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Festwochenkonzerte

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Claudio Abbado hat für das 9. „Philharmonische“ einen jungen und einen älteren Russen aufs Programm gesetzt, in. deren Partituren aber nicht die urheimatliche Nationalmusik der alten russischen Novatoren zu finden, sondern mehr internationales Fluidum eingefangen ist. Prokofjews „Romeo-und-Julia-Suite“ entstammt der klar gliedernden, späteren neoklassizistischen Epoche des Komponisten und gibt in Stimmung und Spannung die unverwechselbare Eigenart und Intensität seiner musikalischen, hier besonders melodiösen Zeichnung wieder. Die jeweilig zarte klangliche Verpak-kung dieser Musik hat Abbado ebenso sicher.und. deutlich,im..Griff wie ihre harten Konturen. — Tschai-kowskys 6. Symphonie, neben seiner fünften sein bedeutendstes Orchesterwerk und vielleicht als Spiegelbild seines Lebens und seiner Persönlichkeit aufzufassen, gibt vor allem im dramatischen Stirnsatz, aber auch im Finale die Kämpfe und Leidenschaften, daneben auch die hoffnungslosen Momente dieses Künstlerlebens wieder. Abbado läßt sie, wie aus einer romantischen Perspektive betrachtet, an den Hörern in rauschender Klangpracht vorüberziehen.

Tom Krause, verdienstvoller Ein-springer bei den Salzburger Festspielen, auch von früheren Wiener Liederabenden in guter Erinnerung, begann sein Konzert im Mozartsaal mit den nordisch-schwermütigen Liedern seines finnischen Landsmannes Sibelius und interpretierte sie trotz merkbarer Indisposition mit einer durch Persönlichkeit geadelten Gestaltungskraft, welche dann in den von Baritonisten gern gewählten Ravelschen Chansons „Don Quichotte ä Dulcinee“ eine starke dramatische Steigerung erfuhr; überhaupt, so auch in seiner sehr plakativen Gestik, konnte der Künstler den Bühnensänger kaum verheimlichen. Was nicht ausschloß, daß er in Schumanns „Dichterliebe“ den schwärmerischen Ton des Romantikers erstaunlich gut traf und Wortdeutlichkeit und verhaltenes Piano mustergültig einsetzte. Der Sänger und sein prächtiger Gefolgsmann am Flügel, Irwin Gage, ein Kenner und Könner der transzendentalen Schumann-Nachspiele, wurden bejubelt und zu vier Zugaben genötigt.

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Unter den drei im Liedgesang so erfolgreichen Baritonisten, Lieblingen des Wiener Konzertpublikums, ist Fischer-Dieskau in erster Linie der Schönsänger, Walter Berry der mehr gefühlsvolle, meditierende Interpret und Hermann Prey der vollsaftigste, fast möchte man sagen, der naturburschenhafte Künstler. In seinem Konzert im Großen Musikvereinssaal sang Prey ein ausschließliches, auf Kontrastwirkung eingestelltes Brahms-Programm, in dem er sein prachtvolles, besonders in Mezza-voce- und Pianowirkungen exzellierendes, aber auch im kraftvollen Forte erprobtes Organ hören ließ. Daß ihm die warme Herzlichkeit der „Magellone“-Romanzen und die in voller Melodie- und Texteinheitlichkeit interpretierten „Deutschen Volkslieder“ besser liegen als die herben „Vier ernsten Gesänge“, ist in der Naturveranlagung des Künstlers begründet. Wobei nicht gesagt sein soll, daß ihm auch dieser Zyklus stimmlich nicht .ausgezeichnet gelang. Nur die auf tiefste Verinnerlichung angelegte Wiedergabe dieser Gesänge, wie man sie von Hotter oder gar von Manowarda in Erinnerung hat, konnte Prey nicht erreichen. Mit einer reichen Anschlags- und Dynamik-Palette am Klavier unterstützte Karl Engel den Sänger in besonderen Gefühlsmomenten und erlebte sie mit. P. L.

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Shura Cherkassky zählt zu den wenigen Pianisten, die Chopins Balladen, Etüden, Mazurken, Polonaisen ohne alles Parfüm vortragen: Sein Spiel ist sachlich, konzentriert, sein Anschlag fein reguliert, in jeder Nuance spürbar sicher, die Phrasie-rung frei von sentimentalen Schnörkeln. Gefühlsüberschwang lehnt er ab; Salonatmosphäre, Koketterie, modische Accessoirs haben in seinen Interpretationen nichts verloren. Das gibt seinen Wiedergaben die klare Schönheit, das macht die Kultur seines Spiels aus. Paradebeispiel: die As-Dur-Polonaise (op. 53), deren Maestoso er nirgends auftrumpfen läßt, die in aller Festlichkeit doch so locker und durchsichtig wirkt, als wäre sie noch Tanzmusik, und die er obendrein so streng in Agogik, Rhythmik, Dynamik gestaltet, daß man an die Tanzsätze barocker Suiten denkt. Besonders imponierte seine Wiedergabe der b-Moll-Sonate (op. 35): Gerade am „Trauermarsch“ zeigt Cherkassky, wie man diesen meist auf Wunschkonzertniveau hinuntergedrückten Satz noch immer zu einem Ereignis voll Spannung machen kann. Eindrucksvoll waren auch die drei postumen Etüden, die man viel zu selten hört.

• Mit den Preisen der Stadt Wien 1972 wurden am Montag, dem 19. Juni, im Stadtsenatssitzungssaal des Wiener Rathauses ausgezeichnet: Albert Drach (Dichtung), Hans Wei-gel (Publizistik), Rudolf Weißhappel (Musik), Ernst Fuchs (Malerei), Otto Eder (Bildhauerei), Franz Hubmahn (Angewandte Kunst), Friedrich Nowa-kowski (Geisteswissenschaften), Herbert Feigl (Naturwissenschaften) und Otto Mauer (Volksbildung).

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