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Stars aufbauen für die Zukunft

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Nach Jahren der „Mahler-AbstL, nenz“ hat das Werk des Komponisten endlich wieder bei den Salzburger Festspielen Eingang gefunden: Herbert von Karajan hat dazu vor drei Jahren mit der „Fünften“ das Startsignal gegeben; heuer führt er bereits zum zweitenmal mit seinen Berliner Philharmonikern die „Sechste“ auf. Und James Levine dirigierte zum Wochenende die „Zweite“, die Auferstehungssymphonie. Man hat sich also endlich wieder für den Vater der Moderne entschlossen. Und da das Publikum mit ungeheurer Begeisterung folgt, könnte man in Salzburg endlich auch den großen Schritt zur Wiener Schule wagen.

Levine, der junge, dynamische „Met“-Chef, der sich in Salzburg bereits als fulminanter Mozart-Dirigent ausgewiesen hat, macht Mahlers Symphonie Nr. 2 zu einer gewaltigen Eruption. Dramatische Spannung und moderne „Brüchigkeit“, abrupte Aufbrüche und elegisches Sichverschwelgen stehen als Kontrastmittel nebeneinander. Levines Mahler wirkt packend, vital, drängend, stellenweise explosiv; aber er versteht es auch, die wundervolle Lyrik dieser Musik berückend schön ausschwingen zu lassen. Wobei ihm die Wiener Phüharmoniker und der Wiener Staatsopemchor mit großer Intensität folgten.

Im selben Konzert spielte Levine übrigens selbst Mozarts A-Dur-Kla- vierkonzert (KV 414). Behutsam, aber doch sehr frisch, ungekünstelt und temperamentvoll. Einer, der Spielfreude vor Interpretationsgrübelei stellt, der musikantischem Empfinden vor Stilkalkül den Vorzug gibt. Und wenn sich diese Zusammenarbeit zwischen Salzburger Festspielen und Levine weiterhin so erfolgreich entwik- kelt, könnte Levine in absehbarer Zeit wirklich zum wichtigsten Betreuer der Werke Mozarts in der jüngeren Dirigentenriege werden. Man muß ihn nur weiter systematisch aufbauen.

Einen tief beeindruckenden Bruckner-Abend bescherte Dr. Karl Böhm mit den Wiener Phüharmonikem: Die „Siebente“ in einer makellosen Wiedergabe, wie sie nur ein Orchester spielen kann, das mit seinem Dirigenten seit Jahr und Tag an der Interpretation des Werks feilt, ja dessen Vorstellung vom Werk mit der des Dirigenten mitgewachsen ist. Gerade dieses Moment spürt man bei den Wiener Philharmonikern und Böhm sehr deutlich: Oft genügen die sparsamsten Andeutungen, um die subtilsten Schattierungen aufleuchten zu lassen; wie von selbst ergeben sich die großen Zusammenhänge.

Enttäuschend war allerdings Mauri- zio Pollinis Einsatz für Mozarts A- Dur-Klavierkonzert (KV 488): eine glattpolierte, seltsam leblose Wiedergabe, der es an persönlichem Ausdruck, an Eigenleben fehlte. Soviel flotte, nichtssagende Eleganz habe ich bei Pollini selten noch erlebt. Und Böhm, der vielleicht sogar mit dieser Auffassung gar nicht zufrieden war, hielt sich merkbar aus den Problemen heraus. Er ließ die Phüharmoniker frei drauflos musizieren …

Liebhaber anspruchsvoller Klavierabende kommen heuer in Salzburg besonders auf ihre Rechnung: Kry- stian Zimerman, der jugendliche Senktrechtstarter, feierte sein Debüt mit Chopin; man wird von ihm in den nächsten Jahren noch eine Menge hören. Svjatoslav Richter (mit Beethoven, Chopin und Debussy)) und Mau- rizio Pollini (mit Beethoven, Webern, Boulėz) präsentieren sich noch; Alfred Brendel absolvierte seinen aufregenden Schubert-Abend und Victoria Postnikowa und Gennadi Roschdest- wenskij ihr Programm mit vierhändi- ger Klaviermusik. Vor allem Brendels Schubert-Deutung hat einen Grad der Reife erreicht, wie sie nur wenige große Pianisten zu bieten haben. An zwei (a-Moll, G-Dur) der 22 großen So naten, von denen jedoch nur die Hälfte vollendet ist, demonstrierte er sein Schubert-Büd - eine in sich geschlossene Welt, voll von Spannungen, brüchigen Stimmungen, Fragmente von wundervoller Schönheit, die jedoch oft isoliert nebeneinander stehen. Brendel, der zwischen den Sonaten auch die Wanderer-Fantasie spielte, macht Takt für Takt und Phrase für Phrase spürbar, welchen Arbeitsprozeß er durchgemacht hat, indem er diesen im Konzert sozusagen im Zeitraffer noch einmal zusammenfaßt. Ein Pianist, der mit ungeheurer Akribie seziert, zugleich aber ständig schöpferisch neugestaltet.

Biedermeierliche Liebenswürdigkeit umgab hingegen die Wiedergaben der russischen Pianistin Postnikowa und ihres Gatten, des Dirigenten Rosehdestwenski, die vierhändig Mozarts Sonaten D-Dur (KV 381) und C-Dur (KV 19 d), Schuberts f-Moll- Fantasie und Brahms 16 Walzer spielten. Sie gestalten Großformen, wie die von Schubert, mit dramatischen Spannungen und großem Farbenreichtum. Aber gemessen an Brendels tiefem Ausloten dieser Klaviermonologe wirken sie ein bißchen oberflächlich. Wie zwei reizende Biermeiergastgeber, die ihren Gästen Vorspielen.

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