Kein "Komponist für Komponisten"

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Kluge Programmgestaltung und erstklassige Qualität: Das Anton-von-Webern-Fest der Wiener Festwochen erschloss einen noch immer wenig bekannten Klangkosmos.

Wenn sich um den Meister des dreifachen Pianissimo kein Lärm erhebt, so mag das in Ordnung sein; die zuverlässige Hoffnung aber, daß er in hundert Jahren entdeckt, verstanden und glorifiziert werde, darf keine Ausrede dafür abgeben, daß man ihn heute vergißt." Was Theodor W. Adorno 1933 über Anton von Webern bemerkte, deckt sich mit der Intention des Webern-Fests der Wiener Festwochen, realisiert als Abschiedsfest für den scheidenden Musikdirektor Hans Landesmann: Weberns integrales Ruvre entgegen dem Vorurteil der Sperrigkeit zum Klingen zu bringen, die innovativen und wegweisenden Klänge des als rigorosesten Vertreter der Zwölfton-Komposition geltenden Musikers sinnlich erfahrbar zu machen.

"Sperrigkeit" - ein Vorurteil

Um die Bekanntheit von Weberns Musik ist es in der Tat schlecht bestellt. Verstand sich der treue Schönberg-Schüler selbst als der klassisch-romantischen Tradition verpflichtet, wurden seine in Reihentechnik komponierten Stücke von den Pionieren der Neuen Musik in den 50er-Jahren vorwiegend als punktuelle Musik wahrgenommen. Von den zwei grundlegenden Prinzipien in Weberns Musik, dem numeralen und dem rhetorischen, wurde nur das erste rezipiert.

Dass es gelang klar zu machen, dass Webern kein "Komponist für Komponisten" ist, sondern eine Fülle lebensfähiger, atemberaubender Werke hinterließ, ist der klugen Programmgestaltung sowie der erstklassigen Qualität der Interpretationen zu danken. Nicht chronologisch, sondern nach dramaturgischen Gesichtspunkten erschloss das Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling feinfühlig den Webernschen Klangkosmos.

Bereits der Auftakt, Weberns Orchesterversion des Ricercar aus Bachs Musikalischem Opfer und die drei späten Kantaten op. 26, 29 und 31 mit dem Schoenberg Chor und der grandiosen Sopransolistin Claudia Barainsky erhellten die Koexistenz von differenziert analytischer Klangzerstäubung und sprechender Expression. Entflieht auf leichten Kähnen op. 2, besonders beeindruckend in der puristischen a cappella-Version, schlug die Brücke zum frühen Webern. Lyrik - von Stefan George, Hildegard Jone, Goethe, Rilke, Trakl - begleitete ihn vom Expressionismus bis zur strengen Reihentechnik. Die vertonten Texte zeigen nicht nur die Verbundenheit des Komponisten mit der symbolträchtigen Naturmystik des Fin de siècle, sondern auch seine Faszination für Goethes Naturlehre und die existenzielle Bindung seiner Kunst. In der Dichtung angesprochene Motive durchziehen das gesamte Schaffen. Allen voran die Liebe zur als Ordnung, als allumfassenden Zusammenhang verstandenen Natur, bereits greifbar im unnachahmlichen Klangzauber des noch vor dem Unterricht bei Schönberg entstandenen Orchesterstücks Im Sommerwind, das die Wiener Philharmoniker unter Adam Fischer mit unnachahmlicher Klangschönheit realisierten.

Entgegen der Meinung vom kleinen Ruvre präsentierte das Webern-Fest eine große Vielfalt. Darunter von den Wiener Virtuosen exzellent musizierte Transkriptionen dreier Strauß-Walzer aus der Feder von Webern, Berg und Schönberg, entstanden 1921 anlässlich einer Geldbeschaffungsaktion für den von Schönberg gegründeten Verein für musikalische Privataufführungen.

Unveröffentlichte Musik

Einen Höhepunkt bildeten zwischen 1908 und 1914 in freier Tonalität komponierte Instrumentalstücke und aphoristische Orchesterwerke, die das Klangforum, geleitet von Friedrich Cerha, in atemberaubenden Interpretationen darbot. Neben Bekanntem wie den Bagatellen für Streichquartett oder den Orchesterstücken op.6 waren auch zahlreiche vom Komponisten unveröffentlichte Kompositionen ohne Opuszahl zu hören, deren Aufführung eine neue Perspektive auf Weberns fragmentarische Miniaturformen und deren zyklische Vernetzung eröffnete.

Der größte Gewinn dieser Marathon-Personale war zweifellos, dass in faszinierender Weise Entwicklungen nachvollziehbar wurden, wie etwa beim Klavierwerk, das von stupend virtuosen Kompositionen über die Kinderstücke bis zu den durch Reihensymmetrien bekannten Variationen op. 27, herausragend lebendig realisiert von Marino Formenti, reicht.

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