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Konzerte

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Die Begegnung mit dem jungen lettischen Geiger Gidon Kremer ist immer Ereignis und Überraschung. Er und sein Spiel wandeln sich, zeigen immer wieder neue Facetten. Die Phase starken Gefühls, die eine Zeitlang seine Interpretationen geradezu aufheizte, ist - wie er im Musikverein zeigte - einer besonders kritischen Sicht der Werke gewichen. Selbst bei so virtuosen Stük-ken wie Eugene Ysayes 3. Solosonate oder Karlheinz Stockhausens meditierendem Solostück „Sechs Melodien aus .Tierkreis'“ (1975) merkt man, wie er die Auseinandersetzung bis zur Durchgeistung vorantreibt. Bei Stockhausen etwa die totale Entschlackung, bis Melodisches in gleichförmige Wellenbewegung zerrinnt. Beispielhaft auch die gedankliche Intensität in Pro-kofieffs ausgedehnter 1. Sonate (op. 80), die dem verstorbenen Geiger und Lehrer Kremers, David Oistrach, gewidmet ist. Ein fein gesponnenes Stück, in dem derDialog mit dem Pianisten Oleg Maisenberg im mezzavoce geführt wurde, und da mehr als Zwiegespräch musikalischer Gesten und Blicke. Allerdings, wo man von Kremer nur vollsaftiges Spiel erwartet, einfaches Musizieren, wül er sich nicht so recht ins Abenteuer werfen (wie er das sonst so mitreißend in seinen Bravourstücken tut). Deshalb wirkten Schuberts Sonatine (D 408) und Cesar Francks A-Dur-Sonate klanglich und im Ausdruck stark zurückgenommen.

Drei Konzerte gaben die Leningrader Philharmoniker im Musikverein, und zwar unter Eugen Mra-winski, der seit 30 Jahren dieses Meisterorchester erzogen, geformt, zu dem gemacht hat, was es ist: ein Juwel von einem Klangkörper. Prächtig füllig in seinem aufrauschenden, festlichen Klang, ungemein präzise, ein minuziös auf Mrawinskis sparsame Gesten reagierendes Ensemble (was man nicht sagen kann, wenn Mrawinskis Assistent Maris Jansons am Pult des Orchesters steht). Schostakqwitschs „Fünfte“, Tsehaikowskis „Vierte“ und „Fünfte“, Prokofieffs „Klassische“, Brahms' „Zweite“, Schuberts „Unvollendete“, dazu Webers „Oberon“-Ouvertüre, Mendelssohns g-Moll-Klavierkonzert mit dem virtuosen Alexander Slobod-janik... In jedem dieser Werke ist das Orchester zu Hause. Mag einem auch etwa bei Schubert oder Brahms etwas vom weichen Samt der Streicher fehlen, die Interpretationen bestechen durch musikalische und technische Präzision. Und durch den klaren Stil der Darstellung, die gleichsam das schöne klare Licht Leningrads einfangt.

Vor 125 Jahren hat die Geschichte des Hauses Bösendorfer begonnen. Im Brahms-Saal konzertierten aus diesem Anlaß zwei der prominentesten Bösendorfer-Preisträger. Walter Klien wählte die gehaltvollere Musik: Mozart, den er vor allem als einen romantisch-tragisch Umwitterten darstellte (Fantasie c-Moll, KV 475; Sonate c-Moll, KV 457), mehr noch - als einen gegen das Schicksal bitter ankämpfenden Menschen ohne Liebe (Mittelsatz der G-Dur-Sonate KV 283!).

Ganz auf feurige Virtuosität hatte Alexander Jenner sein Programm abgestimmt. Daß durch die Aufeinanderfolge zweier ziemlich ähnlich gebauter Werke von Brahms (Walzer op. 39, Paganinivariationen) eine etwas ermüdende Gleichförmigkeit auftrat, lag am Programm des ersten Teües. Gelöst und launig gelangen dann vier Stücke aus dem zweiten Band der „Preludes“ von Debussy, und mit Liszt demonstrierte jenner, wie vor der Pause die Stabilität des Bösendorfers durch die stählerne Kraft seines Anschlages erneut: Funeraüles und

- temperamentvoll und mit stupen-der Virtuosität (ohne daß wie in den Paganinivariationen viele „Späne“ gefallen wären) - die sechste Ungarische Rapsodie. Alexander Jenner

- ein Königs-Tastentiger.

HERBERT MÜLLER

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