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Aus dem Konzertsaal

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Claudio Arrau, der 1906 geborene Chilene, begann als sechsjähriges Wunderkind, errang bereits 1927 in Genf den Internationalen Pianistenpreis und gilt als einer der größten Virtuosen seiner Generation, der die Wiener Klassiker von Haydn bis Brahms und die deutschen Romantiker authentisch interpretiert. Ein phänomenales Gedächtnis gestattete ihm, in einem Berliner Winter sämtliche Klavierwerke Bachs auswendig vorzutragen. — Dieses unfehlbare Gedächtnis bewunderte man auch an seinem vorige Woche im ausverkauften Großen Musikvereinssaal gegebenen Konzert — Er begann mit Beethovens Es-Dur-So-nate op. 81 a („Les Adieux“) und ließ darauf zwei Riesenwerke folgen: die 42 Minuten dauernde f-moll-Sonate von Brahms und Schumanns ebenso lange „12 Symphonische Etüden“ op. 13, die durch Einfügung von fünf posthumen Variationen eher gedehnt als bereichert werden. — Heute be-

eindruckt die Wiedergabe der lyrisch-meditativen Sätze durch den kaum ergrauten eleganten 72jährigen mehr als die stürmisch-phantastischen und virtuosen Sätze. Und da war das Fatale des Steinway-Klan-ges, auf dem die spezifischen romantisch-expressiven Passagen sowohl bei Brahms wie bei Schumann nicht so vollkommen zu realisieren sind, wie etwa auf einem Bösendorfer oder einem Bechstein-Flügel.

H. A. F.

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Man glaubt es fast nicht, daß ein so prominenter Dirigent wie Igor Markevitch in Wien gute zwanzig Jahre und im Musikverein überhaupt noch nie dirigiert hat: Amsterdams Concertgebouw, der Maggio Musicale, Florenz, die Lamoureux-Konzerte Paris, die Oper von Monte Carlo, das Römische Santa-Cecilia-Orchester, dessen Chef er ist, Dirigentenkurse des Salzburger Mozarteums ... Das alles fällt einem beim

Namen Markevitch ein. Viel Tradition, großer Glanz, ein Name, der unlösbar mit all diesen weltberühmten Instituten, Institutionen und mit prominenten Komponisten verbunden ist. Um so mehr waren wir nach dieser Begegnung enttäuscht: Denn Igor Markevitch leitete nicht nur ein denkbar uninteressantes Programm — Brahms' „Erste“ und Mussorgsky-Ravels „Bilder einer Ausstellung“ —, er dirigierte dieses Programm auch noch so uninteressant, so langweilig, daß man das Orchester stellenweise nur bedauern konnte. Dem Spiel der Symphoniker merkte man denn auch an, welche Probleme sie hatten: wie wenig sie mit Markevitchs eckiger, ganz auf Selbstinszenierung bedachter Schlagweise anzufangen wußten, wie sie sich von ihm stellenweise (vor allem bei Brahms) verlassen fühlten und das Spiel ganz plötzlich verflachte, zerbröckelte, ohne daß Markevitch den Spannungsbogen noch einmal hätte hochzwingen können. Wohler fühlten er und das Orchester sich bei - den kleinformatigen „Bildern einer Ausstellung“, wo immerhin persönliche Ausdrucksfarben, Flair, Eleganz spürbar wurden. Für einen Namen, dem solcher Weltruf vorauseilt, dennoch ein bescheidenes Ergebnis.

R. W.

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Musik aus mehr als einem halben Jahrtausend gab es vergangene Woche im Brahms-Saal zu hören. Bernhard Klebel gedachte mit dem Ensemble Musica Antiqua des Erwachens der Natur in der Renaissance mit Werken von Josquin des Pres bis Claudio Monteverdi. In den Silberklang der alten Instrumente mischte sich ein bestens aufeinander abgestimmtes Vokalquintett, dessen Leistungsbereich von lockerer, eleganter Deklamation bis zu virtuoser Deskriptivität ging.

Das Prager Streichquartett, das man bereits aus dem Mozart-Saal als gutes Ensemble kennt, wuchs bei seinem Debüt im Brahms-Saal über sich hinaus. Mozarts G-Dur-Quartett, KV 387, erstand romantisch-drängend und:.temperamentvoll musikalisch in luzider Klarheit, Bohu-slav Marünus drittes Quartett glückte kammermusikalisch virtuos und mit Verve; dieses Werk gibt sich etwas moderner, als man es bei Martinu gemeinhin gewohnt ist: Geräuscheffekte werden einbezogen, der Zusammenklang wird zeitweise recht frei aufgefaßt, aber verbunden ist das alles mit den „alten“ Tugenden des vor fünfzehn Jahren verstorbenen Meisters, nämlich musikantischer Gesinnung, ansprechender Frische und packender Rhythmik. Auch für Smetana fanden die Prager den entsprechenden — weniger scharf kon-turierten — Klang und eine überzeugend lockere musikalische Deklamation; und über den Saal legte sich eine fast körperlich fühlbare Ruhe, wie sie sich nur bei ganz schönen musikalischen Darbietungen einstellt.

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