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Philadelphia-Orchester und Jugoslawisches Ballett

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Bisher kannten wir amerikanische Orchester nur vom Hörensagen und von Schallplatten. Nun haben wir im Großen Konzerthaussaal eines der berühmtesten, das Philadelphia-Orchester, „in natura“ gehört, und man konnte sich davon überzeugen, daß es so gut ist wie sein Ruf. Zunächst einige Daten und Zahlen: Gegründet im Jahre 1900, im Lauf von 55 Jahren nur vier ständige Dirigenten (von 1912 bis 1936 Stokowski, seither: Eugen Ormandy), bisher etwa. 6000 Konzerte, gegenwärtig in Philadelphia, zwei Zyklen von je 28 Abonnement-Veranstaltungen und weitere zehn für die Jugend, Konzertreisen hauptsächlich in den USA, 1917 die ersten Schallplattenaufnahmen, insgesamt 450 verschiedene Kompositionen und 46 Millionen verkaufte Schallplatten, 1948 als erstes Orchester im Fernsehfunk.

Eugen Ormandy, der gebürtige Budapester, Sohn eines musikliebenden Arztes, kam bereits 1921 nach New York. Er begann als Kinomusiker, wurde Konzertmeister, dann Rundfunkdirigent und leitet seit nunmehr bald 20 Jahren das Philadelphia-Orchester. Das bemerkt man, und hier ist einer der Gründe für das wunderbar präzise Zusammenspiel. — Die Mitglieder des Orchesters sind verhältnismäßig jung, besonders die an den ersten Pulten. Die zauberhafte Schönheit und Einheitlichkeit des Streicherklanges ist zum Teil damit zu erklären, daß fast alle Instrumente von Cremonenser Geigenbauern stammen. Die Holzbläser, unwahrscheinlich präzise, klingen heller als wir es gewohnt' sind, Posaunen und Hörner blasen besonders weich und sicher (während zweier Konzerte gab es nur zwei winzige „Gickser“. Das ist ein Rekord!). Vergleiche mit den Wiener Philharmonikern hinken, denn diese beiden Orchester sind irgendwie inkommensurabel. Weniger wegen der von den Musikern aus Philadelphia unbedingt geforderten Präzision (die den „Ausdruck“ und das „Gefühl“ nicht auszuschließen braucht), sondern wegen des für jeden einzelnen Musiker anscheinend geltenden obersten Gesetzes: nicht hervorzutreten.

In zwei Konzerten zeigte uns das Orchester seine beiden Gesichter: das klassische mit Bachs Suite in D. Beethovens Siebenter und der Zweiten von Brahms; das moderne mit Hindemiths Symphonie „Mathis der Maler“, zwei Nokturnen von D e b u s s y, „La Valse“ von Ravel und einem „Epigraph“ von Norman Dello J o i o. geb. 1913. (Diesen Stücken waren im zweiten Konzert die Kaydn-Variationen von Brahms vorangestellt.) Bei Bach mußte man erst warm werden, mit Brahms hatten Orchester und Dirigent das Publikum gewonnen, und mit den neueren Werken feierten sie wahre Triumphe. Hindemiths oft aufgeführte Mathis-Symphonie ist in Wien noch nie so vollkommen wiedergegeben worden; fast möchten wir das auch von „Fetes“ und „Nuäges“ von Debussy sagen. Der Interpretationsstil: man spielt klassische Musik, als ob sie von heute wäre, und moderne, als ob sie von Klassikern stammte. Noch eine Randbemerkung: Im letzten Satz der 1. Symphonie von Brahms klangen die Hörner nicht nach Bruckner und die Posaunen nicht nach Wagner.

Kam man aus dem Konzert dieses raffinierten und diskreten Großstadtorchesters in die Volksopcr zum Jugoslawischen Nationalballett, so schlug einem — trotz des feudalen Sujets („Romeo und Julia“ nach Shakespeare, Musik von Sergei Prokofieff) Landluft entgegen. Die Musik haben wir vor kurzem im Eröffnungskonzert des Musikfestes gehört und an dieser Stelle besprochen. Sie klang unter dem jugoslawischen Dirigenten Oscar Danon ein wenig anders . . . Auch die Choreographie kann man sich anders vorstellen: stilisierter, geistiger und packender. Das gleiche gilt von dem etwas altertümlichen Bühnenbild. Sehr erfreulich waren dagegen die männlichen und weiblichen Tänzer, diu mit Eifer und naiver Freude die tragische Geschichte agierten. Sie fanden aber auch reichlich Gelegenheit zur Entfaltung temperamentvoller und dekorativer Gruppentänze. Nicht nur auf den Straßen von Verona beim Karneval, sondern auch im Palast der Capulets wurde jugoslawisch getanzt. Das waf kein Nachteil, und die Musik des großen Russen erlaubt dies nicht nur, sondern fordert es geradezu heraus. Von den zwanzig namentlich im Programm angeführten Partien und den weiteren zwanzig Tänzerinnen und Tänzern, die Edelfrauen und Edelmänner, Mädchen und Burschen bei der Tarantella darstellten, seien wenigstens die beiden hervorragenden jugendlichen Titelrollenträger genannt: die zarte, kindlichausdrucksvolle Dusanka Sifnios und der noble und temperamentvolle Duan Trinic. Das Jugoslawische Nationalballett, das mit sehr freundlichem Beifall bedacht wurde, zeigt zwei weitere Programme, auf deren eines wir an dieser Stelle noch zurückkommen werden.

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