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Vor 300 Jahren starb in Lübeck der Barockkomponist Dietrich Buxtehude.

Man muss schon ein kundiger Musikfreund sein, um bei der Nennung des Namens "Buxtehude" nicht zu schmunzeln. Ältere Semester erinnern sich vielleicht an die "Tante Trude aus Buxtehude", einen wohl zu Recht vergessenen Film der Siebzigerjahre. In manchen Kindheitserinnerungen verbindet sich der Name mit dem Räuber Hotzenplotz. Norddeutschen Zeitgenossen klingt die niedersächsische Stadt gleichen Namens vielleicht so ähnlich wie dem Österreicher Stixneusiedel oder Stinkenbrunn. Märchenkenner mögen sich an die Brüder Grimm und das Märchen vom Hasen und vom Igel erinnern. Nur die Musiker - ihnen voran die abgehobene Zunft der Organisten - wissen es genauer: Dietrich Buxtehude, 1637 vermutlich im damals dänischen Südschweden geboren, war beinahe 40 Jahre lang bis zu seinem Tod 1707 hochangesehener Organist und Komponist an der Marienkirche in Lübeck.

Bach als Nachfolger …

Seine Vita glänzt auch im Licht der Musikeranekdote: Mit seinem Amt als "Werkmeister" der Lübecker Marienkirche, in dem er neben seinen musikalischen Aufgaben zusätzlich in Verwaltung und Organisation tätig war, übernahm er auch die Tochter seines berühmten Vorgängers Franz Tunder als Ehefrau. Ein ähnliches Verfahren war auch für seinen Nachfolger vorgesehen. Und so pilgerten 1703 zwei ambitionierte Jungmusiker namens Johann Mattheson und Georg Friedrich Händel nach Lübeck, um nach Bewunderung des Meisters und Besichtigung der Tochter unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Die Verknüpfung familiärer mit beruflichen Interessen war damals keineswegs ungewöhnlich und wurde nicht als unmoralisch angesehen. Die romantische Gefühlsliebe hatte noch nicht ihren Siegeszug durch das europäische Familienleben - samt den dazugehörigen Verwüstungen - angetreten.

… sollte Tochter heiraten

Anna Margaretha Buxtehude, 1675 geboren und deshalb nach damaliger Einschätzung regulär kaum mehr zu verehelichen, war wohl auch dem zwanzigjährigen Johann Sebastian Bach bei seinem Besuch im Jahr 1705 zu alt - über ihr Aussehen ist nichts Zuverlässiges zu erfahren.

Bach trat zwar nicht die Nachfolge des Vaters an, blieb aber vier Monate in Lübeck, um vom berühmten und bewunderten Meister möglichst viel zu lernen. Den "Studienurlaub", den er als Organist in Mühlhausen für einen Monat erbeten hatte, überschritt er damit so drastisch, dass der Krach bei seiner Heimkehr unvermeidbar war. Zwei Jahre später sollte er seine Cousine Maria Barbara heiraten - auch sie eine Organistentochter, aber ohne Nachfolgerechte und-pflichten für den jungen Bach.

Spirituelle Orgelmusik

Dietrich Buxtehude war jedoch weit mehr als eine Fußnote in den Biografien von Bach und Händel. Er war - wie wir das heute nennen würden - im Kulturmanagement erfolgreich tätig. Er machte einen Veranstaltungstyp bekannt und erfolgreich, der bis heute zu den Aufgaben kulturell ambitionierter Pfarr-, Kloster- und Domkirchen gehört: die (schon von seinem Vorgänger begonnene) geistliche Abendmusik. Allerdings nicht mit touristischem Schnickschnack oder religionsfernen Allerweltsprogrammen, wie es in der heutigen Beliebigkeit gern betrieben wird, sondern mit hochwertiger spiritueller Musik für Orgel, für kleine Instrumentengruppen, für Vokalisten, solistisch und im Ensemble.

Was schon seit Heinrich Schütz als "kleines geistliches Konzert" zu einer musikalischen Gattungsbezeichnung geworden war, wurde ins Buxtehudes weit gerühmten "Abendmusiken" zum künstlerischen Ereignis außerhalb der regulären Liturgien. (Auch in reformierten Gemeinden mit ihrem Verbot der Instrumentalmusik im Gottesdienst war deshalb die Kirche gern besuchter Ort regelmäßiger Musikdarbietungen - so bei Jan Pieterszoon Sweelinck in Amsterdam.)

Berühmte "Abendmusiken"

Von Buxtehudes Kompositionen ist zwar vieles verschollen, dennoch sind vier Werkgruppen ausführlich erhalten und bereichern heute vor allem das Repertoire der spezialisierten Barockensembles: an die hundert Kantaten, darunter der Passionszyklus Membra Jesu nostri, etwa 20 Triosonaten, ebenso viele Suiten und einige Variationen für Cembalo und an die 90 Orgelwerke. Für die Orgelmusik gilt, dass sie zum Kernrepertoire aller professionellen Organisten gehört. Etwa die Hälfte sind freie Orgelwerke: Tokkata, Präludium, Fuge, Canzona, Passacaglia. Die andere Hälfte sind choralgebundene Werke, darunter eine bedeutende große Fantasie über Wie schön leuchtet der Morgenstern. Für seine Orgelmusik gilt, dass sie große mehrmanualige Instrumente nach norddeutscher Bauweise mit vollständigem Pedal voraussetzt - anders als die kleineren, mit weniger Tasten im Bassbereich ausgestatteten Orgeln in Süddeutschland, Österreich und Italien.

In seiner Orgelmusik findet man häufig dramatische Ausbrüche, lyrische Passagen und die Gelegenheit, verschiedene Klangfarben in reichem Wechsel in einem "stylus fantasticus" vorzuführen. Den Einfluss auf den jungen Johann Sebastian Bach findet man auch in dessen manchmal ungestümen und aufbrausenden Jugendwerken. Dietrich Buxtehude gehört gemeinsam mit dem stilistisch sehr unterschiedlichen Johann Pachelbel zu den großen Vorbildern in Bachs Orgelmusik.

Pachelbel, in Nürnberg geboren und ebendort lange Zeit tätig, wirkte in jungen Jahren auch als Organist am Wiener Stephansdom (und hatte im Vorjahr seinen 300. Todestag). Die beiden Vorbilder für Bachs Orgelspiel verbindet eine wichtige Publikation: Pachelbel widmete seinen berühmten Variationenzyklus Hexachordum Apollinis im Jahr 1699 dem Kollegen in Lübeck. Hier handelt es sich auch um eines der großen Vorbilder für das wohl berühmteste Variationenwerk der Musikgeschichte: Bachs Goldberg-Variationen.

Kantaten wiederentdeckt

In den letzten Jahren wurde die Kantaten Buxtehudes langsam wiederentdeckt und zu guten Teilen auf CD eingespielt. Verschollen ist leider sein zu Lebzeiten gerühmtes oratorisches Werk. Das Jubiläumsjahr 2007 könnte erweisen, dass die hohe Wertschätzung seiner Zeitgenossen auch heute noch berechtigt wäre.

Die Orgelkonzerte, in denen sein Werk einen bleibenden Platz gefunden hat, sind eine derart enge Veranstaltungsnische, dass man auch andernorts sein Werk entdecken sollte: in der Kammermusik, im Vokalkonzert und im Gottesdienst. Das Vorbild seiner Abendmusiken könnte ambitionierte Pfarren anregen, auch jene "Kulturchristen" zu erreichen, die sich von den üblichen Gottesdiensten wenig angesprochen fühlen.

Der Nekrolog auf Bach berichtet von der beschwerlichen Fußreise, die den Zwanzigjährigen knapp 400 Kilometer von Arnstadt nach Lübeck führte, um den alten Meister zu "behorchen" (wie man sich damals ausdrückte). Was Bach so beeindruckte, verdient wohl auch unsere Aufmerksamkeit - bei einer "Abendmusik" in einer Kirche oder bequem vor der heimischen Stereoanlage. Gibt es eine kompetentere Empfehlung als die Bewunderung durch Johann Sebastian Bach?

Peter Paul Kaspar, Seelsorger, Autor und Musiker, lehrt an der Anton Bruckner Universität in Linz.

Buchtipp:

Dietrich Buxtehude

Leben. Werk. Aufführungspraxis

Von Kerala J. Snyder. Aus dem Amerikanischen von Hans-Joachim Schulze.

Bärenreiter Verlag, Kassel 2007. 581 Seiten mit Notenbeisp., Abb. und Faksimiles, geb., € 50,40

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