6675536-1961_19_15.jpg
Digital In Arbeit

Brahms im Brahms-Saal uraufgeführt

Werbung
Werbung
Werbung

Am vergangenen Freitag ereignete sich der seltene Fall, daß sechs Jahrzehnte nach eines berühmten Komponisten, eines unbestrittenen echten „Klassikers“ Tod von diesem ein Werk uraufgeführt wurde. Hier handelte es sich um fünf Ophelia-Lieder (nach Texten von Shakespeare in der Schlegel-Tieckschen Übersetzung), die Brahms 1873 auf Bitte seines Freundes, des Schauspielers Josef Lewinsky, für dessen damalige Braut und spätere Frau, die Tragödin Olga Prech- eisen, schrieb. — Brahms hat nur ungern und sehr selten solche Gelegenheitsarbeiten ausgeführt, aber die schwermütige Stimmung dieser Gedichte mag ihn angesprochen haben, und er wollte natürlich auch seinem Freund gefällig sein. Olga Precheisen. der das Brahms-Manuskript gewidmet ist, nahm die Lieder nach Prag mit, wo sie sie bei ihrem dortigen Debüt — ohne die beigegebene Klavierbegleitung — sang. Dann wurden, soviel wir wissen, die Ophelia-Lieder nie mehr gesungen, und Jetzt sind sie, nach fast neunzig Jahren, zum erstenmal öffentlich erklungen. (Nach einer amerikanischen Ausgabe, die Karl Geiringer, Ordinarius für Musikgeschichte in Boston, 1935 mit Bewilligung von Olga Lewinsky veranstaltete, ist jetzt eine hübsche deutsche Edition im Wiener Schönborn-Verlag erschienen. Diese Ausgabe bekam der Wiener Musikpädagoge, Musikschriftsteller und bekannte Liedbegleiter Dr. Erik W e r b a in die Hand, stellte fest, daß die Lieder noch nicht aufgeführt worden sind und empfahl sie Hilde Rössel-Majdan für das Programm ihres nächsten Liederabends.)

Diese fünf Einminutenlieder, mit einfachster, an Brahmsens Volksliedbearbei- tungen erinnernder Klavierbegleitung versehen, sind dem englischen Vokalstil, etwa eines Purcell oder Dowland, Sehr nahe. Zu ihrer elegisch-verträumten Grundstimmung passen gut das altertümelnde Sequenzieren und die fließenden Baßgrundierungen. Hilde Rössel-Majdan hat diese schönen, kostbaren Liedchen mit noblem Ausdruck und dunkeltimbrierter Altstimme vorgetragen, und Erik Werba hat. wie immer, sensibel und klangschön begleitet. — Der gehaltvolle Liederabend im Brahms-Saal begann mit einem Schubert-Zyklus und bot im zweiten Teil Lieder von Debussy und Richard Strauss (von denen die ersteren aus wesentlich feinetem Holz 6indf).

Andf6 C1 u y t e n s hat, soweit wir uns erinnern, zum erstenmal in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde dirigiert. Aber es wird hoffentlich keine Ur-Demiere gewesen sein! Nach außen hin erscheint Herr Cluytens als ein besonders liebenswürdiger und umgänglicher Dirigent. Das ist er, ohne Zweifel, Aber er ist weit mehr: ein gründlicher Kenner der Partituren seiner Landsleute und ein wahrer Meister seines Metiers, der freilich alles, was er will — und er fordert, man täusche sich nicht, sehr viel! —, mit sanfter Gewalt und freundlicher Überredung erreicht. — Das Orchester der Symphoniker fühlte sich unter seiner elastischen Leitung sichtlich wohl und erreichte ein Maximum an Wohllaut und Delikatesse. Das erfreulich unkonventionelle Programm bestand durchweg aus unproblematischen, angenehm klingenden Stücken. Mit dem „R ö m i- schen Karneval“ von B e r 1 i o z (eigentlich einem symphonischen Zwischenspiel aus der 1834 bis 1837 entstandenen Oper „Benvenuto Cellini“) begann das Konzert, Schumanns Klavierkonzert war der Schwerpunkt, eine Jugendsymphonie in C von B i- z e t (die man in letzter Zeit besonders gern als Ballettmusik verwendet) und die R a v e 1 s, „La V a 1 s e", bildeten den zweiten Teil Als Solistin des Schumann- Konzerts war Clara Haskil vorgesehen, die inzwischen verstorben ist! An ihre Stelle trat an diesem Abend Friedrich Gulda, der es vermied, die „Romantik" und das so direkt dieser Musik entströmende Gefühl noch zusätzlich zu unterstreichen. Natürlich war alles an seinem Spiel „perfekt“. Aber es fehlte seinem Vortrag auch nicht an Feinheit und Klangnuancen. Nur eben romantischen Überschwang und jenen dicken Tonbrei, den manche Leute für „romantisch“ halten, darf man von Gulda nicht erwarten. — Viel Beifall für alle Beteiligten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung