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In großer und kleiner Besetzung

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J. S. Bachs große Passionen, für den Gottesdienst geschrieben, haben den kirchlichen Rahmen längst verlassen und sind zu Gipfelpunkten abendländischer Konzertpro- gramme geworden, ohne wie viele Kirchenmusik dadurch an sakraler Wirkung eto- zubüßen. Im Gegenteil, das Erlebnis ist Gegenwart bi6 in die letzten Takte. Eine historisierende Aufführung mit schwacher, der originalen angepaßten Besetzung ißt daher, wenn auch interessant, keineswegs als alleingültig anzusehen; vielmehr ist der Eindruck um so gegenwärtiger, je mehr er unserem heutigen Raum- und Klangverhältnissen im Sinne von Größe und Feier entspricht. Ebenso ist es nicht die absolute Ungekürzt- beit, sondern die Straffung, die zur Verdichtung und größeren Unmittelbarkeit des Erlebens führt. Wenn Furtwängler daher bei der „Matthäuspassion“ Wiederholungen und sogar ganze Arien weg ließ, war das in dem oder jenem Fall vielleicht schade, in der Gesamtwirkung jedoch, zumal im Sinne des dramatischen Zuges, eine Steigerung. Der Verzicht auf stilistische und dynamische Ejgenwilligkeiten sowie das einfache leichte Ausruhen am Ende der Choralzeilen ist zweifellos stärker von Bach inspiriert als aller Widerstreit der Meinungen darüber, dem sich dieser unbedingte Dienst am Werk von selbst entzieht. Sängerknaben, Großer Chpr der Singakademie und Philharmoniker, zu großartiger Einheit verbunden, bildeten das Rieseninstrument der Passion, von den soli- ßtischen singenden und instrumentalen Stimmen überleuchtet, darunter neben dem einmaligen Julius Patzak und der bezwingenden Irmgard Seefried insbesondere Hildegard Rössel-Maydan, eine stimmlich und stilistisch vorbildliche Leistung bot.

Vasa P f i h o d a überraschte to seinem letzten Konzert durch merkliches Zurückdrängen des rein Virtuosenhaften zugunsten einer geistig anspruchsvolleren Haltung, wie 6chon au6 dem Programm ersichtlich war, das in der Frühlingssonate von Josef Marx, der Violinsonate, op. 108, von Johannes Brahms und dem Violinkonzert K. V. 218 von Mozart, drei in Gestaltung und künstlerischem Ausdruck sehr diffizile Werke enthielt und nur, gleichsam als Koda, in Tartinis Teufelstrillersonate der technischen Hexerei ihren Tribut zollte. Pfihodas Ton, sonst kalt und geschliffen, wurde warm und wuchs in ausdrucksvollen Bögen mit der selbstgestellten künstlerischen Aufgabe hoch über das bloß Künstliche hinaus, am weitesten im Violinkonzert Mozarts, an dessen Gestaltung Prof. Otto Schulhof ein gediegener und markanter Helfer war. Auch der Ton des Beifalls war wärmer und herzlicher und mag den Künstler von der Richtigkeit dieses eingeschlagenen Weges überzeugt haben.

Prof. Franz Krieg

Jede Begegnung mit der IV. Symphonie von Franz Schmidt wird zum Erlebnis. Obwohl auch dieses Werk — durch die große Besetzung, durch das Subjektive seiner Aussage, seinen spezifischen Lyrismus und das Leddens:Pathos — aus der \yelt des 19. Jahrhunderts stammt, wird es wahrscheinlich alle übrigen Kompositionen von Franz Schmidt überleben. Julius Patzak, der zum erstenmal ans Dirigentenpult trat (wenn wir von den Anfängen des Künstlers ab- sehen, der ursprünglich Kapellmeister werden wollte), hat eine spürbare persönliche Beziehung zu dem gehaltvollen Werk. — Der literaturkundige und geschmackvolle Musiker Julius Patzak zeigte sich auch in der Wahl des zweiten Werkes, der „Scarlattiana“ von Alfredo Casella, deren Klavierpart (von Annarosa Taddei munter und kräftig exekutiert) durch das Orchester leider wiederholt zugedeckt wurde. Diese gefällig- virtuose Suite gehört in die Reihe der Rückgriffe auf vorklassische und Erneuerungen klassischer Musik, wie sie Strauß in der Lully-Suite, Ravel in „Le tombeau de Couperin“, Strawinsky in der „Pulcinella-Suite“, Prokofieff in der „Symphonie classique“ oder, in letzter Zeit, Egk in der „Französischen Suite“ versucht haben. — Den Abschluß des von den Wiener Symphonikern ausgeführten Programms bildete der unvermeidliche „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauß.

Man braucht kein Anhänger der dualistischen Musikphilosophie W. Adornos zu sein, um zu erkennen, daß innerhalb der neuen Musik Igor Strawinsky und Arnold Schönberg als Antipoden die größtmöglichen Gegensätze verkörpern. Im siebenten Konzert des „Musica-viva“-Zyklus spielten Michael Gielen und Hans Kann das 1935 komponierte viersätzige „Concerto per due pianoforti“ in vier Sätzen: ein figuratives, altertümelndes Con moto, ein Nocturno im Bluestempo mit Anklängen an Weill und Gershwin, ein Variationensatz ohne eigenes Thema, und schleißlich ein Präludium mit einer donnernden Schlußfuge. — Uber die Suite „Die Geschichte vom Soldaten“, die in der Originalbesetzung für sieben Soloinstrumente unter der Leitung Michael Gielens gespielt wurde, ist nichts mehr zu sagen. Sie ist bereits in die Musikgeschichte eingegangen und hat selbst Musikgeschichte gemacht. — Michael Gielen, der zwischen den beiden Kompositionen von Strawinsky die Klavierstücke op. 23 und o p. 3 3 von Arnold Scfaönberg mit jenem Espressivo spielte, das der Komponist sich immer von seinen Interpreten wünschte (während Strawinskys häufigste Anweisung ist „Plus sec, messieurs, encore plus secl“), zeigte erstklassige diri- gentische Begabung für zeitgenössische Musik. Vor allem besitzt er ein spezifisches Gefühl für differenzierte Rhythmik und für das Charakteristische einzelner melodischer Phrasen. Seine Schlagtechnik, für ein kleines Ensemble vollkommen befriedigend, dürfte sich auch vor einem größeren Apparat bewähren. — Auch über die Klavierstücke von Schönberg ist nichts Neues zu sagen: wir stehen vor ihnen noch genau so ratlos wie die Hörer von 1915 und 1928 — oder wie wir selbst vor 20 Jahren, als wir meinten, sie unbedingt verstehen zu müssen.

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