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Madrigalchor, Quartett und Reihe

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Die Gegenüberstellung Dietrich Buxtehudes (1637 bis 1707) und Joseph Lechthalers (1891 bis 1948), die vom Wiener Madrigalchor in den Konzerten dieser Saison gleichsam motivisch geschieht, ist mehr als der Gegensatz Bairock—Moderne oder Nord und Süd, Lutherisch und Römisch, es liegt dieser Verbindung vielmehr jener große Gedanke zugrunde, der diese Gegensätze aufhebt, wenigstens im geistigen Sinne. So war denn auch das erste Konzert unter dem Motto der beiden Komponisten ein rein geistliches, ein Advent- und Weihnachtskonzert, in dem Teile der „Missa Rosa Mystica“, op. 61, von Lechthaler, und die Kantate „Das neugeborene Kindelein“ von Buxtehude diese geistige Einheit über Zeiten und Stile hinweg bekundeten. Buxtehude kam noch mit dem Orgelwerk „Präludium und Fuge g-Moll“ zu Wort, Lechthaler mit dem Liedwerk „Weihnachtsbüchlein“, das zwischen Haus- und Kunstmusik eine (anspruchsvolle) Mitte hält. Mit kleinen, zu einer Kantate zusammengestellten Liedsätzen von Michael Prätorius und dem 5. Teil aus Joh. Seb. Bachs Weihnachtsoratorium erhielt das Programm seine Abrun-dung. Der instrumentale Teil wurde von der Capeila Academica Wien (auf alten Instrumenten) und Hans Haselböck (auf der neuen Orgel) tra-giert. Der geistige und musikalische Leiter des Chores, Xaver Meyer, kann heute auf eine ersprießliche Arbeit zurückblicken. Er hat seine Sänger auf ein Niveau gebracht, das auch in der Chorstadt Wien weit über das Mittelmaß hinausreicht und außer durch den frischen und erfrischenden Klang der jungen Stimmen und die formale Ausgewogenheit auch durch sein geistiges Profil imponiert.

Das Weller-Quartett spielte nach dem einleitenden Streichquartett Es-Dur, op. 33/2, von Joseph Haydn das ihm .gewidmete Streichquartett Nr. 10, op. 118, von Dimitri Schosta-kowitsch, in dem europäische Tradition und russische Seele ineinander übergehen. Die gleichsam silhou-ettierten Tanzpaare des zweiten Satzes sind melodischer, die Passaca-glia des dritten ist formaler und der vierte Satz kontrapunktischer Höhepunkt in der Zusammenfassung aller Themen. Krönung des Abends aber war das kostbare Streichquartett von Claude Debussy, g-Moll, von den Freunden der Kammermusik gekannt und geliebt in seiner weitflächigen und doch immer klarlinigen Improvisation, die natürlich keine wirkliche Improvisation ist, sondern nur diesen Eindruck erweckt. Es waren keine französischen Spieler; manche Weichheit fehlte, dennoch waren Geist und Impetus der Komposition in französischer Klarheit offenbar.

Im Konzert des Ensembles „die reihe“ gab es wie zumeist einige Überraschungen. Zunächst das Divertimento op. 61 von Josef Math. Hauer, für fünf Bläser, Klavier und Streicher, über eine (abgewandelte) Zwölftonreihe. Man ist heute überrascht, wie gut (und wie tonal!) diese Musik klingt, trotz aller theoretischen Voraussetzungen, und fragt sich allen Ernstes, ob nicht ein späteres System durch dieses frühere populärer gemacht werden könnte als es ist. Das folgende Divertimento op. 49 von Karl Schiske (Transformationen im goldenen Schnitt) gelangt von ganz anderen Voraussetzungen ebenfalls zu einer Zwölftonreihe, die rhythmisch auf der Zahlenreihe zwei, drei, fünf basiert und auch im übrigen diese Reihe benutzt, bei der das dritte Glied durch Addition der vorhergegangenen gewonnen wird. Und selbst die Besetzung gehorcht diesem Gedanken (zwei Holzbläser, drei Blechbläser, Streichquintett). Auf den theoretisch unbelasteten Hörer wirkt die Komposition als ein dichtes, eigenartiges, apartes Gebilde, dem er, wenn auch nicht grad vergnügt, doch interessiert folgt. — Problematischer ist Otto M. Zykans „8 I 4 II 2 III 1 IV 2 V 4 VI 8 oder Kammermusik für zwölf Instrumente und was daraus wird“. Der Komponist kommentiert sein Werk so: „Zwei ineinander geschachtelte Zahlenreihen, eine arithmetische und eine geometrische, sind bestimmend für den Ablauf der Komposition.“ Wo es unmöglich ist, den Erfordernissen dieser beiden „Spiritus rectores“ zu entsprechen, werden die inkongruenten Töne von den Spielern gesprochen, was im letzten Drittel fast zu einem Sprechchor wird, der allerdings auch klangliche Funktionen erfüllen soll. Das Stück ist für sechs Bläser, drei Streicher, Vibraphon, Marimbaphon und Klavier komponiert. Das so kompliziert gebaute und „gerechnete“ Stück bereitet indes dem Hörer Anregung und Vergnügen. — Die „Komposition II“ von Bojidar Dtmou für Streichsextett geht von Anton Webern aus, ohne ihn allerdings nachzuahmen. Tonblöcke verschiedener Dauer werden nicht überlagert, sondern durch Zäsuren voneinander getrennt. Es gibt innerhalb der Blöcke verschiedentliche Beziehungen, denen man beim ersten Hören nicht ganz und stets folgen kann. Das sehr ernste Werk, dessen zweiter Teil ein Rücklauf ist, gehörte nach dem Divetimento von Schiske zu den dichtesten des Programms, das die „Liebesträume“ von Kurt Schwertsik abschlössen, ein fünfsätziges Werk für sieben Instrumente. Der Titel beruht auf Verwendung Lisztscher Melodien im zweiten Satz. Interessanter ist der vierte Satz, ein Trauermarsch, in dem das Schlagzeug begraben wird, dessen Instrumente die Spieler alternativ bedienen, was nicht ohne viel Bewegung auf, dem Podium abgeht. Im letzten Satz fehlt daher das Schlagzeug, was gleichsam Elementen der Salonmusik die Türe öffnet.

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