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Bewährung auf Wiener Boden

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Die diffizilere Wirkung 6olistischer Kunst vor dem Ensemble beruht über verfeinertes und gesteigertes technisches Können hinaus auf subtileren seelischen Spannungen und der sie (und damit die Intensität des Erlebnisses) vermittelnden Persönlichkeit des Interpreten. Letztere allein vermag beispielsweise verstaubte, überlebte Verse in vollendeter Gesangskunst, die immer auch eine Kunst der Textgestaltung ist, wieder gegenwärtig zu machen, wie es Dietrich Fischer- Dieskąu in Schuberts Zyklus „Die schöne Müllerin“ so überzeugend gelang, daß man wieder einmal versucht war, Schubert für die Moderne zu beanspruchen. Zweifellos gehört Fischer-Dieskau überhaupt zu den besten Interpreten Schuberts, den er in singender Vollendung nachdichtet. Ähnlich vermochte Emanuel List durch seine künstlerische Persönlichkeit ein recht buntes Programm zur Einheit zu binden und damit zum nachwirkenden Erlebnis zu gestalten. So bunt es übrigens war, lag es doch absolut auf den Linien feiner vielseitigen Fähigkeit, auch darin ein Zeichen meisterlicher Reife, die ihr Kraftfeld kennt und nicht darüber hinausgreift. Sein Wesensgebiet ist allerdings die Oper und sein Hauptzug ein feiner Humor, der auch ihn zum Dichter macht. Gleiche Vollendung bot in ihrer Art die Negersopranistin Helen Phillips, deren Liederabend zu den bisher eindrucksvollsten des Jahres zählt und für deren Kunst der würdige Rahmen des Musikvereins sich besser geeignet hätte als der anspruchslosere des Kosmos-Theatere.

Es ist der alte musikträchtige und talentesammelnde Boden Wiens, der diese großen Sänger aus aller Herren Ländern anzieht und 6ich vor dem verwöhntesten und kritischesten Publikum bewähren läßt, das seine Abstriche macht, auch wo es höflich applaudiert und zwischen Meisterschaft und bloßem Charme wohl zu unterscheiden weiß. Ansprechende, aber ungleiche Leistungen bot der Liederabend Luise Helletsgrubers. Am besten gelang ihr Robert Schumann, am wenigsten überzeugend Johannes Brahm6, bei dessen Interpretation, die große Linie fehlte. Beredtes Mienenspiel und ausdrucksvolles Singen sind zwei verschiedene Dinge, und das entzückendste Lächeln ersetzt keine Tonstütze. Und es ersetzt noch weniger jenen indiskutablen Grad sicheren Könnens, auf dem künstlerische Gestaltung erst anfängt, wie dieß A. Brown bei ihrem Liederabend erfahren haben dürfte, die, leider ohne diese Voraussetzung, sogar nach Liedern von Arnold Schönberg griff. Doch Jugend schießt gerne übers Ziel, und auf dem dadurch geschaffenen Spannungsfeld erfolgt bei den guten Kräften die Besinnung, die nach langer Lehr- und Wanderzeit die besten zur Meisterschaft führt

Jörg Demus und Paul Badura- Skoda zeigten in einem Konzert mit Klaviermusik zu vier Händen, wie weit es einige von den Zuhörern, die den Saal bis auf den letzten Platz füllten, hätten bringen können, wenn sie fleißiger geübt hätten und wenn, ja wenn sie auch so talentierte Wunderkinder gewesen wären, wie die beiden. Daneben erschlossen sie uns die Schönheit von je drei Originalkompositdonien von M o- z a r t und Schubert, unter denen wir den Grand Prix an Schuberts Variationen As-dur op. 35 reichen möchten: wahre Wunderwerke poetischer Phantasie und überreich an melodisch-harmonischen Einfällen.

Eine fesselnde, scharfprofiliierte Musiker- Persönlichkeit ist der aus dem Baltikum stammende, etwa 60jährige Pianist Eduard E r d m a n n. Kleine Stücke von W. Byrd, die F-dur-Sonate aus Mozarts Nachlaß und die „Pathetrique“ von Beethoven glaubte man zum erstenmal 6o „klassisch“ zu hören, weil die Verbindung von Strenge und Ebenmaß mit feinster Nüancierung so selten gelingt. Daß bei dieser Art der Interpretation auch Schumann und Schubert zu ihrem Recht kamen, erwies nicht nur den klassischen Rang der Phantaeiestüdce op. 12 und der Schubert-Sonate G-dur, sondern auch das universale Talent des Pianisten.

Daß die Wiederbegegnung mit einer Jugendliebe nicht zur Enttäuschung wurde, danken wir der in den USA lebenden skandinavischen Pianistin Stell Andersen. Sie spielte das Klavierkonzert von Edvard Grieg mit einem so genauen Gefühl für da6 Spezifische dieser Tonsprache, daß man an jene Zeit erinnert wurde, als uns beim Spielen der „Lyrischen Stücke“ Harmonien und melodische Wendungen — „non prius audita“ — bezauberten und musikalisches Neuland ahnen ließen … Ein gefälliges, aber nicht sehr eigenartiges Stück ist die „Fantasie pastorale“ für Klavier und Orchester, die Darius Milhaud für Stell Andersen schrieb. Den ersten Teil des Programms bildeten die Leonore-Ouver- türe Nr. 2 und das Klavierkonzert in Es von Beethoven, die J. Sternberg sicher und mit Elan dirigierte. Es begleitete das Volksopem- orchester.

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