6654786-1959_22_14.jpg
Digital In Arbeit

HANS PFITZNER

Werbung
Werbung
Werbung

Es war ein großer Augenblick, eine Sternstunde der deutschen Operngeschichte, als am Abend des 12. Juni 1917 unter Bruno Walters Leitung zum erstenmal im Prinzregententheater zu München die „Palestrina”-Musik erklang. Im vorletzten Jahr eines Krieges, der für die wissenden Deutschen schon verloren war, wird, nach Ueberwindung unzähliger Schwierigkeiten, einem ergriffenen Publikum das opus magnum eines noch nicht 50jährigen Komponisten vorgestellt. „Wir haben gestern”, so schrieb unter dem unmittelbaren Eindruck des Ereignisses Münchens bester Musikkritiker, der unvergeßliche Alexander Berrsche, „mit innerer Bewegung den Moment erlebt, in dem eine der höchsten und reinsten Offenbarungen deutschen Geistes und deutscher Seele zum erstenmal zur Mitwelt gesprochen hat. Und wir haben den elementaren Jubel erlebt, mit dem ein vollbesetztes Haus der musikalischesten und kritischesten Hörer Deutschlands einen ganz Großen gefeiert hat.” Und noch ein anderer „unverdächtiger Zeuge”, Thomas Mann, hat in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen” diesem Tag und diesem Werk ein Denkmal gesetzt, diesen „archaischen Quinten und Quarten”, diesen „Orgellauten und Kirchenschlüssen”: der hohen Artistik von Pfitzners Musik, in der nervöse Beweglichkeit, durchdringende harmonische Kühnheit mit einem frommen Väterstil vereinigt sind. „Das seelisch Moderne, alles Raffinement dieses Vorhaltgeschiebes, wie rein organisch verbindet gs iįH mit dem,’VÄ also demütig-primitiv, Mittelalter, Kargheit, Grabeshauch, Krypta, Totengerippe ist in dieser romantischen Partitur.”

Neben der Musik gilt es bei diesem Werk aber auch den sie auslösenden Text zu würdigen, den sich Pfitzner selbst geschrieben hat. Ihm kommt — und wir wägen das Wort genau — durchaus der Rang eines literarischen Kunstwerkes zu, und er steht, was Anspruch und Gelingen betrifft, in einer Reihe mit den anderen beiden besten neueren Operntexten: Hindemiths „Mathis” und Ernst Kreneks „Karl V.”. Pfitzner schuf ihn nach jahrelangen, gründlichen historischen Studien und imprägnierte ihn mit Schopenhauerscher Kunst- und Lebensphilosophie. Man könnte viele Seiten daraus zitieren, die — inhaltlich — ganz bestimmten Stellen in der „Welt als Wille und Vorstellung” entsprechen. Aber sie sind, darüber hinaus, Dichtung, und zwar sosehr deutsche Dichtung, daß bei einer Ue’ber- setzung, mehr als bei anderen Operntexten, ver- lorengehen muß.

Es ist sehr merkwürdig, daß Pfitzner sich für seine übrigen Libretti mit Minderem begnügte. Und zwar waren es durchweg dilettierende Schüler und Freunde, die Pfitzner mit seinen Operntexten betraute. Den zu dem Musikdraina „Der arme Heinrich” und zu der romantischen Oper „Die Rose vom Liebesgarten” verfaßte James Grun, das Libretto zu dem Drama für Musik „Das Herz” schrieb Hans Mahner-Mons, und der Spieloper „Das Christelflein” liegt eine „Originaldichtung” der Gräfin Ilse von Stach zugrunde — Namen, die auch dem literarisch Versierten nichts besagen, mit Ausnahme dessen von Mahner-Mons, der als Hans Possendorf sich als gerissener Unterhaltungsschriftsteller betätigte und Pfitzner ein Libretto schrieb, das zwischen Kinodrama und Mysterium die Mitte hält. Ueberhaupt manifestiert sich in Pfitzners Textwahl eine gewisse Eigenbrötelei: Der unvergleichliche Komponist Eichendorffscher Texte (in der Kantate „Von deutscher Seele” sowie in zahlreichen Einzelliedern), der Komponist Conrad Ferdinand Meyers, Mörikes, Kleists, Goethes und Michelangelos hatte, ähnlich wie Richard Strauss, einen Hang zur zeitgenössischen literarischen Dutzendware und vertonte „wahllos” — möchte man sagen, aber er suchte sie sich ja selbst aus! — unwahrscheinliche Gedichte von Wolzogen, Freiligrath, Busse, Kopisch, Hundertmark, Julius Sturm, Reinick, Redwitz, Geibel, Sallet, Cossmann und Grun.

Doch fallen diese literarisch dubiosen Texte bei Pfitzner ebenso wenig ins Gewicht wie etwa bei Schubert. Denn Pfitzner illustriert nie, oder fast nie, er ist, etwa im Unterschied zu Hugo Wolf oder Debussy, kein „Wortkomponist”. Die melodische Linie folgt, im kleinen, ebenso ihren eigenen Gesetzen, wie im großen die musikdramatische Entwicklung. Ein Vergleich etwa zwischen dem von Hugo Wolf vertonten Eichen- dorff-Gedicht „Hörst du nicht die Quellen rauschen” und dem von Pfitzner komponierten ..Hörst du nicht die Bäume rauschen” wäre schon deshalb zulässig, weil hier wie dort der gleiche Rhythmus und ein ähnlicher Naturlaut in das Medium der Musik zu transponieren waren. Wolf tut es „lautmalerisch”, Pfitzner „verzaubert” gewissermaßen den Text und rückt ihn in eine geistige Ferne, in jenes Reich, in dem nur die Töne gelten und sprechen. Aehnliches geschieht in Pfitzners vokalen Großformen: in den Kantaten und in den Opern. Hier folgt die Musik ihrer eigenen Logik — und ist doch dramatisch zugleich. Der Gegensatz zwischen absoluter und dramatischer Musik scheint aufgehoben — im Sinne jener Notiz, die sich Nietzsche nach dem ersten Besuch der „Ring”- Aufführung in Bayreuth in eines seiner Hefte eintrug: „Mir schwebt eine sich mit dem Drama deckende Symphonie vor, vom Liede aus sich eiweiternd.” Was Nietzsche bei Wagner nicht realisiert fand, hat Pfitzner in seinen Opern verwirklicht: wo ganze Szenen auf einem einzigen, allerdings ergiebigen und entwicklungsfähigen Einfall aufgebaut werden.

Gewiß ist der Anteil der textgebundenen Musik im Gesamtschaffen Pfitzners bątteuiėntf, aber immerhin sind von den rund 50 Werken,’ die Pfitzner hinterlassen hat, über 20 reine Instrumentalkompositionen, also „absolute” Musik im strengen Wortsinn. Hierbei sind fast alle Gattungen nur jeweils durch je ein Werk vertreten, so daß das Bild einer ungewöhnlichen Variabilität, eines großen Formenreichtums entsteht. (Mehrmals vertreten sind nur: das Streichquartett, dreimal, die Symphonie, ebenfalls dreimal, allerdings mit ganz verschiedenen Varianten, und das Violoncellokonzert, zweimal.) Auf diese Vielseitigkeit legt Pfitzner, als Zeichen echten Ingeniums und spontaner Produktion allergrößten Wert.

Das kommt etwa in dem folgenden Urteil über das Werk von Anton Bruckner zum Ausdruck, das auch als Probe für Pfitzners ebenso originelle wie unduldsam-schrullige Denkweise angeführt sei. — Am 16. Jänner schrieb Hans Pfitzner an einen gewissen Herrn Oswald einen jetzt von Walter Abendroth publizierten Brief, in dem es heißt:

„Ich habe in meinen Briefen bisher vermieden, Bruckners Namen zu nennen, weil ich die Bruckner-Freunde nicht kränken will. Ich persönlich halte nämlich gar nichts von ihm, wie ich überhaupt mißtrauisch bin gegen alle Komponisten, die nur ein einziges Gebiet bebauen (Wagners Mission ist eine Ausnahme). Ich finde Bruckner maß- und formlos, monoton, langweilig md kenne kaum ein Thema von ihm, das mich innerlich stark berührte, sagen wir: was mir gefällt .. . Ein jeder großer Komponist muß eine gewisse Universalität haben. Denken Sie an die Reihe der Großen von Bach bis Brahms. Denken Sie an die neun Symphonien von Beethoven und an die neun von Bruckner: neun grundverschiedene Menschenkinder — und neun junge Elephant en.”

Aus Pfitzners Vokalwerken, insbesondere den Opern „Der arme Heinrich” und „Palestrina”, den beiden Kantaten „Das dunkle Reich” und „Von deutscher Seele” sowie aus zahlreichen Klavierliedern hat man jene Charakteristika, jene Schlagworte abgeleitet, die in mit dem Namen des Komponisten in Besprechungen, Konzertführern und Musikgeschichten immer wiederkehren: Herbheit, Klangaskese, Grübelei, Introvertiertheit und so weiter. Und Pfitzner selbst hat ihnen, durch Betonung seines Individualismus, der Einsamkeit des schöpferischen Menschen, seine Vorliebe für vergangene Kunstepochen und die Ablehnung aller Betriebsamkeit uncį Tagfsmoden, zuweilen selbst. Vorschub gelei’sfet Hört ttn örfcfngS-

nommen und unbeeinflußt durch alle Schlagworte die lnstrumentalwerke Pfitzners aus den verschiedensten Epochen seines Schaffens, so lernt man einen anderen Pfitzner kennen — wir wollen nicht sagen: den eigentlichen, aber jedenfalls einen Komponisten, dem es weder an blühenden melodischen Einfällen, noch an Klangsinn, noch an Temperament gebricht.

Zeit seines Lebens hat sich Pfitzner als Antipode des weitläufigeren und erfolgreicheren Richard Strauss gefühlt. Aber der Unterschied zwischen der Musik des einen und des anderen ist, besonders aus größerem zeitlichem Abstand wie wir ihn heute schon haben, nicht gar so.

Verbindung bedeutend. Gewiß, Pfitzner schuf schwerer als Richard Strauss, das Komponieren wurde ihm nie zur Routine. In diese Richtung zielt das bekannte Scherzwort von Richard Strauss, der, als ihm Pfitzner wieder einmal auseinandersetzte, wieviel Mühe und seelische Anspannung ihn sein letztes Werk gekostet habe, gesagt haben soll: „Ja, was schreibn S’ denn, wenn’s Ihnen gar so schwer fallt?”

Pfitzner komponierte schwer und langsam, und so hat sein Werk auch einen relativ geringen Umfang, wenn man bedenkt, daß er frühzeitig, etwa mit 18 Jahren, ernsthaft zu schreiben begann und daß ihm achtzig Lebensjahre vergönnt waren. Er entwickelte aber auch eine ganze Theorie über das künstlerische Schaffen, insbesondere über den schöpferischen Einfall, die weniger pro mundo als pro domo gelesen werden sollte, ihn’ aber frühzeitig in alle möglichen Polemiken und Kontroversen verwickelte. Der Ton der Aggressivität mancher seiner schriftlichen Aeußerungen, etwa der Streitschriften gegen Busoni und gegen Paul Bekker, den Musikkritiker der „Frankfurter Zeitung”, brachten es mit sich, daß sich um Pfitzners Fahne, nicht immer ganz ohne seine Schuld, die Reaktion sammeln konnte. — Aber das sind längst verjährte Streitigkeiten und Pfitzner hat mehr und anderes geschrieben, das jeder Musiker und Musikfreund mit Gewinn lesen wird: so eine Reihe ausführlicher und gründlicher Selbstkommentare, Betrachtungen zur Aufführungspraxis — unter dem Titel „Werk und Wiedergabe”, Ehrenrettungen und Hinweise auf von ihm besonders verehrte romantische Meister wie Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Marschner und Weber, schließlich eine Reihe philosophische und literarhistorische Abhandlungen, deren wichtigste der Pfitzner-Biograph Walter Abendroth in dem Band „Reden, Schriften und Briefe” von Hans Pfitzner gesammelt und herausgegeben hat. Führen wir einige Titel an, um Pfitzners besondere Interessengebiete und die Universalität seines Denkens zu beleuchten: „Philosophie und Dichtung in meinem Leben”, „Mein Bekenntnis zu Schopenhauer”, „Pantragismus und Pessimismus”, „Ueber die persönliche Fortdauer nach dem Tode”, „Shakespeare-Dämmerung”, „Robert Schumann — Richard Wagner: eine Sternen- freundschaft”, „Scherings Beethoven-Deutung”, „Der Schutz des künstlerischen Schaffens” u. a.

In einem Bild von Pfitzners menschlicher Persönlichkeit, die durch Einzelgängertum, Einsamkeit, Abwehrstellung gegenüber der Gegenwart . und Gluckloiiskeit geksnjizeichftet ist — in diesem Bild darr auch 3ie Pfitzner-Anekdote nicht fehlen. Seine Aussprüche zeichnen sich durch kaustischen Geist, Sarkasmus Und eine bei Musikern häufig anzutreffende Vorliebe für Wortspiele aus, die man als Kalauer bezeichnet. Die charakteristischesten stammen aus den letzten Kriegs- und Nachkriegsjahren. — Nach seiner Meinung über einen jungen Komponisten befragt, der sich nach 1933 besonderer Gunst erfreute, meinte Pfitzner, der hoffnungsvolle junge Mann solle „eine Pimphonie in Bai-Dur schreiben”… Nach deT Zerstörung seines Hauses in München durch Bomben wurde Pfitzner von einem Nachbarn beglückwünscht, daß er selbst unverletzt geblieben sei. Es müsse ein Schutzengel über ihm gewaltet haben. Worauf Pfitzner berichtigte: „Das scheint mir doch eher ein Schutt-Engel gewesen zu sein!” — Und aus dem gleichen Anlaß tat er den Ausspruch: „Es ist doch traurig, wenn einem alten Komponisten nichts weiter mehr einfällt als das Haus.”

Damit sind wir bei Pfitzners letzten Lebensjahren’ angelangt, in denen ihm wirklich kaum etwas erspart blieb, wodurch sein Pessimismus und seine Menschenfeindschaft eine weitere Bekräftigung erfahren haben mögen. Ueber diese Zeit lassen wir einen deutschen Musikschriftsteller berichten:

„Im zweiten Weltkrieg verliert der Alternde durch Bombenschaden seine gesamte Habe. Nach Kriegsende findet er kümmerliche Zuflucht in einem Münchner Altersheim. Die deutsche Oeffentlichkeit nimmt keine Notiz von seinem Schicksal. Als es endlich zur Gründung eines ,Hans-Pfitzner-Kreises kommen soll mit dem Ziel, die äußere Not des Meisters zu lindern, da haben die Wiener Philharmoniker bereits in selbstloser Hilfsbereitschaft die Sorge für seine wirtschaftliche Existenz übernommen, hat die österreichische Regierung ihm eine Wohnung im Seitenbau des Schlosses Schönbrunn zur Verfügung gestellt. — Kurz nach Vollendung seines 80. Geburtsjahres erlag Pfitzner in Salzburg einer Lungenentzündung. Vor seinem Tode äußerte er den Wunsch, in Wien in der Nähe von Beethoven, Schubert und Mozart beerdigt zu werden.”

In Oesterreich, das dürfen wir noch hinzufügen, wurde (von Hans Rutz) auch die erste Nachkriegsbiographie Pfitzners geschrieben und gedruckt — als Zeichen der Wertschätzung eines Meisters, dem in seinen letzten Jahren nicht nur das Haus, sondern auch noch manch schönes Stück, manche edle Melodie eingefallen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung