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Vollendung im Kleinen

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Irmgard Seefrieds gereifte Liedkunst entfaltete ihre Meisterschaft in Gesängen von Mozart und Pfitzner. Ausdruck, Tönung und Stilbeherrschung der beliebten Künstlerin sind mehr als gekonnt, sind aus der musikalisch-seelischen Substanz erfühlt, wodurch der gemüthafte Unterton ebenso „sitzt“ wie der melische und dynamische Bogen. Darauf beruht die Wärme ihres Tones und das un-' mittelbare Erlebnis ihrer Interpretation, dessen spürbare Trägerin — ein im Letzten doch wieder dramatischer Zug — immer sie selbst im subjektivsten Sinn ist. Dadurch auch wächst ihre Spannkraft mit der Bedeutung des Dargestellten, und aus dem gleichen Grund gerieten die Weihnachtslieder von Cornelius sowie einige kleine altmeisterliche Gesänge nicht weit über die Liebenswürdigkeit hinaus.

Dietrich Fischer-Dieskau ersang sich mit den 24 Liedern der „Winterreise“, des schwierigsten aller Liederzyklen, einen stürmischen Erfolg. Der erstaunlich biegsamen und doch fest verankerten Tragfähigkeit seiner stimmlichen Mittel (große Phrasur, langer Atem, Variabilität der Tönung) entspricht eine Reife der gedanklichen Durchdringiuig, die irgendwie an Julius Patzak erinnert. Der weite Kreis vom „Gute Nacht“ bis zum „Leiermann“ wurde ohne das geringste Abgleiten in Spannung und Differenzierung durchmessen. Das Untergründige, Transzendentale war unleugbar vorhanden, wenn auch nicht das im tieferen Sinn Wienerische, das auch in die dunkelste Trauer noch einige Trostlichter zu setzen vermag.

Der Violoncetloabend Gaspar Cassados gipfelte in einer Stil- und ausdrucksmäßig vollendeten Wiedergabe der F-dur-Sonate von Brahms, opus 90, darin sich der volle, singende und doch so zarte Celloton, trotz allen Eigenlebens immer im organischen Spannungsverhältnis zum Klavierpart (Professor Schulhof), in großen Bögen ausschwang. Der zweite Teil des Abends vermochte diesen Eindruck nicht mehr zu steigern, zumal man die G-dur-Solosuite von J. S. Bach, von Mainardi musiziert, noch in bester Erinnerung hatte, die von der neuen Wirklichkeit nicht überboten wurde.

Yaltah M e n u h i n als Pianistin und Michael Mann als Bratschist musizierten ein Programm modernster Musik mit jener bescheidenen Selbstverständlichkeit, die sich im vollkommenen Dienst des Werkes genügt und dadurch mit ihm verschmilzt. Dies neben dem hohen künstlerischen auch mit dem anderen Ergebnis, daß selbst die Hörschwierigkeiten gewisser Kompositionen (Kreneks Sonate, Strawinskys Elegie) ihre Schrecken verlieren und ihre Tonfolgen als Organisches erfühlt werden, während Darius Milhauds „Quartre Visages“ und Ernest Blochs „Visions and Prophecies“ in ihrer vornehmen, kaum mehr als problematisch empfundenen Schönheit fast klassisch anmuten. Der nicht sehr große, aber warme und schwingende, nur gelegentlich noch zaghafte Ton der Bratsche wurde durch anschlagleichtes, helles, gleichsam blondes Spiel der (in der Leistung bedeutenderen) Pianistin aller Schwere ent-, hoben.

Das zu den beliebtesten Wiener Gästen zählende Pascal-Quartett stellte diesmal durch die unvergleichlich schöne Wiedergabe des Streichquartetts von Maurice Ravel, das in Wien vielleicht noch nie in solcher Vollkommenheit gehört wurde, seine eigenen vorangehenden Leistungen in den Schatten. Denn der Vortrag von Mozarts Quartett K. V. 387, von kristallener Klarheit des Klanges, exaktester rhythmischer Unterbauung und spielerisch ernstem Zusammensingen der Stimmen, war der mozartschen Fülle so voll als Beethoves opus 95 mit seiner unruhigen Diktion und komplizierten seelischen Haltung des tragischen Ernstes und Aufschwungs. Das jeder Nuance phantastisch eng anliegende Kleid dieses vierstimmigen Meisterinstruments ist Klang, Ausdruck und Universalität in untrennbarer Einheit.

Robert Schumanns „Davidbündler“ opus 6 haben von ihrer romantischen Aktualität viel eingebüßt. Die dadurch gegebene Gefahr der Spannungslosigkeit im Rahmen des Möglichen vermieden zu haben, kann Felicitas Karrer( als bedeutende Leistung für sich buchen. Die Entwicklung dieser Künstlerin vollzieht sich in klarer, ruhig ansteigender Linie, in gleichsam behüteter Atmosphäre, die Sprunghaftem ebenso abgeneigt ist als beharrendem Genügen. Eine Steigerung der seelischen Be-schwingung und persönlichere Profilierung des Ausdrucks müssen noch erwartet werden, die ihre vielseitigen stilistischen Kenntnisse (Haydn, Brahms, Ravel) vom noch überwiegend Formalen lösen.

der profiliei testen Komponisten Wiens ist H. E. Apostel, dessen strenges Werk gewogen und nicht gemessen sein will. Anläßlich seines 50. Geburtstages wurden einige Kammermusikwerke aufgeführt. Die Wahl der Liedertexte (Rilke, George, Möm-bert) sowie die eigenen, an großen Vorbildernorientierten Dichtungen H. 1. Apostels sind bezeichnend für eine gewisse Esoterik seines Schaffens. Doch fehlt dieser Musik — trotz ihrer konstruktiven Logik — nicht der Hintergrund, die starke und bezwingende Atmosphäre. Es ist daher sehr begreiflich, daß sich der Komponist zu den Graphiken Kubins hingezogen fühlt, von denen er sich m zehn Klavierstücken inspirieren ließ. (Hans Kann und Dorothea Fraß waren die Interpreten. Als Intermezzo wurden drei Inventionen aus dem Zwölftonwerk und eine „Passacaglia in memoriam Alban Berg“ von Hanns Jelinek vorgetragen.) H. A. F.

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