7128369-1997_14_19.jpg
Digital In Arbeit

„Das Grab ist meine Freude”

Werbung
Werbung
Werbung

Er ist heute ein Eckpfeiler unseres modernen Musikbetriebs wie der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, ein bewundertes Denkmal der Wiener Musikkultur der Ringstraßenzeit. Eine Konzertsaison ohne seine vier Symphonien, ohne sein „Deutsches Requiem”, ohne seine Kammermusik- und Orgelwerke, ohne sein Liedschaffen ist undenkbar. Sein QLuvre, einst von den „Neutönern” als erzkonservativ abgekanzelt, wirkt heute wie eine Apotheose der Wiener Klassik. Und doch weist sie zugleich voraus bis zu Arnold Schönberg, der ihn als Vorbild musikalischer Satzkunst pries: Johannes Brahms, der Meister zwischen dem „vollkommenen” Beethoven, dem radikalen Erneuerer Richard Wagner und den „Neuen Bahnen”, die Robert Schumann propagierte, hat es als einziger geschafft, in einer Zeit radikaler Umbrüche eine aufregende Synthese zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen klassischer Form, strengem Satz und melodischer Linie der Romantik in höchster Vollendung zu entwickeln.

Als er im Frühherbst 1862 nach Wien kam, war er kaum bekannt. In seiner Vaterstadt Hamburg hatte an dem nicht besonders umgänglichen jungen Mann und seinen musikalischen Ideen kaum jemand Interesse gefunden; in Leipzig hatte man ihn und sein d-Moll-Klavierkonzert gar ausgepfiffen. Und das, obwohl Robert Schumann ihn prophetisch als einen neuen Messias der Tonkunst angekündigt hatte: „Es ist jemand gekommen. Von dem werden wir alle Wunderdinge erleben.” Brahms kam nach Wien - und machte kein Geheimnis daraus, daß die Wahlheimat Beethovens ihn angelockt hatte. Aber es war die Heimat Schuberts - dessen kostbare Autographe sollte er bald um ein paar Gulden erwerben -, die ihn schließlich hielt. Bis zu seinem Tod am 3. April 1897. Ist es zu pathetisch, wenn man es als letzte Erfüllung seiner Jugendträume deutet, daß

Brahms in einem Ehrengrab zwischen Beethoven und Schubert, den Eckpfeilern seines musikalischen Denkens, bestattet wurde?

Man kann sich heute die magische Anziehungskraft der rapid wachsenden Metropole Wien knapp nach der Grundsteinlegung der Ringstraße kaum vorstellen. Aber so wie der am 7. Mai 1833 in Hamburg gebo-reneBrahms waren auch zahllose andere Künstler von der Atmosphäre der Stadt, von der Musik- und Theaterleidenschaft der Wiener, ihrer Musikpflege, in der das Wirken eines Beethoven und Schubert noch spürbar war, fasziniert. Und er konnte hier, anders als in seiner Heimat, seine ersten Triumphe erleben. Musikerpersönlichkeiten wie Josef Hell-mesberger und Johann Herbeck feierten begeistert die Ankunft des jungen Komponisten: Der eine begrüßte ihn nach der ersten Probe seiner mitgebrachten Klavierquartette als „Erben Beethovens”, der andere führte die D-Dur-Serenade im Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde auf, die Wiener Philharmoniker folgten mit der A-Dur-Serenade. Brahms, den seine Vaterstadt geflissentlich übersah, so auch bei der Bestellung des Leiters des Philharmonischen Orchesters, wurde in Wien für Wien entdeckt: Bereits 1863 berief ihn die Wiener Singakademie als Chorleiter. Brahms zieht ins „Deutsche Haus”, wo er seine „Magelone”-Romanzen komponiert und seine „kleinen Wienerinnen” unterrichtet; und er schont die Wiener keineswegs und bietet ihnen mit seinem Chor Asketisch-Norddeutsches. Vor allem mit Bach. Nicht einmal'im Fasching gönnte er seinem amüsierwütigen Publikum anderes als Bibelchöre. Was die Wiener bald spötteln ließ: „Wenn Brahms recht übermütig ist, läßt er singen: Das Grab ist meine Freude.” Die Legende vom verschlossenen, ungemütlichen Melancholiker entstand.

Brahms hat Wien immer wieder verlassen, so für ausgedehnte Konzertreisen; er ist aber stets wiedergekommen. Und ab 1871 bleibt er endgültig. Seine Wohnung in der Karlsgasse - es war die sechste, mit romantischem Blick auf die Karlskirche und den noch nicht überbauten Wienfluß -wollte er nicht mehr wechseln; er verzichtete auf ehrende Angebote aus Köln, Berlin, Düsseldorf, sogar auf das Thomas-kantorat in Leipzig umso leichter, als ihm die Wiener Gesellschaft der Musikfreunde die Leitung der Gesellschaftskonzerte übertrug, deren Konzerte er zu glanzvollen Ereignissen steigerte. Die Aufführung seines „Deutschen Requiems” wurde einer der Höhepunkte. Und als er nach drei Jahren die Leitung zurücklegte - nicht zuletzt, um sich ausschließlich seinem Schaffen zu widmen -, wurde er Ehrenmitglied der berühmten Gesellschaft, die er schließlich zu seiner Universalerbin machte: Seine kostbare Bibliothek, seine wunderbaren Auto-graphen, Erinnerungsstücke an ihn -das alles befindet sich seither in den

Sammlungen im Wiener Musikvereinsgebäude.

Dieser Rücktritt mit zweiundvierzig wurde zur großen Wende seines Lebens: Der Jean-Paul-Jüngling, der wie ein schüchterner Liebhaber wirkte, was er tatsächlich gewesen sein dürfte, ließ sich einen Vollbart wachsen, der ihn wie eine „Meistersinger”-Figur Richard Wagners erscheinen ließ. Damals entstand das Brahms-Bild, das wir seit Schultagen und aus der Literatur kennen: Der „stämmige, kurzbeinige Mann mit dem blonden Wotansbart, den strahlenden Augen, der hohen Stirne, dem unverwüstlichen graubraunen Havelock und den bodenscheuen Hosen”. Eine Art Wahrzeichen Bing-straßen-Wiens. So kannte jeder den Meister, wenn dieser in den „Boten Igel” am Wildpretmarkt, einer Brahms-Adresse wie die Karlsgasse, marschierte, wo ihn Freunde und Gäste trafen. Dort saß er „an einem Tisch nächst der Tür im Extrazimmer, einem verräucherten Raum”, während Anton Bruckner, Ferdinand Löwe und Franz Schalk die Schwemme vorzogen. Hier besuchten ihn alle, von Gerhart Hauptmann bis zum Landgrafen von Hessen - und viele mußten seine sprichwörtlich gewordenen Grobheiten einstecken. Berühmt wurde ein Vorfall: Als Brahms eines Abends eine vornehme Gesellschaft verließ, die er recht rüde behandelt hatte, verabschiedete er sich mit den Worten: „Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, falls ich jemand unter Ihnen heute nicht beleidigt haben sollte.”

Gezähmt wirkte Brahms bei den Frauen, die ihn verwöhnten: bei Louise Dustmann, dem Stern der Hofoper, oder Ottilie Hauer - schönen Stimmen war er so verfallen, daß er beinahe „dummes Zeug gemacht hätte”! -, mit Elisabeth von Stock-hausen, die neben Clara Schumann den Alternden umsorgte, mit Ida Con-rat, die für Brahms in ihrem Haus sogar das Stammlokal des Tonkünstlervereins mit Plätzen für 80 Personen „nachbauen” ließ, damit der Meister auch privat in seinem Lieblingslokal sein konnte.

Wie sich um Richard Wagner in Wien ein Clan von Wagnerianern scharte, der von den „Bruckneria-nern” weitergetragen wurde, huldigten die „Brahminen” Brahms mit gleicher Unbedingtheit: Richard Heuberger, der Komponist des „Opernballs”, Max Kalbeck, der erste Rrahms-Biograph und „Wagner-Töter”, Gustav Nottebohm, der Beethoven-Forscher, Marie Wilt, die gefeierte Opernsängerin, Eusebius von

Mandyczewsky, Herausgeber der ersten Schubert-Gesamtausgabe (zu der Brahms 1.000 Mark beisteuerte!), Eduard Hanslick, der gefürchtetste unter allen Kritikern, der in Brahms' Werk sein musikalisches Ideal verwirklicht sah, vor allem aber Johann Strauß, in dessen Ischler Villa Brahms Dauergast war - der einzige, den er „beneidete” - und der Chirurg, Musikschriftsteller und -fanatiker Theodor Billroth, wie Brahms ein „nordischer Biese” (ihm wurden die Streichquartette op. 51 gewidmet).

Brahms war in all den Jahren mehr und* mehr zum „Monument” der Ringstraße geworden und wurde mit

Ehren überhäuft: Er wurde Ehrenpräsident des Wiener Tonkünstlervereins, erhielt den preußischen Orden pour le merite, das Ritterkreuz des Österreichischen Leopoldsordens, den Ehrenbürgerbrief Hamburgs; und zuletzt als erster Musiker von Kai -ser Franz Joseph das Goldene Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Die letzte Ernte des Schwerkranken. In seinem Notizkalender verzeichnet er im Mai 1896 „4 ernste Gesänge für Baßstimme” (die Nummer 3 trägt den Titel „O Tod, wie bitter bist du”), den Tod Clara Schumanns, also jener Frau, die ihm ein Leben lang den innersten Antrieb für sein Schaffen gegeben hatte, und zuletzt elf Choral-vorspiele, die mit dem Stück „O Welt ich muß dich lassen” enden. Als Folge seiner Leberkrebserkrankung zum Schatten seiner selbst abgemagert, starb er am 3. April 1897.

Wien hatte ihn bewundert und verehrt. Man begrub ihn wie einen Fürsten. Die tatsächliche Brahms-Re-naissance setzte aber erst ein, als in den dreißiger Jahren der Glauben an den Fortschritt scheiterte und die Existenzkrise Europas offenbar wurde. Der Künstler Brahms, der schon die Unruhe seiner Epoche in seinem Werk bezwungen, ja gebändigt hatte, wurde zum Vorbild für alle, die die Klassik zurückgewinnen wollten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung