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Von den „Frühen Liedern“ zur „Lulu“-Suite

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Daß man Alban Bergs Gesamtwerk während der Wiener Festwochen in den Mittelpunkt eines Internationalen Musikfestes stellte, erweist nicht etwa seine „Volkstümlichkeit", wohl aber, daß man seine Bedeutung, seine Strahlkraft nicht nur zu erkennen, sondern auch entsprechend zu würdigen beginnt. Ohne Rücksicht auf Wirkung und Gefälligkeit geschaffen, getragen von „jenem Mut, der früher oder später den Widerstand der stumpfen Welt besiegt", steht es auf weit vorgeschobenem Posten als einer der wesentlichen Beiträge zu jener Kunst, von der Th. Adorno sagt: „Alle Dunkelheit und Schuld der Welt hat sie auf sich genommen. AU ihr Glück hat sie daran, das Unglück zu erkennen; all ihre Schönheit, dem Schein des Schönen sich zu versagen." Wie freilich aus dieser strengen Haltung neue Schönheit entsteht, wie sich das’ Konstruktive mit dem Emotionellen verbindet, wie es Berg gelungen ist, „den Bann der Zwölftontechnik zu brechen, indem er sie verzauberte": darin offenbart sich das Wunder seiner schöpferischen Persönlichkeit.

Die „Sieben frühen Lieder" in der ursprünglichen Klavierfassung von 1907 auf Texte von Lenau, Storm, Hartleben und anderen bezeugen Bergs Herkunft aus der Welt der Romantik (Ilona Steingruber sang sie im Ersten Kammerkonzert, begleitet von Fritz Kuba). — Die Klaviersonate op. 1, in der Harmonik tristanisierend, in ihrer motivisch-thematischen

Arbeit, mit ihrer Quartenharmonik und Einsätzig- keit Schönbergs „Kammersymphonie" verpflichtet, zeigt bereits den Einfluß des Lehrers (Interpret: Alfred Brendel). Die „Vier frühen Lie- d e r" auf Texte von Hebbel und Mombert erweisen nicht nur den sich verfeinernden literarischen Geschmack, sondern auch den Fortschritt auf dem Weg zum eigenen Stil. — Das Uraufführungsdatum der „Fünf Orchesterlieder" op. 4 nach Ansichtskartentexten von Feter Altenberg ist nicht nur für die Skandalchronik des Wiener Konzertlebens wichtig, sondern bedeutet auch im Schaffen Bergs eine Zäsur. Die ganze Eigenwilligkeit des Komponisten zeigt sich in der Aufbietung eines riesigen Apparats für diese Minutenstücke, in der elegisch-expressiven Stimmung und in den überraschenden, tumultuösen Explosionen des großen Orchesters mit seinen sechs Schlagwerkern (Hilde Zadek, begleitet von den Wiener Symphonikern unter Ernst Märzendorfer). — Als Psychogramme oder Aphorismen mag man die „Vier Stücke für Klarinette und Klavier" (Friedrich Wildgans) bezeichnen, die 1913 offensichtlich unter dem Einfluß von Schönbergs „Sechs Klavierstücken" entstanden, während die „D r e i Orchesterstücke" op. 6 Bergs Auseinandersetzung mit der Symphonieform, besonders Mahlerscher Prägung, darstellen. 1914 entstanden, ist diese Partitur für großes Orchester, mit den vieltönigen Akkorden und Reibungen zahlloser Simultanstimmen und mit ihrem revolutionären Sturm die aggressivste Bergs. Die Untertitel: Präludium, Reigen, Marsch scheinen -r- nach dem ingrimmigen Spiel, das hier mit den konventionellen Charakterstücken des 19. Jahrhunderts getrieben wird — parodisch gemeint zu sein. (Es spielten die Wiener Symphoniker unter Ernst Märzendorfer.) — Das „Kammerkonzert" für Klavier, Violine und dreizehn Bläser vollendete Alban Berg an seinem 40. Geburtstag und widmete es Schönberg zu dessen

50. als Denkmal 20jähriger Freundschaft. Das dreisätzige Werk ist ein Wunder der Konstruktion — und zugleich Musik von höchst persönlicher Aussage. Im ersten Teil wird das Klavier, im zweiten die Geige und im dritten werden beide Soloinstrumente dem Bläserensemble gegenübergestellt. — Der strengen thematischen Arbeit entsprechen auch die Proportionen: die je

240 Takte umfassenden ersten beiden Sätze werden im dritten, der 480 Takte zählt, kombiniert (Leitung: Michael Gielen). Es steht zusammen mit der im gleichen Jahr, 1926, entstandenen „Lyrischen Suite” zwischen den beiden Bühnenwerken „Wozzeck” und „Lulu". Die Untertitel der sechs Sätze der „Lyrischen Suite” (giovale, amoroso, estatico, tenebroso usw.) bezeichnen den lyrisch-dramatischen Charakter des Weckes, das Tristan-Zitat im letzten Satz erinnert daran, „wie alles begann" (es spielte das Neue Wiener Streichquartett).

Bergs letzte drei Werke bilden klanglich und stilistisch, in engerem Sinne, eine Einheit. Die Konzertarie „D er Wein" auf Texte von Baudelaire in der Uebertragung Stefan Georges läßt ergreifend den Seelenton des Einsamen vernehmen und verbindet ihn mit dem gesellig- banalen Klang des Salon- oder Jazzorchesters mit Klavier und Saxophon. In der Tat klingt, wie ein Interpret Bergs es formulierte, diese Musik wie aus dem Französischen übersetzt (Sopransolo: Hüde Zadek). Auch tauchen hier die charakteristischen Farben des „L u 1 u"-Orchesters auf, jenes Werk, dessen Instrumentation Berg zugunsten des Violinkonzertes (Solist Arthur Grumiaux unter George Szell) unterbrach und aus dem er eine Suite zusammenstellte (Solistin Ilona Steingruber unter Eugen Ormandy). Sie wurde im November 1934 in Berlin und genau ein Jahr später in Wien aufgeführt. Es war das letzte Konzert, das Berg besuchte, und die letzte Musik, die er hörte.

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