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Musik der Zeit und der Zeiten

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Ein a-cappella-Konzert des Wiener Männergesang-Vereins war zeitgenössischer Chormusik verschiedener Prägung gewidmet, daraus Johann Nep. Davids „Spruch“ sowie die „Lieder aus Karäd“ von Zoltän Kodäly die „Zeit“ überdauern dürften, da sie form- und ausdrucksmäßig zu künstlerischen Dokumenten gerundet sind, während Karl Ettis „Deutscher Praefation“ das innere Leben, Otto Siegls „Baum im Gewitter“ die klare schlanke Form fehlt (die seinem „Wanderlied“ so mitreißend innewohnt). Ansprechende Volksliedbearbeitungen rundeten das chorische Programm, dem sich in Laurence Dutoit (Sopran) und Herbert Frischauf (Geige) ausgezeichnete Interpreten bedeutender neuer Musik gesellten. (In Werken von Alban Berg, Angerer und Armin Kaufmann.) Die Intonation des Chores war im allgemeinen tadellos, die Textaussprache klar und in den Stimmen auch im polyphonen Satz verständlich. Die motivische und thematische Ausgestaltung geriet besonders im zweiten Teil des Abends lebendig und plastisch.

Ebenfalls zeitgenössische Kompositionen, die indes durchaus der „neuen“ Musik angehören und in ihrem Atem weit über das Heute hinausreichen, hörte man im Konzert der Internationalen Gesellschaft für neue Musik (IGNM), dargeboten vom Neuen Wiener Streichquartett, das sich mit diesem Programm und seiner Ausführung als berufen legitimierte, zumal es nicht nur die erheblichen Schwierigkeitsgrade technisch gut und sicher bewältigte, sondern die Werke in ihrem eigenen Sinne richtig zu profilieren verstand. Als besonders gediegen muß die Wiedergabe der „Fünf Sätze für Streichquartett“ von Anton Webern bezeichnet werden sowie des 1. Streichquartetts von Arnold Schönberg. Mit Weberns „Sechs Bagatellen“ und Kreneks 7. Streichquartett erstand ergänzend ein einmalig „modernes“ Programm, das die großenteils immer noch bestehende Isolation dieser Musik zum unmittelbaren Erlebnis werden ließ.

Weniger „modern“ war das Programm des 4. P r o-arte-Konzertes, das zwischen Joseph Haydns Konzert für Violoncello und Orchester (flüssig musiziert mit Ludwig Beinl als sehr anerkennenswertem Solisten) und Schuberts „Tragischer“ Symphonie ein Konzert für Orchester von Fritz Skorzeny aus der Taufe hob und das Concertino für Klavier und Orchester von Leos Janacek erstaufführte. Skorzeny, dem romantischen Duktus voll zugewendet, weiß dennoch, besonders im ersten Satz, seine Themen klar zu stellen und zu variieren und eine dem Klassischen sich nähernde Uebersichtlichkeit zu erreichen; im langsamen Satz spinnt das Alt-Saxophon eine sehr einfache Melodie weitbogig aus, ohne ihr freilich bedeutende Aussagen zu geben. Harfe und Celesta betonen das tonale Gestirn. Das sonatenförmige Finale bringt das Thema des ersten Satzes wieder. (Saxophon: Rudolf Jettel.) — Die unmittelbare volksnahe Kraft und das naturnahe Gefühl, das der Programmzettel dem Concertino von Janacek nachrühmt, kam in dem sehr sauberen und rhythmisch exakten, aber an Schroffheit übertreibenden Spiel Hans Kantis wenig zur Geltung. Mit Phrase und Fortissimo allein, das bedenkenlos das Orchesterchen überspielt, kann auch dieser Stil nicht gültig interpretiert werden.

Ueber den Zeiten: J. S. Bachs „Johannes-p a s s i o n“ unter Fritz Lehmann (Symphoniker, Singakademie) bot in der Wiedergabe keine Einheit. Außerordentlichen Leistungen von Patzak und Berry und vergeistigtem Zusammenspiel von Luise Walker, Paul Angerer und Karl Trötzmüller (Laute, Violad'amore und Viola da gamba) standen indifferentere des (übrigens ausgezeichnet studierten und intonierenden) Chores gegenüber. Der überspringende Funke war schwach und zündete selten. Es war eine Art Sachlichkeit, die gerade J. S. Bach, dem Meister des sakralen Aufschwungs und der sakralen Hochdramatik, nicht beikommt, ihn allerdings auch seiner inneren Kraft nicht beraubt.

Neben den Konzerten: eine spannungsvolle Sendung der „Brücke von San Luis R e y“, Szenen nach einer Novelle von Thornton Wilder mit der Musik von Hermann Reutter. Eine Kantate mit verbindender Prosa, erregend in ihrer musikalischen Gestaltung, die, höchst persönlich profiliert, Eigenart und dramatische Kraft zu schicksalerfüllter Atmosphäre ballt und am Ende zu weiter Schau löst. Eine hervorragende Besetzung (darunter besonders Julius Patzak, Emmy Loose, Gertrud Schretter, Hildegard Rössel-Majdan und Walter Berry). gestaltete die Wiedergabe zum eindrucksvollen Erlebnis.

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