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Eine lateinische Messe von Josef Matthias Hauer

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Nachdem man ein Jahr lang, nämlich im verflossenen 1974, den Erfinder der Zwölftonmusik, Arnold Schönberg, gefeiert hat, ist es an der Zeit, auch auf seinen großen Gegenspieler und Antipoden Josef Matthias Hauer hinzuweisen, der, fast zehn Jahre jünger als Schönberg, 1959 völlig vereinsamt und in mönchischer Armut gestorben ist. Zu Lebzeiten gab es zwischen den beiden Zwölftonkomponisten sehr unterschiedliche, aber stets spannungsgeladene Beziehungen, denn trotz eines ungenügend vorbereiteten Versöhnungsversüches blieb der Gegensatz aus persönlichen und sächlichen Gründen bestehen, und es kann nicht unsere Auf-, gäbe sein, festzustellen, wer recht hatte, und noch viel weniger, wer auf die Dauer recht behalten wird. .

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Nachdem man ein Jahr lang, nämlich im verflossenen 1974, den Erfinder der Zwölftonmusik, Arnold Schönberg, gefeiert hat, ist es an der Zeit, auch auf seinen großen Gegenspieler und Antipoden Josef Matthias Hauer hinzuweisen, der, fast zehn Jahre jünger als Schönberg, 1959 völlig vereinsamt und in mönchischer Armut gestorben ist. Zu Lebzeiten gab es zwischen den beiden Zwölftonkomponisten sehr unterschiedliche, aber stets spannungsgeladene Beziehungen, denn trotz eines ungenügend vorbereiteten Versöhnungsversüches blieb der Gegensatz aus persönlichen und sächlichen Gründen bestehen, und es kann nicht unsere Auf-, gäbe sein, festzustellen, wer recht hatte, und noch viel weniger, wer auf die Dauer recht behalten wird. .

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An Eigenwilligkeit und Selbstbewußtsein fehlte es ja beiden nicht. Man bedenke einmal den Satz, den Schönberg zu einem seiner nächsten Schüler und Vertrauten, Josef Rufer, gesagt hat: „Ich habe eine Erfindung gemacht, durch die die Vormachtstellung der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre sichergestellt ist.“ Au point de la lettre genommen ist das eine Ungeheuerlichkeit, die der zur jüngsten Wiener Gruppe zählende Komponist Otto Zykan zum Thema eines ganzen musikalischen Sketchs benützt hat. Und an Hauer, mit dem er damals in gut kollegialer Beziehung stand, schrieb Schönberg 1923: „Zeigen wir der Welt, daß die Musik wenigstens ohne die Österreicher zunächst nicht weitergefunden hätte, während wir die Fortsetzung wissen!“

Zwar gibt es von Hauer einen ähnlich aggressiven Ausspruch, nämlich: „Die Amerikaner haben die Atombombe, aber wir Österreicher haben die Zwölftonmusik.“ Doch ist dies einer jener spontanen Aussprüche des Einzelgängers, dessen Musik wahrhaftig durchaus gegensätzlich zu „Revolution“ oder „Atomexplosion“ ist. Denn Hauer wandte sich schon frühzeitig der indischen Mystik und der chinesischen Weisheitslehre zu. Und im Sinne und im Geist dieser seiner großen, fernöstlichen Vorbilder lebte er auch: völlig introvertiert, uninteressiert an den Veränderungen seiner Umwelt (nur die Nationalsozialisten und ihre Kunstlehre haßte er). Alle übrigen Produkte und Richtungen im „zeitgenössischen“ Schaffen von Mozart bis herauf zu den Jüngsten waren ihm völlig gleichgültig, größtenteils unbekannt. Beim letzten Besuch in seiner Wohnung, ein Jahr vor seinem Tod, stellte ich fest, daß er nicht nur keinen Plattenspieler, sondern auch keinen Radioapparat besaß. Die Bibliothek war auf wenige Bücher beschränkt, u. a. eine Hölderlin-Ausgabe, das I Ging, die Schriften des erst vor kurzem in seiner vollen -Bedeutung erkannten Philosophen Ferdinand Ebner; ein Stapel beschriebener und ein anderer Haufen unbeschriebener Notenblätter,eine winzige Zweizimmerwohnung mit Tisch, Regal, Kleiderschrank, Bett und, Stuhl — das war alles. Noch nach seinem Tod ist Schönberg der Sieger geblieben: Während man sein Haus, ein vielstöckiges Wohngreuel aus dem 19. Jahrhundert, unter Denkmalschutz stellte, wurde das bescheidene Häuschen, in dem Hauer die letzten 30 Jahre seines Lebens verbrachte und das zu einem reizvollen Biedermeierensemble gehörte, im Vorjahr durch eine clevere Baufirma, unter Umgehung des Denkmalschutzgesetzes, demoliert...

Auf die Wirkung Schönbergs und seiner Schüler in der ganzen Welt, auf die Vielfalt und auf den Erfolg wenigstens einiger seiner Werke braucht nicht hingewiesen zu werden. Hauer war und blieb ein Esoteriker, der keine eigentlichen Schüler, sondern nur unproduktive Adepten seiner Lehre und Verehrer hatte, die aber fast ausschließlich Literaten, Maler und Wiener Intellektuelle waren.

Hauers Musikideal war dem Schönbergs, der ja in jedem Stück, in jedem Takt, den er schrieb, Expression anstrebte, ein durchaus entgegengesetztes. Um 1911 entdeckte der damalige Volksschullehrer, der als Autodidakt bezeichnet werden muß, das Grundprinzip der Zwölftonmusik. Zehn Jahre später entwickelte er die Theorie von den 44 Tropen, Konstellationsgruppen, mit denen der Musiker insgesamt 479,001.600 Vokabeln, das sind alle möglichen Melosf alle, überblicken und ordnen kann. Daraus resultiert für ihn ein neues Kompositionssystem, das nicht von der Intuition abhängig ist und auch keinerlei persönliche Expression unzustreben hat. Denn: „Der Weltbaumeister hat von Ewigkeit her die absolute Musik einfür allemal komponiert und vollkommen vollendet. Wir Menschenkinder bemühen uns im Lauf eines Kulturäons, diese göttliche Vatersprache zu erlernen.“ Und weiter, entsprechend dem Charakter dieser Musik, die statisch, meditativ, lyrisch und harmonisch ist, proklamierte er: die vollkommene Musik darf nicht zu hoch, nicht zu tief, nicht zu laut, nicht zu leise, nicht zu schnell und nicht zu langsam sein; sie muß wohltemperiert und wohlintoniert vorgetragen werden. Anders formuliert: Es gibt kein Presto, kein Fu-rioso und kein Grave. Nur die Werke seiner ersten Periode von opus 1 aus dem Jahr 1912 bis opus 76 von 1938 hat Hauer mit Werkzahlen versehen. Von da an nannte er alle seine Stücke „Zwölftonspiele“. Dieses Datum fällt nicht zufällig mit der Besetzung Österreichs zusammen: es war für ihn die Zeit der absoluten Isolation, als er, nur von einigen treuen Freunden umgeben und betreut, teils in seiner kleinen Wohnung, teils in bescheidensten Gaststätten, in Wien „Beiseln“ genannt, herumsaß, Hof hielt und in endlosen Monologen seine Lehre verkündete.

Zur Überraschung auch der nächsten Freunde und Kenner Hauers fand sich in seinem Nachlaß, genau: im Besitz einer ihm befreundeten Familie, eine unvollendete lateinische Messe mit der Opuszahl 46. Sie stammt also aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Orchestersuiten 5 und 6 aus dem Jahr 1926 und steht vor dem Kammeroratorium „Wandlungen“ von 1927, das bei der Uraufführung 1928 in Baden-Baden beträchtliches Aufsehen erregte. Die Komposition der Messe bzw. die Harmonisierung des melischen Entwurfs, reicht bis in das Credo. Ein gründlicher Kenner der Hauerschen Theorie, Dr. Nikolaus Fheodoroff, hat auf Anregung des Pfarrers von Breitenfeld Franz Xaver Gruber diese einzige und einzigartige Messe Hauers vollendet, indem er dessen melischen Entwurf sowie vorhandene Skizzen in eine aufführbare Partitur übertrug und dem Agnus Dei, zu dem keinerlei Entwürfe mehr vorlagen, die Musik des ersten Satzes, des Kyrie, mit entsprechend geändertem Chorsatz unterlegte. In , dieser Form erfolgte auch die Uraufführung der Messe in der Pfarrkirche Breitenfeld zum heiligen Franz von Assisi, ausgeführt von einem Ensemble des ORF in der von Hauer vorgeschriebenen Besetzung für Chor, Bläserkammerorchester und Orgel unter der Leitung Doktor Roman Zeilingers.

Durch die Ausschaltung von „Solisten“ soll jeder subjektive, rein stimmungsmäßige Ausdruck vermieden werden. In ihrer Konzentration, Strenge und Objektivität ist Hauers Lateinische Messe, unter den Werken dieser ersten Jahrhunderthälfte, eigentlich nur noch mit Strawinskys „Psalmensymphonie“ zu vergleichen. Man sollte sich gelegentlich ihrer erinnern. Sie eignet sich sowohl für den Gottesdienst wie für konzertante Aufführungen.

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