6655401-1959_26_14.jpg
Digital In Arbeit

Der Komponist Hans Erich Apostel

Werbung
Werbung
Werbung

Im Gesamtbild der österreichischen Musik der Gegenwart spielt der Name Hans Erich Apostel eine wichtige, nicht zu unterschätzende Rolle, als der eines Musikers, der im Rahmen seiner Abkunft von der „Wiener Schule“ Schönbergs, trotz seinem immer wieder betonten Streben nach neuem Ausdruck, nach Unkonventionalität, nach technischem Raffinement den Zusammenhang mit den Gesetzen einer musischen Tradition nicht verloren hat. Apostels zahlenmäßig nicht allzu reichhaltiges, aber dafür geistig um so gehaltvolleres Schaffen repräsentiert heute nicht mehr die Avantgarde — die derzeit bereits vom musischen Zentrum beträchtlich abgerückt ist —, aber es ist bei allem Verbundensein zum Neuen doch stets Musik, von musischen Gesetzen, die einer ausgeprägten Idee der Form, des klassischen Maßes und vor allem dem Gedanken sehr persönlichen Ausdruckes verhaftet sind, bestimmt und gekennzeichnet.

So sehr auch die frühen Werke Apostels, namentlich seine Lieder, dazu angetan waren, ein ausschließlich lyrisch-empfindsames, weiches Gemüt ahnen zu lassen — man nannte den Komponisten eine Zeitlang den „begabtesten Lyriker des Schönberg-Kreises“ — so wenig würde dieses Bonmot heute hinreichen, diese Künstlerpersönlichkeit erschöpfend zu charakterisieren. Namentlich in den Arbeiten der letzten Jahre — den Haydn-Variationen, den Volksliedvariationen, dem „Rondo ritmico“ und dem noch nicht vollendeten Klavierkonzert — kommt eine Charakteristik zum Ausdruck, deren Verbindung zu klassischem Formgefühl und formalem Gleichgewicht, zu strenger, logischer, übersichtlicher thematischer Arbeit, zu genau durchdachtem Kontrapunkt, zu reichgegliederter, lebendiger Rhythmik stärker und zwingender erscheint als zu bloßer lyrischer Empfindsamkeit, wie dies die früheren Arbeiten zu verraten scheinen, vor allem die Lieder aus früherer Zeit, die wohl geeignet erscheinen, beispielsweise den lyrischen Ausdruck eines Rainer Maria Rilke oder Georg Trakl musikalisch zu ergänzen, beziehungsweise musikalisch zu symbolisieren.

So stellt sich die Erscheinung des Komponisten Hans Erich Apostel heute als eine glückliche Synthese echter, warmer Empfindung mit profundem intellektuellem Wissen um Architektonik und Logik der musikalischen Form dar, als glücklicher zeitgenössischer Musikertyp, der um seine Fähigkeiten und — seine Grenzen weiß und darnach handelt. So hat Apostel in der ganzen Zeit seines Schaffens immer bloß absolute Musik geschrieben und niemals den Weg zur musikalischen Bühne beschritten — möge ihm dies auch von verschiedenen Seiten wiederholt geraten worden sein — und präsentiert sich heute, in seinem 59. Lebensjahr, als wohlausgewogene, abgerundete, in sich vollendete Musikererscheinung von durchaus „apollinischem“ Typus, mit hohem ethischem Verantwortungsgefühl seiner Kunst gegenüber, das heranzubilden wohl die strenge Schulung durch Schönberg und Berg entsprechend mitgeholfen haben mag.

Apostels musikalische Begabung zeigt sich schon frühzeitig, weshalb ihm schon im Knabenalter Unterricht in den musikalischen Disziplinen zuteil wurde. Im Munzschen Konservatorium in Karlsruhe nahm sich der Leiter der Anstalt, Direktor Münz, persönlich seiner an und unterrichtete ihn selbst im Klavierspiel und den Grundlagen der Musiktheorie. — Im Verlauf seiner jugendlichen Musikausbildung beschäftigte sich Apostel auch mit Instrumentalstudien — außer mit dem obligaten Klavierspiel —, und zwar waren es die Streichinstrumente und einige Blechblasinstrumente, mit denen er sich befreundete und deren Gebrauch er in einem solchen Grad erlernte, daß er in Ensembles mitspielen konnte, beispielsweise bei den Karlsruher städtischen Promenadenkonzerten, wo Apostel sich zeitweise als Tuba- oder Tenorhornbläser betätigte. In einem Falle war es also ein Baßinstrument, im anderen ein Mittelstimmeninstrument, das sich der junge Musiker gewählt hatte, wodurch sein Klangbewußtsein und sein Gefühl für einen gut klingenden und gut „liegenden“ mehrstimmigen Satz schon frühzeitig unterstützt und ausgebildet wurde, was seinen kompositorischen Aspirationen sehr zustatten kam. Auch seine später folgenden Tätigkeiten als Korrepetitor, Chor- und Bühnenkapellmeister (hierzu hatte er sich das technische Rüstzeug im Dirigentenkurs bei Heinrich Lorentz in Karlsruhe erworben) wurden ihm durch die erworbenen praktischen Erfahrungen und Kenntnisse wesentlich erleichtert. Heute noch erblickt Apostel in diesen jugendlichen praktischen Betätigungen wichtigere Bausteine zu seiner Harmonisierungs- und Instrumentationstechnik, als in allen bloß theoretischen Vorstudien.

Auf diese Weise konnte Apostel im Jahre 1920 schon mit einem gewissen musikalisch-technischen Rüstzeug bewaffnet nach Wien kommen, um hier Schüler Schönbergs, den er schon lange vorher kannte und verehrte, zu werden. Milieu und Atmosphäre Wiens und im Kreise um Schönberg sagten dem jungen Musiker so sehr zu, daß er 1921, also als Zwanzigjähriger, endgültig nach Wien übersiedelte, um sich hier vollkommen dem Komponieren und dem Studium der Kompositionslehre im Rahmen des Jüngerkreises um Schönberg zu widmen. Die Disziplinen der Kompositionslehre und der Analyse lernte Apostel bei Schönberg selbst, während er bei Alban Berg — mit dem er in der Folge auch weiterhin in persönlicher Freundschaft verbun den blieb — das Studium des Kontrapunkts und des „strengen Satzes“ betrieb. Sein Studium und seinen Unterhalt verdiente sich der junge Musiker durch Lektionen und gelegentliche musikalische Mitwirkungen. Auch vor einer Betätigung im Rahmen der sogenannten Unterhaltungsmusik schreckte Apostel nicht zurück. (Unter dem Namen „Hans Post" schrieb er Chansons und begleitete er am Klavier verschiedene Diseusen und Kabarettsängerinnen).

Im Studium bei Schönberg und Berg war es Apostel dann möglich, sich jenes musikalische Fundament zu erarbeiten, das die kompositorische Tätigkeit dieses Musikers bis zum heutigen Tage, entscheidend formte und bestimmte. Einen besonderen Gewinn hatte Apostel aus Schönbergs Analysen klassischer Meisterwerke — vor allem der Werke Beethovens — gezogen und sich die Prinzipien der thematischen und motivischen Arbeit der Klassiker voll zu eigen gemacht, wie dies auch im pädagogischen Plan Arnold Schön bergs stets gelegen war. Apostel, der zeitlebens die thematische und motivische Arbeit, das Wissen um Herstellung, Auswertung der Vertiefung des Moments des „musikalischen Zusammenhanges“ — wohl über Schönbergs Anregung — in seinem künstlerischen Wollen und Planen obenan stellte, beruft sich gerne auf Beethoven als sein unverbrüchliches Ideal, bei dem er einfach „alles gelernt“ habe. (Wohl eine

Reminiszenz an die wirklich meisterlichen Analysen durch Schönberg.) Verhalte sich dies wie immer, aus diesem Ausspruch geht die geistige und künstlerische Haltung Apostels, seine Verbundenheit zum Gedanken der klassisch klaren „absoluten Musik“ klar hervor; sein Profil ist also keineswegs allein bestimmt durch den, eigentlich nur in der Frühzeit zutage getretenen Hang zum Bekenntnis einer rein lyrischen Vorliebe, die seinerzeit wohl teilweise auf das Konto der frühzeitigen engen Verbindung zu Alban Berg und seiner durch Mahler mitgeformten musikalischen Ausdruckswelt zu setzen war.

Der Musiker Hans Erich Apostel präsentiert sich uns als eine glückliche Summe aller in ihm enthaltenen Komponenten, als ein idealer Musiker, der auch als Schönberg-Schüler, ob seiner starken musischen Persönlichkeit, nicht an der rein konstruktiven, mechanistischen Reihentechnik der Schönbergschen Zwölftonschule „hängengeblieben“ ist, sondern es mit Glück verstanden hat, auch diese Prinzipien im Sinn einer größeren künstlerischen Freizügigkeit entsprechend individuell zu modifizieren. Apostel arbeitet nicht mit streng reihenmäßig beibehaltenen Tonfolgen, sondern mit verhältnismäßig freier organisierten Komplexen aller zwölf Töne; die nötige Ordnung und Folgerichtigkeit im Aufbau des Musikstückes ergibt sich dann aus der Beibehaltung der im klassischen Sinn zu verstehenden Motiv- und Themenarbeit, welche Schaffensweise wohl auch durchsichtiger und auch für nicht geeichte Zwölftonmusiker leichter verständlich und faßbarer sich darstellt. Sowie die frühen Werke, die noch keiner Zwölftontheorie, sondern vielmehr einer rein tonalen Struktur unterworfen sind (etwa im Sinne der Tristan-Chromatik), stets von einer strengen, durchaus von der Klassik herkommenden thematischen und motivischen Arbeit getragen erscheinen, so sind auch — und zwar in steigendem Maße — die späteren Arbeiten unzweifelhaft nur von dieser Warte aus zu verstehen. So zusagen Schulbeispiele für Apostels Kompositionstechnik und Stilbild mögen die „Haydn- Variationen“ (aus dem Jahre 1949), das hochkonzentrierte, auch musikantischen Ansprüchen höchsten Tribut leistende „Rondo ritmico“ (komponiert 1957) und das zur Zeit der Abfassung dieses Aufsatzes noch nicht ganz vollendete Klavierkonzert (begonnen 1957) darstellen. Hier erkennt man unmißverständlich, daß es Apostel niemals auf die Ueberbetonung eines intellektuell konstruktiven Gedankens angekommen ist, ebensowenig freilich auf die Alleinvorherrschaft eines Gefühlsmoments etwa im Sinn der romantischen Linie des 19. Jahrhunderts, welchen Tendenzen stets ein ausgeprägtes und echt empfundenes — niemals erklügeltes und konstruiertes — Formgefühl gegenüberstand. Eine reiche harmonische und instrumentatorische, stets an ehrlicher praktischer Erfahrung und ein — trotz der Betonung der reinen Linienzeichnung — teilweise aus den Erkenntnissen der französischen Impressionisten genährtes Klangbewußtsein stand hier zur Verfügung und befähigte Apostel dazu, mit vollem traditionsverbundenem technischem Rüstzeug seinen Weg als echt expressionistischer Musiker zu gehen, als echter Apostel von Schönbergs Errungenschaften und Gedanken, auch wenn Apostels „Zwölftonkomposition" — als aus einer wesentlich freieren, undoktrinäreren Konzeption hervor egangen — mit der Strenge des Konzepts seines Meisters und etwa seines strengsten Schülers und Fortführers Webern nicht allzuviel zu tun hat und stets erfreulich selbständige, individuelle, niemals nachgeahmte Wege ging.

Hans Erich Apostel, heute wohl auf dem Zenit seiner künstlerischen Reife angelangt und imstande, auf ein zahlenmäßig zwar nicht allzu reichhaltiges, aber dafür um so inhaltsschwereres Lebenswerk zurückzublicken, ist seit mehreren Jahren auch dem österreichischen Staatsverband beigetreten und Gegenstand zahlreicher, seine integre künstlerische Erscheinung ebenso wie seine Leistungen würdigender Ehrungen geworden. So wurde ihm, der immer nur als privater Musiklehrer gewirkt hatte, 1948 der Titel eines Professors verliehen; für sein auf Texte Rilkes geschriebenes Chorwerk „Requiem“ wurde ihm von der Universal-Edition, die die meisten seiner Werke verlegt hat, bereits 1937 der sogenannte „Hertzka-Preis“ zuerkannt; ihm folgte 1948 der Große Kunstpreis der Stadt Wien, der staatliche Förderungspreis 1952, der große staatliche Würdigungspreis 1957, die österreichische Sektion der „Internationalen Gesellschaft für neue Musik“ wählte Apostel für die Periode 1948 bis 1950 zu ihrem Präsidenten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung