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Musik, der Reihe nach

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Bruno Maderna, 1920 in Venedig geboren, studierte zunächst bei seinem Landsmann, dem Altmeister der italienischen Moderne, Francesco Mali-piero, hierauf bei Hermann Scherchen. Bereits 1941 machte er in Rom das Diplom für Komposition. Darnach lebte er in Mailand, jetzt fast nur noch auf Reisen: als Interpret neuer und neuester Musik. Er hielt Sommerkurse über Zwölftonkomposition in Darmstadt und Mailand. Mit Berio gründete er das „Studio di Fonlogia Musicale“ beim Italienischen Rundfunk. Als Komponist steht er in einer Reihe mit Berio, Nono, Pousseur, Boulez und Stockhausen, für deren Werke er sich, neben denen der Meister der Wiener Schule, immer wieder als Dirigent einsetzt.

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Bruno Maderna, 1920 in Venedig geboren, studierte zunächst bei seinem Landsmann, dem Altmeister der italienischen Moderne, Francesco Mali-piero, hierauf bei Hermann Scherchen. Bereits 1941 machte er in Rom das Diplom für Komposition. Darnach lebte er in Mailand, jetzt fast nur noch auf Reisen: als Interpret neuer und neuester Musik. Er hielt Sommerkurse über Zwölftonkomposition in Darmstadt und Mailand. Mit Berio gründete er das „Studio di Fonlogia Musicale“ beim Italienischen Rundfunk. Als Komponist steht er in einer Reihe mit Berio, Nono, Pousseur, Boulez und Stockhausen, für deren Werke er sich, neben denen der Meister der Wiener Schule, immer wieder als Dirigent einsetzt.

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Das erste von Bruno Maderna geleitete Konzert der Wiener Symphoniker spannt einen gewaltigen Bogen: von Schönbergs op. 4 „Verklärte Nacht“ aus dem Jahr 1898 in Streichorchesterbesetzung bis zu Webems letztem Werk, der 2. Kantate op. 31 nach Gedichten von Hildegard Jone, die er zwei Jahre vor seinem Tod vollendete. „Ich glaube, Sie werden erstaunt sein über dieses Partiturbild“, schrieb Webern während der Arbeit an einen Schweizer Musikologen. Und heute, wie vor 20 Jahren, als wir das esoterische Werk für Sopran- und Baßsolo, kleinen gemischten Chor und Orchester zum erstenmal hörten, staunen wir noch immer über seine Klanggestalt: den eigenwillig-spröden Einsatz der menschlichen Stimme, vor allem im Solo, die von einer uns verborgenen Logik diktierte Aufteilung der einzelnen Verszeilen, etwa im 5. Teil, auf Chor und Sopran, die ganze Art der „Vertonung“ und die durchsichtige „punktuelle“ Struktur des Ganzen. — Aber schon in dem frühen a-capella-Chor „Entflieht auf leichten Kähnen“ auf ein Gedicht Stefan Georges finden wir paarweise in kanonischer Verschränkung geführte Stimmen und jene „schwebende Tonalität“, die manche auch aus späteren Werken Weberns herauszuhören vermögen. Wie eine Demonstration meisterhafter und freier Handhabung der Reihentechnik, komprimierter und neuartiger Aussage in der traditionellen dreiteiligen Form des Con-oertos wirkt Schönbergs 1936 bereits in Amerika vollendetes Violinkonzert. Der von dem in Rußland geborenen, in Israel aufgewachsenen und in den USA ausgebildeten Geiger Zvi Zeitlin ausgeführte Solopart erfordert, nach Schönbergs Worten, „einen Geiger mit sechs Fingern“. Und in der Tat enthält das halbstündige Werk Schwierigkeiten, mit denen man mindestens drei Violinkonzerte ausstatten könnte, gelangt zu plastischer Gestaltung freilich, erst im letzten marschartigen Satz, wo Schönberg sogar eine kleine Militärtrommel nicht verschmäht. — Mit der gleichen Sicherheit wie Zeitlin seine vertrackten Intervalle griff, trafen Dorothy Dorow, Meinrad Kraak und der Wiener Kammerchor in der Kantate die ihren.

Das zweite Konzert unter Maderna bereitete dem willig mitgehenden Publikum weniger Schwierigkeiten. Zunächst durch die zahlreichen Vokalstücke, die eine stets dankbar benützende Brücke zum Verständnis der oft recht komplizierten Partituren bilden. So die vier Orchesterlieder von Arnold Schönberg op. 22, sozusagen knapp vor 12 geschrieben, freitonal, aber noch nicht zwölf-tönig, auf recht schwer verständliche Verse Dowsons in Stefan Georges Übertragung und auf drei fast schon populäre Rilke-Gedichte. Auch Schönbergs Klavierkonzert op. 42, sechs Jahre nach dem Violinkonzert entstanden, ist konzilianter, erinnert in seinem kompakten Klaviersatz ein wenig an Brahms, läßt im 1. Teil den Wiener Walzer anklingen und wird vom Ohr, dank der mit großen Terzen durchsetzten Zwölf tonreihe, wenn nicht als tonal, so doch als polytonal (und nicht als „atonal“) empfunden. Es klingt sogar „giocoso“ aus ... Webern Kantaten („Das Augenlicht“ und die „Erste Kantate“), die 1935 und 1939 entstanden sind, wieder auf poetische, antroposophisch angehauchte Verse von Hildegard Jone, bedeuteten für Webern einen Höhepunkt seines Schaffens, das erreichte und verwirklichte Ideal, „nämlich einen Klang zu erzielen, wie er mir mannigfaltiger vielleicht noch niemals vorgeschwebt ist“. Dies geschieht in der Kantate „Das Augenlicht“ mit dem Einsatz von Xylophon und Saxophon, Celesta und Harfe. Der von Hans Gillesberger einstudierte Wiener Kammerchor war in bester Form, Dorothy Dorow erwies sich wieder als Intervallakrobatin mit reinster Intonation, Sophia von Santo hatte mehr an Ausdruck zu bieten und sang auch die den Abend beschließenden Bruchstücke aus Alban Bergs „Woz-zeck“, Claude Helffer, der Schüler von Casadesus und Leibowitz, war der bravouröse Solist des Schönberg-Konzertes — und die Wiener Symphoniker die in allen Sätteln gerechten Begleiter und Interpreten. Daß ihnen das Orchesterzwischenspiel aus „Wozzeck“, der große Trauergesang auf die beiden unglücklichen, unheldischen Helden, am besten gelang, lag wohl auch an der Musik. Vom Publikum her hatte man den Eindruck, daß sich die Musiker bei Maderna, der auch äußerlich ein vertrauenserweckender patriarchalischer Typus ist, in sicheren Händen fühlten. Es wurde mehr als zehn Minuten lang applaudiert. Man war mit dem Programm und seiner Interpretation in höchstem Grad zufrieden.

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