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Aus England, Israel und Rußland

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Die Ereignisse auf dem Gebiete der Kammermusik konzentrierten sich mit einer einzigen Ausnahme auf das Konzerthaus. — Die Ausnahme war das „English Orchestra“, das sich -als äußerlichen Aufputz Christoph Eschenbach, einen Pianisten mit Blitzkarriere, ans Pult geholt hatte. Bessere Figur machte er am Klavier, und zwar mit Mozarts A-Dur-Konzert, KV 414, aber außer verinnerlichter Lyrik im Mittelsatz und guter Partnerschaft der Streicher ereignete sich durchaus nichts Außergewöhnliches. Auch eine vorher gespielte „Orchesterfassung“ von Verdis Streichquartett erwies sich als entbehrlich, ja deckte eine Schwäche der Engländer auf: mit der Präzision nehmen sie es nicht sehr streng. Überraschend gut dagegen zeigten sich auf Schönberg eingestellt und realisierten ;,We langatmige „Verklärte Nacht“ mit leidenschaftlicher Glut.

Aus Israel war das Yuval-Trio in den Mozart-Saal gekommen und machte dort mit einem tyisdi wienerischen Trioprogramm einen ausgezeichneten Eindruck. Der Pianist ist gerade kein Phänomen an Anschlagskultur und polyphon durch- iichtetem Spiel, aber die Streicher — namentlich das Cello — sind von hoher Qualität, und — was bei Kammermusik besonders ins Gewicht fällt — alle drei haben das gleiche (und glückliche) Temperament. Winzige agogische Effekte (Haydns Klaviertrio d-Moll, Hob. XV/23), hohe Musikalität (Beethovens „Geistertrio“) und Stilgefühl (Schuberts B-Dur-Trio) machten den Abend zu eirtem ausgesprochenen Genuß. Das nach der Pause eingeschobene „Divertimento 1972“ des jungen israelischen Komponisten Daniel Shalit hatte nur einen unbestreitbaren Vorzug: es war zu kurz.

Als die Attraktion dieser Woche entpuppte sich Elisabeth Leonskaja, die Gattin des russischen Geigers O. Kagan, den sie am darauffolgenden Tag in einem Sonatenabend am Klavier eindeutig ausstach. Die Künstlerin, eine feenhafte grazile junge Frau, verfügt über stählerne Kraft de den Unterarmen, einen flexiblen und gesanglichen Anschlag, und ihre Intensität des Ausdrucks macht sie zur idealen Interpretin vor allem expressionistischer Musik — das stellte sie an der Seite ihres Gatten im Großen Saal mit Bartöks erster Violinsonate unter Beweis, das war aber auch hinreißend in ihrem Soloabend im Mozart-Saal bei Pro- kofjew: Die selten gespielte „fauvi- stische“ Sonate Nr. 5, noch mehr aber die um zehn Jahre älteren „Fünf Sarkasmen“ aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kann man sich besser gespielt eigentlich nicht mehr vorstellen. Schumanns „Davidsbünd- lertänze“, Goethes Enkel Walter gewidmet, hatten einen merkbar fremden Akzent, „östlicher“ als Schumanns spätere „Bilder aus dem Osten“.

Das große Ereignis war hiermit eigentlich schon vorbei. Wer vom Sonatenabend Oleg Kagans erwartet hatte, Kagan könne sich als „Thronfolger“ seines Lehrers David Oist- rach etablieren, sah sich enttäuscht. Kagan ist zwar ein feiner Geiger mit achtbarer Technik und hält den Bogen entgegen russischer Tradition so wie wir mit fünf Fingern, aber das Stakkato ist rauh, der Ton eher klein zu nennen; es fällt auf, daß er häufig nicht intensiv durchvibriert und eher auf technische Sauberkeit bedacht bleibt. So blieb in allen drei gespielten Sonaten Gattin Elisabeth Leonskaja die Führung überlassen: Konnte man Mozarts Sonate D-Dur, KV 306, noch als Sonate „mit Violinbeglei- tung“ goutieren, so fiel bei Schumann (Sonate a-Moll) Kagans reduziertes Temperament ebenso schmerzlich auf wie in Bartöks erster Sonate; dieses zum Schluß gespielte, äußerst ahsprüchsvolle Werk bot.mit seinen langen lyrischen Passagen immerhin dem Geiger Gelegenheit, seine ja unzweifelhaft vorhandenen Vorzüge ins rechte Licht zu setzen.

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