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„Proletarian composer“ und „reihe“

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Die IGNM, Sektion Österreich, veranstaltete im Vortragssaal der Akademie für Musik ein Kammerkonzert, das Hanns Eisler gewidmet war. Hanns Eisler, 1898 in Wien geboren und 1962 in Ost-Berlin gestorben, war nach dem ersten Weltkrieg Schüler Schönbergs und Weberns, lebte seit 1925 in Berlin als Lehrer an einem Privatkonservatorium und emigrierte 1937 nach den USA, wo er allgemein „proletarian composer“ genannt wurde. Bereits 1926 hatte er mit seinem op. 9 „Zeitungsausschnitte“ gegen bürgerliches Pathos und romantischen Lyrismus demonstriert; später schrieb er viel sozialistische Funktionsmusik: Arbeiterchöre und Kampflieder, Songs, Kantaten und Lehrstücke, wobei er Texte von Bert Brecht bevorzugte („Die Mutter“ nach Gorki-Brecht und „Die Maßnahme“, die übrigens weder im Heimatland des Sozialismus noch in der DDR, deren Staatspreisträger und Hymnenautor Eisler war, je aufgeführt wurde). Daneben gab es freilich noch einen „anderen“ Eisler, der einem interessierten Publikum in Erinnerung gerufen beziehungsweise vorgestellt wurde. „Sechs Lieder“, op. 2, auf Texte von Matthias Claudius, Bethge und Kiabund sowie der für eine Sprechstimme, Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello gesetzte „Pa/mström“-Zykhts nach Morgenstern zeigen den jungen Komponisten noch ganz im Bann und in den Fußstapfen Schönbergs, von dessen „Pierrot lunaire“ er auch die Führung der in Dauer und Höhenlage fixierten

Sprechstimme übernommen hat. Aber bereits 1938 ist der Einfluß des Neoklassizismus etwa in der Art Hindemiths und des mittleren Strawinsky stärker: Davon zeugen die Sonate für Violine und Klavier aus dem Jahr 1938 und die 3. Klaviersonate von 1943. In beiden Werken steht neben den Allegrosätzen: „con spirito“; und mit Geist ist bei Eisler alles gemacht. Zu diesem hellwachen Kunstverstand gesellt sich in den Variationen für zwei Bläser, zwei Streicher und Klavier mit dem Titel „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“ von 1944 noch ein zarter Lyrismus. Von den durchweg ausgezeichneten jungen Solisten seien wenigstens einige genannt: die Sängerin Miriam Abramovic, die Geigerin Judith Justice und die beiden Pianistinnen Charlotte Zelka und Käthe Wittlich.

Im 3. Kammerkonzert des Zyklus „die reihe“, von der Musikalischen Jugend im Kleinen Saal des Museums des 20. Jahrhunderts veranstaltet, gab es zunächst ein zehn Minuten dauerndes Streichquartett von Cornelius Cardew. Es zeigt das bei seriellen Kompositionen gewohnte zerrissene Tonbild, extreme Lagen der Streicher, häßliche Glissandi, abrupte dynamische Sprünge usw. Ein mehr akkordisch konzipierter Teil hört sich wesentlich angenehmer an. Michael von Biehls Komposition für zwölf Instrumente (von der Pikkoloflöte bis zur Kontrabaßtuba), „The Plain near S’Cairn“, mutete dagegen wie eine Persiflage auf das ganze Genre an: unartikulierte Schreie der

Bläser, Kratzen und Scharren der Streicher, ausgefallene Manipulationen mit dem Becken und einigen ad hoc herbeigeschafften Lärminstrumenten usw. Dazwischen, allein auf öder Flur — gewissermaßen als strophische Gliederung der ganzen Lärmorgie gedacht — ein sich viermal wiederholender langgezogener Hornton ... Kurt Schwertsiks Salonstück „Eden-Bar“ liegt ungefähr in der Mitte. Aber Barstimmung erzeugt es keine — was immerhin eine Annehmlichkeit gewesen wäre. Das tut auf die reizendste, geistvollste W'eise Erik Satie (1866 bis 1925), der große Anreger, mit seinem mehrstrophigen Chanson-Intermezzo „La diva de l’Empire“. Wie hier französischer Chansongeist, Music-Hall-Atmosphäre und Elemente des damals noch jugendfrischen amerikanischen Jazz miteinander verbunden und zugleich parodiert werden — das macht ihm mit so wenig Noten heute kaum jemand nach. Dann gab es noch eine lange, aber höchst kurzweilige Reihe kleiner Klavierstücke und Liedchen mit so lustigen Titeln, wie „Air du rat“ und „Air du poète“, „La grenouille américaine“ und „Fugue de papier“. Die Chansons wurden von Adelina Rühm gesungen, die, von Gerhard Rühm begleitet, den spezifischen, zugleich lyrischen und parodierenden Geist dieser kleinen Kunstwerke gut begriffen hat. Die Klavierstücke spielten (vierhändig) Gerhard Rühm und Kurt Schwertsik. Für diesen Teil des Konzerts, der glücklicherweise der umfangreichste war, muß man den Veranstaltern der „reihe“ dankbar sein. An Satie kann nicht oft genug erinnert werden. Er ist kein Mythus, sondern, wie sein Freund aus der Gruppe der Six, Darius Milhaud, einmal formuliert hat, der Autor einer „lebendigen, wachen, klaren, scharfen, genau konstruierten Musik, deren ironische Art schamhaft ihre Schleier breitet über unendlich viel Zartheit“.

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