6655407-1959_26_15.jpg
Digital In Arbeit

Das Neueste kam aus Deutschland

Werbung
Werbung
Werbung

Mit seinem großen Orchester, einem Frauen- und einem gemischten Chor, seinen Solisten und Hauskomponisten gastierte der Westdeutsche Rundfunk, Köln, beim Internationalen Musikfest der Wiener Konzerthausgesellschaft. Die deutschen Gäste brachten das Neueste vom Neuen mit, und sie interpretierten diese überaus schwierigen Werke musterhaft. Karlheinz Stockhausens „Gruppen für Orchester“, 1955 begonnen, 1957 beendet und im vorigen Jahr in Donaueschingen uraufgeführt, sind — nach dem für fünf Lautsprechergruppen komponierten (elektronischen) Oratorium „Gesang der Jünglinge im Feuerofen" das erste mar- fe eisp - von R msik;' Ji »n jwÄ, Orcnestennsfrumenten ausgeführt wird. Zu ihrer Realisierung benötigt Stockhausen drei Dirigenten und 109 Spieler, die auf drei etwa gleichstarke Orchester aufgeteilt sind. Im Großen Konzerthaussaal saß ein Ensemble, mit dem Rücken zum Publikum, auf dem normalen Podium, für die beiden anderen waren links und rechts im Parkett (unterhalb der Logen) niedere Podeste errichtet. Die einsätzige, etwa 24 Minuten dauernde Komposition Stockhausens ist mit traditionellen Maßstäben kaum zu erfassen. Klänge, Motive, Strukturen wandern von einem Klangkörper zum anderen, lösen sich auf und ballen sich zu schmetternden Bläserfanfaren und Schlagzeugausbrüchen, so daß ab und zu tatsächlich der Effekt „räumlichen Hörens“ erzielt wird. Soweit das geglückte Experiment. Als Komposition überzeugt diese durchorgani- sierte serielle und punktuelle Musik weniger. Denn eines ist, neue Systeme und Kompositionsformen zu erfinden, ein anderes sie zu erfüllen.

Der Venezianer Luigi N o n o (Jahrgang 1922) schreibt weder für elektronische Instrumente noch benötigt er mehrere Orchester. Aber auch seine — auf Webern basierende — Orchester- und Stimmbehandlung ist von äußerster Kompliziertheit. Seine Tonsprache entbehrt nicht des Lyrismus, obwohl dieser in früheren Werken Nonos, etwa in dem dreiteiligen „Epitaph auf Garcia Lorca" stärker ausgeprägt war, als in dem vom Kölner Ensemble erstaufgeführten „Canto s o s p e s o“ nach Briefstellen von zehn zum Tod verurteilten Freiheitskämpfern aus dem letzten Weltkrieg. In den neun Sätzen seiner Kantate versucht Nono die verschiedenartigsten Kombinationen von' (drei) Solisten, Chor (auch a cappella) und Orchester. Die Einheitlichkeit der Stimmung ist nicht nur durch die Texte, sondern auch durch immer neue Abwandlungen der gleichen Grundreihe gegeben. Die Keuschheit und Reinheit seiner Sprache erinnert sowohl an Webern wie an Hauers Zwölftonmusik.

Giselher Klebe (Jahrgang 1925) widmete seine beiden „Nocturnes“ dem „Esprit de la France“, und tatsächlich hat sein Orchesterklang etwas von der Farbigkeit französischer Impressionisten. Man folgt mit Interesse den in serieller Tonsprache geschilderten Stimmungen und Vorgängen, die eine _ ruhige Nacht in der Natur und die kaleidoskopisch wechselnden Großstadtbilder im Komponisten ausgelöst haben.

„Le Visage Nuptial” ist ein frühes Werk von Pierre Boulez (geboren 1925), das, ursprünglich für zwei Solisten und Kammerorchester geschrieben, fünf Jahre später (1951) vom Komponisten für Sopran- und Altsolo, Frauenchor und großes Orchester umgearbeitet wurde. Die fünf Gedichte von Renichar, die in der Originalsprache ebenso schwer verständlich sind wie in der deutschen Uebertragung, werden gesungen, gesprochen, gezischt und geflüstert. Währenddessen geht das Orchester seine eigenen holprigen Wege. — Im Unterschied zu anderen Komponisten, die ihre Jugendwerke in späteren Jahren vereinfacht haben, mutet Boulez in seiner Neufassung dem Hörer zuviel an harmonischen und orchestralen Ballungen zu, so daß sich der Vergleich mit Schönbergs „Gurreliedern“ unwillkürlich einstellt.

Die Meisterschaft in der Beschränkung demonstrierten Anton von Weberns „Sechs Stücke für großes Orchester“ op. 6, 1909 '“ižy sžiiss ežji S-iž’diCjA S“— •i“!,

Dirigent und Komponist: Bruno Maderna entstanden, deren längstes nur 40 Takte umfaßt, die aber trotzdem nicht fragmentarisch wirken. So sehr ist jeder Takt Verdichtung, Aussage, Ausdruck und Gefühl. Am faszinierendsten ist das 4. Stück (Langsam, Marcia funebre) mit seinen geheimnisvollen Glockentönen am Anfang und am Schluß, das wiederholt werden mußte.

Die beiden besprochenen Konzerte, die ohne Zweifel die interessantesten, freilich auch die weitaus schwierigsten dieses Musikfestes waren, wurden von Bruno Maderna, Boulez und Stockhausen dirigiert, wobei das Kölner Ensemble einen Ernst, eine Klangkultur und eine Routine bei der Wiedergabe schwierigster neuer Werke zeigte, die ihresgleichen suchen. Den Kölnern galt wohl vor allem der minutenlange Beifall eines interessierten Publikums, während vereinzelte Pfiffe als Reaktion auf die Schockwirkung, die alles Ungewohnte und radikal Neue hervorruft, gleichfalls verständlich waren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung