter Verfechter der Idee, daß der Thomaskantor in die Thomaskirdie gehört, Mit ihm haben sich die Prominenten des Leipziger Musiklebens, an ihrer Spitze Prof. Karl Straube und sein Nachfolger, Prof. Günther Ramin, die Vertreter der Universität, der Hochschule für Musik, des Gewandhauses, aber auch alle führenden Persönlichkeiten der demokratischen Parteien im gleichen Sinne erklärt. Superintendant D, Schuh- m a n n ist im Namen des Kirehenvorstan- des der Thomaskirche seit langem bemüht, einen würdigen Platz im Kircheninneren ausfindig zu machen. Aber, wie gesagt, der Vorstand der Johanniskirchenruine wird seinen Widerstand wohl erst dann aufgeben, wenn ihm als erwünschter Widerhall dieser Ausführungen aus allen Teilen, nicht nur Deutschlands, sondern der ganzen Kulturwelt, zugerufen wird:

Der Thomaskantor Bach gehört in seine Thomaskirche, die als Stätte seines Ruhmes auch die seiner Ruhe werden soll!

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