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Zwanghaftes Schaffen

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Man hat mit ihm unendlich viel Schindluder getrieben: Von Rudolf Hans Rartschs „Schwammerl"-Ruch bis zur «unre-flektierten Lizitation eines Richard Heuberger, der Schubert leichthin als „größten Künstler aller Zeiten" apostrophierte, wurde an seiner Riografie bedenkenlos herumgebastelt. Ein Lebensbild, zurechtgezerrt von Generationen, die ihr schlechtes Gewissen dem „Fall Schubert" gegenüber beruhigten, indem sie Schuberts Armut und Naivität rosa verzuckerten, niedlich machten, verharmlosten. Vom Franzi vom Himmelpfortgrund über den gehätschelten Wuschelkopf vom Dreimäderlhaus bis zum erhabenen Liederfürsten reichte die Randbreite. Und dem gegenüber stand in seriöseren Fällen romantischer Musikgeschichtsschreibung das Porträt eines in unmenschlich armseligen Verhältnissen vegetierenden, ja verhungernden Heros der Musik.

Es bedurfte einiger Arbeit, diese Schubert-Klischees auszumerzen. Und so errechnete schon Otto Erich Deutsch in seiner Sammlung der Dokumente des Lebens Schuberts eine wesentliche Tatsache: Wenn der zu seiner Zeit ungemein populäre Liederkomponist Schubert auch aus seinen nicht gerade seltenen Konzertaufführungen nie regelmäßige Einkünfte bezogen hat, so bekam er doch relativ hohe Honorare für die Drucklegung vokaler und kammermusikalischer Werke!

Die Schubert-Forschung hat sich seit 1 Ieinrich von Kreißlers Riografie von 1865 bemüht, jede Spur seines Lebens und Wirkens aufzufinden. Dennoch hat sie bis heute eigentlich nicht genug „Reweismaterial" für sein vor allem in psychischer Hinsicht „problematisches" Leben gefunden, um ein „lückenloses" Rild im modernen Sinne zu rekonstruieren. Und das mag eine Hauptursache sein, daß die romantischen Verzeichnungen nie ganz verblaßten.

Das Rild „fröhlicher Armut" hängt allerdings auch mit einer von Schubert selbst erzeugten Tabuisierung seines Privatlebens zusammen. Einerseits suchte er seine Gefühle vor anderen zu verbergen; andererseits war er offenbar ein typischer Hypochonder mit autistischer Neigung: „Er besaß einen hochentwickelten Selbstwahrnehmungssinn, nur hat er ihn selten verbalisiert, sondern musikalisch ausgedrückt", konstatierte zum Reispiel Hans J. Fröhlich. „Aber wie sich, nach Meinung Kleists, Gedanken allmählich beim Reden verfertigen, konnte sich Schubert seiner Gefühle erst beim Komponieren ganz bewußt werden."

Wer sich bemüht, die Persönlichkeit Schubert zu verstehen, ist mehr als bei Mozart oder Reethoven auf das Werk angewiesen: Denn in manchen Perioden sind Zeitlücken schwer aufzufüllen, Zusammenhänge schwer zu rekonstruieren, Paradoxe schwer aufzulösen - etwa wenn Schubert schreibt: „Es geht mir überhaupt sehr schlecht ... ich mach mir jedoch nichts draus und bin lustig." Da wurde es selbst für die engsten Freunde -Eduard von Bauernfeld, Moritz von Schwind oder Leopold Kupelwieser -schwierig, die Probleme zu verstehen.

Geboren am 31. Jänner 1797 in Wien, gestorben am 19. November 1828 in Wien. Er war kein Wunderkind, das Europas Höfe entzückte, und ist nie auf dem Schoß einer Kaiserin gesessen, er war kein Lebemann, hatte keine romantischen Leidenschaften. Kein Wunder, daß die romantische Biografie hier einen Mangel durch die naive Poesie und damit durch Unterstellungen auffettete: Dem 19. Jahrhundert mit seiner Freu -de am Genie- und Künstlerkult blieb es vorbehalten, Schuberts Bild zwischen olympischer Entrückung und Geniegroteske zu (ver-)zeichnen.

Neun Symphonien, zehn Ouvertüren und Orchesterwerke, mehr als zwei Dutzend Streichquartette, Opern („ Alfonso und Estrella", „Des Teufels Lustschloß", „Die Freunde von Sala-manca", „Fierrabras" und andere), die erst heute von Künstlern wie Nikolaus Harnoncourt tatsächlich der Vergessenheit entrissen werden, ein halbes Dutzend Singspielmusiken, über 600 Lieder, sieben Messen, geistliche und etliche Chorwerke, vielfältige Klavierwerke, darunter monumentale Sonaten - der (Euvre-Lawi-ne eines Beethoven steht Schuberts Werkkatalog nicht wesentlich nach.

Fünf, sechs Lieder pro Tag, ein Streichquartettsatz pro Vormittag, eine Ouvertüre in einer Woche, Klaviersonaten oder Messen sind trotz Schuberts pedantischer Arbeitsweise durchaus möglich. Bekannt ist, daß er beim Komponieren alles vergißt: Kleidung, Essen, persönliche Pflege, Wohnprobleme. Vorausgesetzt, daß der Vorrat an Stimulantia reicht, also daß Tabak, Kaffee und Tee reichlich vorhanden sind (wie er auch sonst im

Freundeskreis Alkohol reichlich konsumiert). „Ich bin für nichts als das Componieren auf die Welt gekommen ", resümiert er selbst. Rücksichtnahme auf seine körperliche Situation ist bei dieser zwanghaften Schaffensentladung fast unmöglich.

Sein Intimus Anselm Hüttenbrenner ist bei einem Resuch in Schuberts Wohnung verwirrt, ihn „in einem halbdunklen, feuchten und ungeheizten Kämmerlein, in einen alten, fadenscheinigen Schlafrock gehüllt, frierend" am Schreibpult bei der Arbeit zu finden. Es ist auch verbürgt, daß er selbst im Rett komponierte. Und daß er nachts mit der Brille schlafen ging, um Einfälle gleich beim Aufwachen notieren zu können. Alles, jeder kleinste Einfall, wird registriert, um später verwendet zu werden. Als ob er spürte, daß diese Schaffensenergie nicht unbegrenzt ist und er nur mit strengster Ökonomie sein Arbeitspensum absolvieren kann.

Armut ist für ihn das Maß aller Dinge gewesen: Außer Papier und Feder hatte er wenig. In seinen ersten Jahren nicht einmal Geld, um „rastrierte Bögen" zu kaufen; er mußte die Notenlinien selbst ziehen. Mit Bleistift oder Tinte. Das kostete Zeit und drosselte die schöpferische Energie. Kein Wunder, daß auch die Gesundheit merkbar angeschlagen ist, wenn er etwa ab 1824 über heftige Knochenschmerzen klagt, dann über Schmerzen im linken Arm, so daß er nicht einmal Klavier spielen konnte. Unklar ist nur, ob diese Schmerzen von seiner Syphilliserkrankung herrührten oder von einem schweren Rheumatismus.

In der Fertigkeit des Komponierhandwerks war er allerdings als Schüler Antonio Salieris besonders gewandt: Erst diese Fertigkeit ermöglichte diese Schaffensentladungen bei sich steigernder Freiheit des Gestaltenkönnens. Ris zur Fertigstellung der Oper „Alfonso und Estrella" (1821/22) bleibt dieser Einfluß spürbar. Dann weicht er der Auseinandersetzung mit Reethoven. Denn immer stärker kristallisiert sich für ihn die Hauptfrage heraus: Wie und welchen Weg kann er nach Reethoven, der alles vollendete, weitergehen?

Während eine Armee mittelmäßiger Zeitgenossen, davon kaum belastet, ihre Erfolge einheimsten, kämpfte er - zuerst auf kleinstem Raum, dann in immer monumentaler werdenden Großformen - um eine Überwindung der Tradition, um Neuschaffen und wieder um Rückkehr zur Tradition. Vor allem auf dem Gebiet der Klaviersonate kommt es zur Krise: In den letzten drei Sonaten (c-Moll, A-Dur, R-Dur) ist die innere Wandlung im Denken und in der psychischen Lage Schuberts ablesbar (etwa so deutlich wie in den Liederzyklen von 1823 und 1827, den „Müllerliedern" und der „Winterreise" ). Da zeigt sich, wie er sich psychologische Vertiefung aneignet, wie er „Volkstümliches" allmählich abstreift und durch eine zunehmend kunstvoll gestaltende, ja instrumental empfundene Deklamation ersetzt.

„Freylich ist's nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer jugendlichen Gloriole umgeben scheint, sondern jenes fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine Phantasie (Gott sey's gedankt) so viel als möglich zu verschönen suche", schreibt Schubert 1824: Er hat begriffen, welcher tiefe Wandel sein musikalisches Denken und damit seine wachsenden Formen erfaßt hat. Ab 1826 geht es ihm nicht mehr um Einzelwerke, sondern um Ganzes: Um Zusammenhänge, die etwa die drei Klaviersonaten zu einer Einheit binden, oder um die Möglichkeiten „des Quartetts nach Reethoven" überhaupt. Zu seinem Freund Spaun meint er: „Zuweilen glaube ich wohl selbst im stillen, es könnte etwas aus mir werden: allein, wer vermag nach Reethoven noch etwas zu machen!"

Aber der Meister der schönen Melodien spielt längst nicht mehr Themen gegeneinander aus, sondern entwickelt aus kleinsten Keimzellen These und Antithese; er entwickelt einen „neuen Unterklang", den typisch Schubertschen Klangschleier. Klang und Klangfarbe werden ein auslösendes Moment. Der Akkord mit einer bestimmten Klangfarbe wird zur Initialzündung. Und er destilliert die Eigenart des Wienerischen, deren tragische Konfliktstoffe auch in den Diskrepanzen zwischen Wollen, Ideal und Realität zu suchen sind, zur Aura des Kunstwerks.

Schubert anerkennt die Klassik als „sein Maß", erlebt aber zugleich den Zwang, aus dem klassischen Maß ausbrechen zu müssen ... Er hat damit die Grundlagen für die Symphonien Rruckners und Mahlers gelegt.

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