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Spiel und Widerspiel

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Im Kontrapunkt der Zeiten entfaltet das kanunermusikalische Geschehen die stärksten, wenn auch nicht die lautstarksten Spannungen. Tiefste Bindung an Traditionelles und kühnster Vorstoß ins Neuland werden vielfach zu erregendster Wirkung in die Nachbarschaft eines Abends geballt. Janusgesichtig, nach Gestern und Morgen weisend, musizierte uns Paul Hindemith in französischen Danserien und deutschen Ghoriiedern (Kostbarkeiten, die ihm als Bearbeiter besonders am Herzen liegen), das 16. Jahrhundert, gleichsam als Gobelin zu seinen eigenen Werken, vor, deren Interpretation wesentlich natürlicher gelang. Zwischen Haydn und Beethoven stellte das Neuie Wiener Streichquartett Josef Marx’ dithyrambischen „Quartette in modo chromatico”, das sich in seiner wohlklangtrunkenen Bewegtheit unter Könnern wie von selber musiziert — und so geschah es. Maurice Ravels einziges Streichquartett wurde subtilster Mittelpunkt eines Meisterabends des Barilly-Quartetts zwischen Wiener Klassikern, verlor allerdings gegen Mozarts g-moll-Quintett und seine seelische Problematik sein Gewicht und behielt nur sein apartes Gesicht.

Mit Motetten und Madrigalen des 16, und 17. Jahrhunderts stellte sich die Wiener Kantorei vor. Stimmliche Abgetöntheit und stilistisches Verständnis erwiesen die Berufenheit ihres Dirigenten Dr, Hans Gillesbcrger in erfreulichster Weise. Der herbfrische Klang der Bubenstimmen triumphiert in dieser Musik über den besten Frauenchor, wenn auch zwischen Lederhosen und Palestrina kein zwingendes Verhältnis besteht. Zu gleich sorgfältig und stimmlich hervorragender Wiedergabe eines allerdings trotz seiner Vielfalt im Grunde spannungslosen Programms vereinigten sich der Wie n e r - Leh re r- a-capella-Chor und die Wiener Sängerknaben. Palestrinas „Laudate Dominum” wirkte recht modern, während etwa in Kirchls „Es muß ein Wunderbares sein” und Othe- gravens „Leiermann”, die Liedertafel fröhliche Urständ feierte. Vergangenheit wird eben um so fruchtbarer und lebendiger, je weiter sie zurück- liegt. Nur das unmittelbar Überwundene wirkt veraltet.

Mit einer Josef-Lechthaler-Gedenk- stunde beging die Musikakademie (Abteilung für Kirchenmusik) sowohl durch die hervorragende künstlerische Leistung als durch die menschlich und monographisch bedeutende Rede Professor Dr. Emst Tittels eine des großen Dahingeschiedenen würdige Feier. — Dem Andenken Carl L a f i t e s widmete die Gesellschaft der Musikfreunde einen Liederabend, dessen Auswahl, von ersten Kräften interpretiert, seine künstlerische Vielseitigkeit und wienerische Verbundenheit gleicherweise betonte, wobei seine unnachahmlichste Begabung, die des Begleiters, der ,,zu folgen und dabei unmerklich zu führen verstand”, von Erik Werb betreut wurde. — Kurt S c h m i d e k, der jungen Generation zugehörig, spielte eigene Klavierkompositionen, die zuweilen aufhorchen ließen, als Gesamteindrude jedoch nicht die Klarheit seiner selbstgesprochenen Einführungsworte erreichten. Besonders die Neigung zum Grotesken, erstes Ergebnis oonaler Auflockerung, weist zu viel Selbstgefälligkeit auf. Doch scheint, falls das Kompositorische dem Kompositionstechnischen entspricht, was diesmal nicht zu beweisen gelang, von Schmidek Erfreuliches zu erwarten.

Stilistisch und räumlich ins Große wirkend wir vor allem der Klavierabend Friedrich Wührers, dessen Meisterleistung in einem vollendet interpretierten Programm Schuberts B-dur-Sonate, op. posth. blieb. Wührers von klassischer Klarheit und romantischem Fluidum erfülltes Spiel, stärkster persönlicher Ausdruck und gewogenstes Maß zugleich, steht heute an der Spitze heimatlicher Leistung. — Franz S c h ü t z’ Orgelkonzert, ausschließlich J. S. Bach gewidmet, erreichte in der eigenartigen Differenzierung der viersätzigen Pastorale und in der Wucht der Passacaglia und Doppelfuge c-moll seinen zweifachen Höhepunkt. Dagegen möchte man die neuestens unvermeidliche „Große Es-dur” gerne einmal vermissen. Durch die strikte Absage an die Gegenwart auf dem Programmzettel („Wir halten heute bei Pfitzner, Reger, Strauß und Schmidt; ,Vedetten’ mögen bei Hindemith stehen!”) erhielt das Programm einen überflüssig demonstrativen Charakter.

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