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Kammerorchester, Hauer-Konzert

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Ein interessantes Programm war der besondere Vorzug des Münchener Kammerorchesters, das unter der Leitung von Hans Stadlmair auch zu ansprechenden Interpretationen fand. In gleicher Weise gefielen Werk und Wiedergabe bei der „Sinfonia per archi“ von Johann Nepo-muk David, einer zweisätzigen Komposition aus der jüngeren Produktion des großen österreichischen Kontrapunktikers. Inhalt und Form sind da vollkommen im Gleichgewicht. Das Gebäude der Vielstimmigkeit läßt sich trotz der komplizierten Verzahnungen wie mit einem Blick erfassen, dies nicht zuletzt dank der Differenzierungskunst des Meisters, der es fertigbringt, ein Streicherensemble so zu behandeln, daß man die reichere Palette eines vollen Orchesters nicht vermißt. Nicht zuletzt bleibt dem Hörer die Bewunderung für einen Musiker, der auch im Alter nicht stehenbleibt. Bei Paul Hindemith greift man lieber auf Werke seiner mittleren Schaffensperiode zurück, etwa auf die „Vier Temperamente“, die nichts an Schwung verloren haben, zumal wenn ein Pianist wie Hans Petermandl sich dieser Variationen für Klavier und Streicher annimmt. Helmut Eder mußte mit seinem neuen zweisätzigen Violinkonzert (für Streicher und kleine Bläserbesetzung) ein wenig abfallen. Das von Denis Szigmnndv virt““s (und auswendig!) gespielte Werk könnt weder durch Ausdruck noch durch Form so recht überzeugen. Strawinskys bezauberndes „Concerto en re“ als Einleitung des interessanten Abends bedarf einer Leichtigkeit der instrumentalen Ausführung und einer Verve der Interpretation, über die weder das sonst recht tüchtige Ensemble noch sein Dirigent verfügen.

Es sind nun bald fünf Jahre, daß Joseph Matthias Hauer in seiner ärmlichkleinen Wohnung in der Bennogasse im achten Wiener Gemeindebezirk gestorben ist. Zu Beginn dieses Gedenkjahres veranstalteten einige junge Künstler im Museum des 20. Jahrhunderts ein Kammerkonzert, das ausschließlich dem Werk des „geistigen Urhebers und (trotz vieler Nachahmer!) immer noch einzigen Kenners und Könners der Zwölftonmusik“ — wie er sich selbst nannte — gewidmet war.

Das „Zwölftongesetz“ seiner „atonalen Musik“ fand und formulierte Hauer 1919. Es besteht im wesentlichen darin, daß die zwölf temperierten: Halbtöne der ,chromatischen. Skala innerhalb einer bestimmten Reihenfolge immer wieder abgespielt werden müssen, wobei kein Ton wiederholt und keiner ausgelassen werden darf. Obwohl es in dem umfangreichen und vielgestaltigen Opus Hauers auch Orchesterwerke und Kompositionen für Kammerensemble in verschiedenster Besetzung gibt, bevorzugte er besonders in den späteren Jahren Klavier, Cembalo und Harmonium, also gleichschwebend temperierte Instrumente, auf denen seine Musik am besten zur Geltung kommt. Aber die „Temperierung“ bezieht sich nicht nur auf die Skala. Die „ideale Musik“, nach Hauer, soll nicht zu laut und nicht zu leise, nicht zu schnell, nicht zu langsam, nicht zu tief, nicht zu hoch sein. Doch das sind nur die äußeren, exoterischen Merkmale einer Kunst, die mehr sein wilj als nur individuelle Aussage (in Hauers Terminologie „Musikanten — Ideen — Kompositionen“), sondern die „Herz und Verstand gleichermaßen befriedigende Offenbarung der Weltordnung als Religion, die Ursprache, das unmittelbare, die Vernunft ansprechende, das Gemüt ergreifende Wort Gottes“.

Die Werke seiner Frühzeit, von etwa 1913 bis 1919, hat Hauer später verleugnet, und in der Tat spiegeln die im Rahmen dieses Konzertes aufgeführten frühen Lieder, Klavier- und Harmoniumstücke eine unüberhörbare stilistische Unsicherheit, die nicht, wie in den Jugendwerken anderer Komponisten, durch „blühenden Einfall“ oder kraftgenialische Gesten kompensiert wird. Das gilt besonders für „Nomos“, op. 2, aus dem Jahr 1913 und ein kurzes „Kyrie eleison“, op. 8, für Klavier und zwei Harmonien von 1914, an denen man keine rechte Freude haben konnte, während die ungewollt Puccini-Nähe zweier von den

„Fünf Hölderlin-Liedern“, op. 6, für Sopran und Klavier dem Kenner von Hauers späteren Proklamationen ein heiteres Schmunzeln entlockt. Aber die „Nachklangstudien“ lassen bereits aufmerken, und in den „Klavierstücken“ von 1922 (1. Heft) kündigt sich schon jener sehr eigentümliche statische Stil an, jene große Ruhe und Klarheit, die das unverwechselbare Charakteristikum aller späteren Werke Hauers ist. Am schönsten und vollkommensten in den Zwölftonspielen für Klavier zu vier Händen und Harmonium von 1952, die überdies auch klanglich von höchstem Reiz sind. Wenn es eine Musik mit therapeutischer Wirkung gibt, so ist es diese ...

Wir danken dieses hochinteressante und anregende Konzert der Initiative von Gerhard Rühm, der mit bemerkenswerter Technik die — gar nicht so einfach zu exekutierenden — Zwölftonspiele am Klavier vortrug und seine Gattin Adelina Rühm beim Vortrag der Hölderlin-Lieder, op. 6, am Flügel begleitete. An den beiden Harmonien assistierten ihm Kurt Schwertsik und Otto Zykan.

Wir haben anläßlich von Hauers 75. Geburtstag im März 1958 eine Porträtstudie des Komponisten gebracht und werden sein Werk auf einer unserer nächsten Kunstsonderseiten ausführlich würdigen.

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