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Gestalten und Gestalter

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Schuberts „Winterreise“, diesen tragischesten aller Liederzyklen, zum unmittelbaren Erlebnis zu gestalten, gelang der vergeistigten Interpretation Julius Patzaks auf einer seit den Tagen Richard Mayrs nicht mehr gekannten Höhe, obwohl der Künstler

— oder weil er — alles rein Stimmungsmäßige streng vermied und trotz der gedämpften Tönung die textlich-melische Linie in absoluter Genauigkeit nachzeichnete. Patzak ist ein Dichter der Stimme, der für jeden Vers, für jedes Motiv den gleichsam selbstverständlichen Ausdruck findet, ohne sich auch im größten auszugeben. Bei sparsamstem Einsatz seiner dynamischen Reserven ist deren Kraft hinter jeder Phrase spürbar und erzeugt eine einzigartige Spannung. Wie hoch Patzak über den landläufigen Sdiuber-tianern steht, bewies die fast premieren-hafte Wirkung des „Lindenbaums“.

Franz Völker, der lange nicht Gehörte, brachte an seinem Liederabend wenig/ Neues. Seiner Stimme Glanz ist immer noch da, wenn auch ein wenig blasser, seine Ausdruckskunst, der Patzaks entgegengesetzt, beruht mehr auf dynamischer Charakteristik als auf Verinner-lichung. Rein lyrische Gesänge wollen nicht recht überzeugen, um so mehr dagegen die dramatisch angelegten, weshalb der durchschlagende Teil seines Programms aus den Arien bestand, bei deren Wiedergabe auch seine Erscheinung das absolut Reale verliert, das ihr bei den Liedern etwas widerspruchsvoll anhaftet.

Hans Hotter danken wir einen der eindrucksvollsten Liederabende des Jahres. Noble verhaltene Empfindung, die nie zu Weichlichkeit eindickt (Schumann), großer tragischer Stil mit warmem Herzton (Brahms' Vier ernste Gesänge) und aus dem gleichen Herzton entspringender Humor, der auch lachend Haltung bewahrt und nie zur Kapriole wird (Hugo Wolf), sowie ein Vortrag, dessen Ausdrucksfähigkeit keiner nachhelfenden Mimik oder Gestik bedarf, legitimieren Hotter als einen unserer besten Liedersänger und geschmackvollsten Interpreten.

Aus Wilhelm Backhaus' Beethovenhänden erwuchs ein klassisch schönes unsentimentales Chopin-Spiel, das die ausgewogene und gediegene Formkunst des französisch-polnischen Meisters in um so helleres Licht rückte, je mehr es die unkonturierten romantischen Zwischenlichter mied. So sehr man

über das „Chopinsche“ dieses Chopin-Spiels geteilter Meinung sein mag, bleibt die Meisterschaft einmalig, mit der Backhaus den abendlichen Liebling der Salons in hellstes Sonnenlicht stellte und ihn damit für die Gegenwart gleichsam neu entdeckte, wenn auch mehr als den feinsinnigen überlegenen Könner, als den umschwärmten Liebling der George Sand. ,

Einen Bratschenabend, dessen Programm sie allerdings nur zur Hälfte allein bestritt, gab Herta Schachermeier und bewies bei Händel und Brahms großen Stil und vollen breit ausschwingenden Ton. In den mit Edith Steinbauer musizierten frischen und kühnen Duostudien für Geige und Viola von Fritz Skorzeny blieb die Noblesse der Ausführenden das übermütige Temperament schuldig. Den volltönenden Abschluß bildete Otto Siegls meisterliches Concertino für Bratsche und Streichquartett, an dessen Ausführung das Steinbauer-Quartett und der Komponist selbst mitwirkten.

Im Barocksaal des Verlagshauses Doblinger spielte das Prix-Quartett Beethovens op. 59/3 in sorgfältig abgetönter Wiedergabe, ohne den letzten Beethovenschen Schwung zu erreichen. Dagegen durfte Oswald Lutz mit der Wiedergabe seines liebenswürdigen Streichquartetts c-moll, op. 57, dessen Schlußsatz gleichwohl für unser Gefühl zu kurz ist, zufrieden sein. Die beste Leistung der Ausführenden wurde Josef Suks temperamentvolles Klavierquintett, dessen Klavierpart Prof. Frotzler betreute.

Tennysons „Enoch Arden“, von M a r t a v. Mainprugg vorgetragen, erwies sich im Gegensatz zur dazu komponierten melodramatischen Musik von Richard Strauß immer noch wirkungsvoll, ergreifend und — durch die große Kunst der Vortragenden — als nachhaltiges Erlebnis. Die Musik, der Hermann Nordberg ein aufmerksamer Interpret war, wirkt reichlich antiquiert. Der Name des Komponisten bannt ein schlimmeres Wort, das sonst leicht entschlüpfte. Jedenfalls: fehlte die Musik, fehlte nichts. Prof. Fr. K r i e g

Im British Council spielte Edith Bertschi n g e r englische Violinmusik aus drei Jahrhunderten: eine 6chönklingende, klassizistische Sonate in G von James Lates (1710— 1777), die Sonate Nr. 2 von Frederick Delius — romantisch-impressionistische Musik aus zweiter Hand — und drei Sätze aus Benjamin Brittens klanglich aparter und virtuoser Suite op, 6, die bereits bei einem Kammerkonzert der IGNM ihre Wiener Erstaufführung erlebte. Höhepunkt dieses Violinabends war die G-dur-Sonate von Brahms. Sie wurde von Edith Bertschinger nicht nur technisch hervorragend gespielt, sondern auch im Stil und Geist richtig erfaßt. „Tzigane“ von Ravel sowie Zugaben vom gleichen Komponisten und von de Falla brachten eine farbige, südliche Note in das etwas spröde Programm und stellten gleichsam das europäische Gleichgewicht wieder her. Hans Kann war ein virtuoser und sicherer Begleiter, dessen zarter Anschlag im Portamento aufhorchen ließ.

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