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Musik und Musiker unserer Zeit

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Musiker Uber Musik. Aus Briefen, Tagebüchern und Aufzeichnungen. Ausgewählt und kommentiert von Josef Rufer. Im Stichnote-Verlag, Darmstadt. 320 Seiten. Preis 87 S.

Der Umschlag dieser Sammlung stammt von Raoul Dufy. So modern wie das Gewand ist auch der Inhalt. Die zeitgenössischen Komponisten sind nicht, wie meist in solchen Sammelwerken, als lästiges Anhängsel im Schlußteil zusammengepfercht, sondern nehmen den breitesten Raum ein. Für die — oftmals gesammelten und edierten — Zeugnisse der Klassiker und Romantiker von Haydn bis Brahms begnügt sich der Herausgeber mit 66 Seiten. Dann folgen, etwas knapp, zwei Reihen: Rsger, Pfitzner, Strauss, Busoni (für Deutschland) und Debussy, Satie, Ravel (für Frankreich). Hier zeigt sich eine Schwäche des Buches: um wieviel ergiebiger ist die in einem Interview abgegebene antimodernistische Erklärung Ravels als die in Essayform eingekleideten Aeußerungen der beiden anderen Franzosen! Nach den „Klassikern der neuen Musik um 1950“ folgen die Meister der „Wiener Schule“ Berg, Webern und Krenek, dann, mit deren Altersgenossen die übrigen Länder, zum Schluß die Jüngsten: Einem und Henze. In der Tat: eine Aristokratie menschlichen Geistes im Bereich dis Schöpferischen. Die Lektüre ist interessant und erregend. Zwölf gut ausgewählte Photoporträts und eine Partiturseite von Webern sind mehr als nur Buchschmuck, sondern „Illustration“, das ist: Erhellung.

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Musik unserer Zeit. Von Antoine G o I e a. Eine kritische Darstellung ihrer Hauptströmungen. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München 195 5. 211 Seiten. Preis 91.80 S.

Antoine Golea, rumänischer Abstammung und Enfant terrible der Pariser Musikkritik (ein sehr kluges Kind freilich), macht auch mit diesem Buch seinem Ruf Ehre. Keine Geschichte der neuen Musik, keine Porträtgalerie, sondern — siehe Untertitel! Es gibt, nach Golea, nur zwei fruchtbare Aeste, nur zwei lautere Quellen der zeitgenössischen Musik: Debussy und Schönberg. Was auf dieser Linie liegt, ist organisch, weist in die Zukunft, alles andere sind Um- und Irrwege. Zwei Meister, die von anderen Autoren längst unter die „Klassiker der Moderne“ eingereiht wurden, kommen ganz schlecht weg: Hindemith und Strawinsky. Gegen den letzteren wurde seit Adorno nicht mehr so zu Felde gezogen. Erstaunlich bei dieser radikalen Einstellung Goleas ist, daß eine Gruppe von Komponisten, die „auf der Suche nach einem neuen Humanismus“ sind (etwa Enescu, Prokofieff, Schostakowitsch und Messiaen) nicht nur sehr tolerant beurteilt, sondern offensichtlich überschätzt werden. Im letzten Kapitel erweist sich Golea als kluger und verständnisvoller Verteidiger der kühnen Experimente der Allerjüngsten — und hier stimmen wir ihm zu.

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La Musique Franchise Contemporaine. Von Claude Rostand. Presse Universitaire de France. 126 Seiten.

In der volkstümlichen Serie „Que sais-je“ gibt der bekannte Musikkritiker von „Carrefour“ und „La Table Ronde“, Rundfunkkommentator und Musikschriftsteller (der die ersten französischen Monographien über Richard Strauss und Brahms geschrieben hat) eine gedrängte Uebersicht der neueren französischen Musik seit Debussy und Ravel (die Gruppe der Six, die Schule von Arcueil, „Jeune France“, die „Unabhängigen“ und die allerneuesten Schulen und Cercles). Das flottgeschriebene, übersichtliche und gut dokumentierte Büchlein ist sehr objektiv und für eine erste Orientierung bestens geeignet.

Entretiens avee Claude Rostand. Von Francis Poulenc Edition Rene Julliard, Paris. 223 Seiten.

Der gleiche Autor, der vor einigen Jahren bereits die Rundfunkgespräche mit Darius Milhaud aufgezeichnet hat (deren deutsche Ausgabe an dieser Stelle besprochen wurde) hat achtzehn vor dem Mikrophon von Radio Paris geführte Gespräche herausgegeben, die eine höchst lebendige und aufschlußreiche Monographie von Francis Poulenc darstellen. Der Neid packt den österreichischen Leser — nicht nur wegen der reichen und dichten Kulturbeziehungen und Freundschaften zwischen älteren und jüngeren Musikern, zwischen Komponisten, Dichtern und Malern, sondern auch darüber, wie großzügig diese Dinge in Paris ins Werk gesetzt werden. Solche sehr ergiebige und aufschlußreiche Unterhaltungen sind allerwert-vollste Zeit- und Kulturdokumente. Auch bei uns gäbe es unter den Schaffenden einige, die Wichtiges und Aufschlußreiches zu sagen hätten. Aber diese holt man höchstens für ein Allerweltsinterview („Woran arbeiten Sie gegenwärtig? — Welches sind Ihre nächsten Pläne?“) von maximum 15 Minuten Dauer vor das Mikrophon — oder gar nicht.

Beschwörungen. Von Arthur Honegge r. Alfred-'cherz-Verlag, Bern. 117 Seiten. Preis 62.70 S.

Das Bändchen, zunächst in französischer Sprache unter dem Titel „Incantations aux fossiles“ erschienen, enthält 36 hochinteressante und offenherzige Artikel des vor kurzem verstorbenen Komponisten,

der vorübergehend auch als Musikkritiker tätig war. Die ersten Abhandlungen durchzieht das Leitmotiv: Aendert die Konzertprogramme, spielt mehr neue Musik, macht aus unseren Konzertsälen keine musikhistorischen Museen! Am Ende steht eine sehr pessimistische Rede an die jungen Musiker; dazwischen Essays über Wagner, Pfitzner, Ravel, Debussy, Faurc, Messiaen und Poulenc, Komponisten, die Honegger sehr schätzte; über die Vereinfachung der musikalischen Schreibweise, über Autorenrechte und vieles andere Für diejenigen, die Honegger nicht gekannt haben, wird in diesen Blättern der kluge, gütige und vertrauenerweckende Mensch lebendig.

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Reden, Schriften, Briefe. Von Hans Pfitzner. Hermann-Luchterhand-Verlag. 336 Seiten. Preis 134.65 S.

Walter Abendroth hat dieser von ihm herausgegebenen Sammlung von bisher unveröffentlichten und verstreuten Aeußerungen Pfitzners ein ausführliches, sehr kluges Vorwort mitgegeben, dem eigentlich nichts hinzuzufügen ist. Er spricht darin von dem großen Künstler, der in seinen schriftstellerischen und autobiographischen Auslassungen weniger groß und unanfechtbar war, der „durch manche geharnischte Aeußerung... sich aus dem musikgeschichtlichen Zusammenhang hinausmanövrierte“ (Abendroth meint hier Pfitzners Polemik gegen die „Neue Musik“ in toto) — und der es seinem heutigen Herausgeber recht schwer macht. Erst nach und nach könne man, nach diesem 1. Band, der das Allgemeingültige enthalte, darangehen, dem Publikum Pfitzners sehr zeitbedingte und polemische Schriften im engeren Sinn vorlegen. Aber auch diese Sammlung ist voll von Angriffen, Ressentiments und Selbstverteidigungen. Am größten ist Pfitzner daher in den Betrachtungen über seine „Hausgötter“, über Shakespeare, Beethoven, Schopenhauer, Wagner, Schumann u. a. Die Aufsätze über „Pantragismus und Pessimismus“ und „Ueber die persönliche Fortdauer nach dem Tode“ führen ins Innerste von Pfitzners Weltanschauung, die absolut unchristlich war. Der gut ausgestattete, stattliche Band ist mit instruktiven Anmerkungen des Herausgebers, Quellennachweisen

und einem Stichwörterregister versehen.

Carl Orff. Idee und Werk. Von Andreas L i e s s. Atlantis-Musikbücherei. 171 Seiten. Preis 61.05 S.

Dieses neue Buch von Liess über den Autor zahlreicher und vielgespielter Bühnenwerke (Der Mond, Die Kluge, Antigonae, Die Bernauerin und das Triptychon „Trionfo di Afrodite“) ist nicht nur die erste, sondern für lange Zeit auch die gültige Monographie eines Werkes, das nicht allein vom rein musikalischen Standpunkt aus betrachtet und gewertet werden kann. Die weite geisteswissenschaftliche Perspektive von Andreas Liess kommt vor allem den Einleitungskapiteln zugute, in denen die Haupttriebkräfte dargestellt und analysiert werden: Magie, Elementarität und Stilisierung, Orffs pädagogische Lehre von der Unmittelbarkeit, seine Theaterbesessenheit und — nach einer Einzelanalyse der Hauptwerke — die „pädagogische Provinz“, das Orff-Schulwerk. Man muß Liess dafür dankbar sein, daß dies mit solcher Gründlichkeit und so großer Offenheit geschieht. Denn auch das Fragwürdige in Orffs Gesamterscheinung wird hier gründlich erhellt, trotzdem der Autor — das ist sein gutes Recht — an den entscheidenden Stellen positive Akzente setzt. Das gutausgestattete Büchlein dieser erfreulichen Serie enthält zahlreiche Notenbeispiele, zwei Partiturseiten und ein Porträt.

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Konzertführer: Neue Musik. Von Manfred Gärtner. Fischer-Bücherei. 233 Seiten. Preis 12.90 DM.

Von Samuel Barber bis Bernd Aloys Zimmermann werden hier die wichtigsten zeitgenössischen Komponisten mit ihren Hauptwerken vorgestellt. In dem preiswerten, mit 32 Photos ausgestatteten Büchlein steckt eine Riesenarbeit. Niemand kann über die Hunderte von Kompositionen, die hier angeführt und erläutert werden, aus eigener Erfahrung berichten. Daher hat sich der Autor oft an die Komponisten se'bst gewandt und zahlreiche (meist zuverlässige) Quellen benützt, die immer schön sauber durch An-fühiungszeichen gekennzeichnet sind. Man wünscht dieses mit einem Schallplattenverzeichnis ausgestattete Büchlein in die Hand all derer, die sich auf dem schwer übersichtlichen Gebiet der neuen Musik orientieren wollen. Radiohörern sei es besonders empfohlen.

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Wozzeck. Oper in drei Akten. Von Alban Berg. Universal-Edition, Wien-Zürich-London. 486 Seiten.

Zur ' Wozzeck-Premiere in der Wiener Staatsoper brachte die Universal-Edition eine Studienpartitur dieses Meisterwerkes der neuen Opernliteratur heraus, das von H. E. Apostel nach den endgültigen Korrekturen des Komponisten revidiert wurde. Der sauber gedruckte, trotz seinen fast 500 Seiten handlich-dünne Leinenband ist eine verlegerische Großleistung. Was es für die vielen bedeutet, die sich mit dieser komplizierten Partitur zu eigenem Nutz und Frommen eingehend zu beschäftigen wünschen, kann gar nicht hoch genug gewertet werden.

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