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Virtuosen der Tradition

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Kaum mehr steigerungsfähig erscheint das kristallklare und erregend vergeistigte Zusammenspiel der Virtuosen von Rom (Collegium Musicum Italicum) unter Renato Fasano, das allerdings ausschließlich italienischer Barockmusik und darin besonders den Werken Antonio Vivaldis zugute kommt. EiA wenig vielfältiges und nicht sehr tiefes Programm vermag durch die geschilderte Intensität und Vollkommenheit seiner Wiedergabe starke und ungewöhnliche Eindrücke zu vermitteln, auch wenn die Kultur der Kadenzharmonie (bei Rossini) bis zur Koloratur getrieben und ausgewalzt wird — und noch in dieser Verdünnung nicht ganz ohne Reiz ist.

Ungewöhnlich muß im Widerstreit der Meinungen auch die pianistischc Interpretationskunst von Lili Kraus genannt werden, die durch einen stark persönlichen Zug und innere Geschlossenheit des Vortrags unmittelbare Wirkungen erreicht, mit stilistischen Gegebenheiten jedoch gelegentlich zu selbstherrlich umgeht. Gewiß ist auch in der Musik Haydns und Mozarts für subjektive Werte Raum, nicht aber im Sinne formlösender romantischer Gefühlsdominanten. Fallen durch eine derartige Wiedergabe zwei Stile ineinander, dann „bricht der magische Bogen“ und es bleibt bei allem Wohlklang eine innere Dissonanz.

Von der großen Oper zum kleinen Lied ist ein schwieriger Weg. Das Liederlebnis ist subtiler, geistiger und gefühlsmäßig tiefer der persönlichen Deutung verbunden. Mit einer vollendeten Wiedergabe von Gustav Mählers „Ich bin der Welt abhanden kommen“ bewies Vilma Lipp ihre Begabung zur großen Liedsängerin überzeugender als durch das ganze übrige unruhige Programm ihres Liederabends, daraus etwa noch die liebenswürdigen „Rispetti“ von Ermanno Wolf-Ferrari sich zum besonderen Erlebnis formten, während Wolf- und Strauss-Lieder mehr aus der brillanten Technik her gestaltet wurden. (Glucks Bach gla. gle, gli, glo, glu sollte aber endlich aufhören, durch den Brahms-Saal zu fließen.)

Julius P a t z a k sang „Die schöne Müllerin“, den früheren und froheren der beiden großen Liederzyklen Schuberts. Seiner musikalischen Nachgestaltung geht wie stets die dichterische konform, ja voran, denn jede Phrase, jedes Melisma. jedes Intervall ist gleichsam dem Sinn des Wortes nachgelauscht und nachgesungen, nichts mehr ist. zufällig oder selbstherrlich da, alles ist eingeordnet in das Mosaik des fast zärtlichen Füreinander von Text, Musik und Darstellung, vielfach nur andeutungsweise da, aber doch ganz aussagend, nur mittelbare Traumromantik zur Unmittelbarkeit belebend. Patzak gibt jeder Silbe genau so viel — oder so wenig — Ton, als ihr Gewicht innerhalb des Ganzen verträgt, aber Maß und Gewicht sind von ihm so ausgewogen, als hätte er Jahre daran studiert (und hat es wohl auch ein langes Leben lang).

Friedrich G u 1 d a ist ein sehr „moderner“ Künstler: intellektuell, technisch hochbegabt und von einer geistigen Leidenschaft für das Reinmusikalische einer Komposition erfüllt. Damit kommt man bei manchen Werken sehr weit; die genannten Qualitäten genügen, sie „auszuschöpfen“. Eine besondere Beziehung hat Gulda außerdem bekanntlich zum Sonatenwerk Beethovens, das er meisterhaft interpretiert. An seinem letzten Klavierabend in dem bis auf den letzten Platz besetzten Großen Musikvereinssaal, spielte er Kompositionen, zu denen er — mit Ausnahme der sechs gewichtigen Bagatellen op. 126 und der 32 Miniaturvariationen c-moll von Beethoven — kein unmittelbares Verhältnis zu haben schien (Mozarts Phantasie c-moll, Haydns Sonate Es-dur und vier Balladen von Chopin). Wir möchten Gulda bald wieder einmal mit einem ganz anderen Programm hören. .. ;

Gerty Herzog, als Interpretin neuer Musik bekannt und anerkannt, spielte an ihrem Klavierabend im Mozart-Saal Werke von Händel, Haydn, Beethoven, Schumann und Bartök. Infolge einer gleichzeitig stattfindenden Veranstaltung in der Akademie konnte der Referent nur den zweiten Teil des Programms hören. Gerty Herzogs Darbietung der Phan-tasiestücke op. 12 von Schumann ließ jedenfalls keinen Wunsch offen: man kann sich diese acht Stücke kaum romantischer, gefühlvoller und brillanter gespielt vorstellen.

Carl Schuricht dirigierte im Großen Konzerthaussaal die Wiener Philharmoniker. Er ist der prädestinierte Interpret der Beethoven-Symphonien mit den geraden Zahlen. Die ersten beiden Sätze der IV. Symphonie haben wir selten so graziös und ausdrucksvoll gehört. Bei Bruckners Neunter war alles „richtig“, wie bei Volkmar Andreae, nur um einige Grade leichter, beweglicher und geistiger. In dem hellen und freundlichen Licht, das von diesem Fünf-undsiebzigjährigen ausgeht, sieht man dem Architektonischen und Strukturellen eines Werkes bis auf den Grund. Um so tiefer neigt man sich vor dem unergründlichen, hohen Geist, der dem Dorfschul-lehrerssohn aus Ansfelden diese erhabene Musik eingab.

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