6775371-1969_19_13.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen den Zeiten

19451960198020002020

Hans Pfitzner, am 5. Mai 1869 in Moskau geboren und am 22. Mai 1949 in Salzburg gestorben, ist mit Osterreich und Wien vielfach verbunden. 1905 fand an der Staatsoper unter Gustav Mahlers Leitung jene Aufführung der „Rose vom Liebesgarten“ statt, die Pfitzner als „von seltener Vollkommenheit“ und, einschließlich der Proben, als die einzig ungetrübte Theatererinnerung seines Lebens bezeichnet hat. „Palestrina“ folgte zwei Jahre nach der Münchner Uraufführung unter der Leitung Franz Schalks (1919) und blieb an der Staatsoper heimisch. Die Aufführung am 27. Februar 1949 im Theater an der Wien war die letzte, die Pfitzner sah. — Nach Kriegsende wurde Pfitzner in ein Altersheim bei München verschlagen. Mit Hilfe der Wiener Philharmoniker und ihres damaligen Vorstandes Rudolf Hanzl konnte Pfitzner nach Salzburg übersiedeln. Zum Dank für ihre Hilfe schenkte Pfitzner den Wiener Philharmonikern das Kostbarste, was er besaß, die Originalpartitur seines „Palestrina“. Den reichhaltigen Nachlaß übergab Pfltzners Witwe in die Obhut der Musiksammlung der österreichischen Nationalbibliothek. Pfitzner wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt: er wollte in der Nähe von Mozart, Beethoven und Schubert seine letzte Ruhestätte haben

19451960198020002020

Hans Pfitzner, am 5. Mai 1869 in Moskau geboren und am 22. Mai 1949 in Salzburg gestorben, ist mit Osterreich und Wien vielfach verbunden. 1905 fand an der Staatsoper unter Gustav Mahlers Leitung jene Aufführung der „Rose vom Liebesgarten“ statt, die Pfitzner als „von seltener Vollkommenheit“ und, einschließlich der Proben, als die einzig ungetrübte Theatererinnerung seines Lebens bezeichnet hat. „Palestrina“ folgte zwei Jahre nach der Münchner Uraufführung unter der Leitung Franz Schalks (1919) und blieb an der Staatsoper heimisch. Die Aufführung am 27. Februar 1949 im Theater an der Wien war die letzte, die Pfitzner sah. — Nach Kriegsende wurde Pfitzner in ein Altersheim bei München verschlagen. Mit Hilfe der Wiener Philharmoniker und ihres damaligen Vorstandes Rudolf Hanzl konnte Pfitzner nach Salzburg übersiedeln. Zum Dank für ihre Hilfe schenkte Pfitzner den Wiener Philharmonikern das Kostbarste, was er besaß, die Originalpartitur seines „Palestrina“. Den reichhaltigen Nachlaß übergab Pfltzners Witwe in die Obhut der Musiksammlung der österreichischen Nationalbibliothek. Pfitzner wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt: er wollte in der Nähe von Mozart, Beethoven und Schubert seine letzte Ruhestätte haben

Werbung
Werbung
Werbung

Pfitzner war ein deutscher Musiker und empfand sich selbst als Fortsetzer und Vollender der von ihm verehrten Komponisten Marschner, Weber, E. T. A. Hoffmann, Schubert und Schumann, deren Werke er besonders hoch schätzte. Anläßlich der Erörterung der Musik Carl Maria v. Webers hat er einmal geschrieben — und damit sich selbst kommentiert: „Kommt ein dazu Auserwählter, der das Wesen seines Volkes gleichsam wie einen Laut aus dem Jenseits mit den Mitteln seiner Kunst auf diese Welt projiziert, so werden alle, die jenes Zugehörigkeitsgefühl als Liebe, als Vaterlandsliebe in sich tragen, sozusagen in Bereitschaft sein, seine Sprache gleich zu verstehen, werden ihr eigenes Wesen erkennen, was einem ganz eigentümlichen Entzücken gleichkommt. Wie die andern, die jenes .Gefühl nicht.kennenrn; nislos dem gegenüberstehen und-; eine ganz andere Art der Beurteilung anwenden, denn weder durch Studium und Bildung noch durch Gelehrsamkeit und anderweitige Genialität ist dieses Verständnis zu erlangen.“

In der Tat repräsentiert Pfitzner die Endphase der deutschen Romantik, und zwar auf eine sehr persönliche Art. Den harmonischen Fundus und verschiedene ihrer Stilmittel hat er zwar übernommen, aber individuell abgewandelt. Durch immer subtilere Stimmführung ist er in einigen Werken in Bereiche des modernen linearen Satzes und einer sehr freien Harmonik vorgedrungen. Pfitzners Schaffen fällt ja in eine Zeit des Umbruchs, nicht nur auf künstlerischem, sondern auch auf politischem und sozialem Gebiet. Er trat zu einem Zeitpunkt mit seinen großen Werken hervor, als alle jene Kräfte sich zu regen begannen, die in den darauffolgenden Jahrzehnten, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, das Feld behaupten und die Kunst unserer Zeit prägen sollten. Gewisse Entwicklungen — wir brauchen sie nicht beim Namen zu nennen — hat Pfitzner nicht nur nicht mitgemacht, sondern sich auch gegen sie gestellt.

Obwohl von Freunden umgeben und gefördert, hat Pfitzner sich zeit seines Lebens als großer Einsamer gefühlt. Sein Schöpfertum ist von Trauer geadelt und imprägniert mit Schopenhauerscher Philosophie. Pfitzners Bekenntnis zu Schopenhauer ist, nach seinen eigenen Worten, „ein ewiges“ und „ein vollkommenes und ganzes, das heißt ohne jede Einschränkungen“. Schopenhauer ist bei vielen seiner Werke der Führer ins Schattenreich. Mit einem seiner frühesten Verehrer, mit dem er sich freilich in späteren Jahren — wie mit manchem anderen — entzweite, mit Thomas Mann, teilt er die Sympathie mit dem Tode. Zwar fühlte Pfitzner die Verpflichtung, zu schaffen und das große Erbe weiter zu tradieren — aber keine Hoffnung: „Es ist Abend. Wer heute berufen ist, diesen Kampf weiterzukämpfen, der hat nur noch die Nacht vor sich.“ Diese Worte wiegen um so schwerer, als sie in einer Zeit gesprochen wurden, die an den Fortschritt und in der Kunst an das Neue glaubte. Auch Palestrina war, in Pfitzners Sieht, ein solcher Künstler zwischen den Zeiten. Sein Schwanengesang wurde kaum mehr verstanden.

Aber das berührte ihn im Grunde nicht, denn Kunst ist nicht für die Welt, nicht gegen die Welt, sondern neben ihr und weist über sie hinaus* Auch mit diesen Gedankengängen erweist sich Pfitzner als ein guter Schopenhauerianer, der von der tragischen Beschaffenheit der Welt durchdrungen war und das große Wort des Philosophen bestätigte: „Ein glückliches Leben ist unmöglich; das höchste, was einer erreichen kann, ist ein heroischer Lebenslauf.“ Man kann die Stimmung in vielen Werken Pfitzners als eine „objektlose Trauer“ bezeichnen, die den Slawen wohl bekannt ist, von der aber auch je., große Gestalten der deutschen, Dichtung wie Kleist und 'Büchner,* die Pfitzner natürlich besonders hochschätzte, beschattet waren. „Alle Musik hat etwas seltsam Verblühendes an sich“, schrieb Pfitzner, und wenn er Palestrinas Sohn Ighino saigen läßt: „Man geht und weint, weil man geboren ist“, so ist das mehr als ein Lyrismus.

Pfitzner beklagte sich einmal, daß er „in der einen Hand die Feder, in der anderen die wegbahnende Haue halten müsse: zugleich zu singen und zu dozieren“. In Wirklichkeit gehört Pfitzner — wie Nietzsche und Wagner — zum polemischen Typus des Sachsen, und er ist mit seinen Gegnern nicht immer sehr sanft umgesprungen. Die Form seiner Polemiken war keineswegs immer glücklich und entbehrt für uns heute der Allgemeingültlgkeit. Auch erkennen wir aus der gegebenen zeitlichen Distanz, daß vieles, was Pfitzner schrieb und sagte, mehr pro domo als pro mundo gesprochen war. Besonders heftig reagierte Pfitzner auf Busonis „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“, eine 48 Seiten umfassende Schrift, die im Jahr 1917 in der Insel-Bücherei erschien und dadurch weite Verbreitung fand. Pfitzner entgegnete mit einer Schrift gleichen Umfangs, braun broschiert und mit gotischen Lettern, was ihr heute ein etwas fatales Aussehen verleiht. Er gab ihr den Titel „Futuristengefahr“ und wandte sich darin gegen die Vision Busonis von einer universellen Zukunftsmusik. Seiner Meinung nach rührte Busoni an die Fundamente der abendländischen Musik, nämlich an das traditionelle Tonsystem. Bei einer anderen Gelegenheit sagte Pfitzner einmal: „Was ich in der Musik retten will, ist nicht der Wohlklang, sondern der Sinn. Alles begreifen heißt alles verzeihen. Man möchte fast so kühn sein, zu sagen: Hat ein Mißklang Sinn und Bedeutung, so wird er zum Wohlklang.“ Ebenso heftig wandte sich Pfitzner gegen jeden Versuch, Musik zu erklären und zu analysieren — wobei er nicht ganz konsequent geblieben ist, denn es gibt von Pfitzner sehr viele Analysen und Kommentare sowohl zu seinen eigenen Werken wie zu denen anderer Kornponisten. Sein Gegner war auf diesem Gebiet der Musikkritiker und Theoretiker Paul Bekker, der Pfitzners Zorn durch seine „greuliche Musikführerweis“ erregte und den er mit der Schrift „Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz — ein Verwesungssymptom“ attackierte. Ihm gegenüber glaubte Pfitzner die Würde der absoluten Musik, so wie er sie verstand, verteidigen zu müssen. Dazu gehören in erster Linie der Primat des Einfalls und der unbewußte Vorgang des Schaffensprozesses. Daneben ist alles Technische von sekundärer Bedeutung, und die Inspiration entzieht- sich der Analyse. Zu diesem Thema schreibt Pfitzner:

„Wer je unmittelbar einen Blick in das Reich des genialen musikalischen Schaffens getan hat, der weiß, daß ohne eine Art Wunder kein wahrhaft bleibendes Kunstwerk entstehen kann. Aber ich wüßte wicht, worüber ich sicherer aussagen könnte als über meine inneren musikalischen Erlebnisse. Es ist mehr als ein bloßer Vergleich und es ist buchstäblich wahr, wenn ich sage: Das Walten der Inspiration in der Welt des Geistes leugnen, heißt die Lebenskraft leugnen, die in der Welt der Körper wohnt. Sie ist der Atem Gottes, und ohne ihn kann da wie dort kein Leben entstehen. Ich bin überzeugt, daß jeder wirklich schöpferische Mensch, also jeder wahrhafte Philosoph, Komponist oder Dichter, das Unbewußte als das eigentlich Schaffende im Künstler ansieht.“ Diese Anschauungen Pfitzners. gegen die nichts einzuwenden ist, berühren sich übrigens mit dem, was Paul Hindemith als die „Vision“ eines Kunstwerks; noch .vor seiner Erschaffung durch den Künstler bezeichnet. Ebensowenig ist gegen Pfitzners Definition der Möglichkeiten und Fähigkeiten der Musik zu sagen: Musik ist Empflndungsaus-druck, indem sie in der Seele Gefühle und in der Phantasie Bilder erzeugt.

Und Musik ist Architektonik, das ist die Fähigkeit, der Zeit eine Form, eine Gestalt abzugewinnen. „Eine dritte Fähigkeit hat sie nicht“, fügt Pfitzner hinzu. Und in der Tat ist seine Definition umfassend genug und von allerneuest en, von entgegengesetzten Enden der EntWicklungslinie herkommenden Definitionen und Anschauungen, etwa denen Schönbergs und Strawinskys, kaum unterschieden. (Schönberg zum Beispiel sagte: „Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen“ — und Strawinsky schrieb, daß mittels des Rhythmus die Zeit gegliedert und mittels der matiere sonore ausgefüllt wird.)

Pfitzner komponierte langsam und zuweilen auch mühsam. Das Schaffen wurde ihm nie zur Routine. Oft blickte er, wahrscheinlich nicht ohne Neid, auf den weit- und federgewandten Richard Strauss, den er zeit seines Lebens als Rivalen betrachtete. Dieses schwierige, aber auch des komischen Aspektes keineswegs entbehrende Verhältnis beleuchtet der folgende Ausspruch von Richard Strauss, der, als ihm Pfitzner wieder einmal auseinandersetzte, wieviel Mühe und seelische Qual ihn sein letztes Werk gekostet habe, gesagt haben soll: „Ja, was schreiben S' denn, wenn's Ihnen gar so schwerfällt?“

Trotzdem hat Pfitzners Gesamtwerk einen stattlichen Umfang. Das Opus-verzeichnis umfaßt 65 Nummern. Das mag als nicht sehr viel erscheinen, waren Pfitzner doch 80 Lebensjahre, das sind fast 60 Schaffensjahre, zugemessen. Aber dieses Werkverzeichnis umfaßt ja fünf abendfüllende Opern, zwei große Kantaten und über 20 Tnstrumentalkompositio-nen, also Werke der „absoluten“ Musik im strengeren Wortsinn. Hier sind fast alle Gattungen jeweils fast nur durch ein Werk vertreten, so daß sich das Bild einer ungewöhnlichen Variabilität, eines großen Formenreichtums darbietet. (Mehrmals vertreten sind nur: das Streichquartett, dreimal, die Symphonie, ebenfalls dreimal, allerdings mit ganz verschiedenen Varianten, und das Violoncellokonzert, zweimal.) — Auf diese Vielseitigkeit legte Pfitzner — als Zeichen echten Ingeniums und spontaner Produktivität — selbst allergrößten Wert. Das kommt auch in dem folgenden Ausspruch über das Werk Anton Bruckners zum Ausdruck, den wir als Probe für Pfitzners originelle, zuweilen unduldsamschrullige Denkweise anführen: „Ich habe in meinen Briefen bisher vermieden, Bruckners Namen zu nennen, weil ich die Bruckner-Freunde nicht kränken will. Ich persönlich halte nämlich gar nichts von ihm, wie ich überhaupt mißtrauisch bin gegen alle Komponisten, die nur ein einziges Gebiet bebauen (Wagners Mission ist eine Ausnahme). Ich finde Bruckner maß- und formlos, monoton langweilig und kenne kaum ein Thema von ihm, das mich innerlich stark berührte, sagen wir: was mir gefällt. Ein jeder großer Komponist muß eine gewisse Universalität haben. Denken Sie an die Reihe der Großen von Bach bis Brahms. Den-r ken Sie an die neun Symphonien von Beethoven und die neun von Bruckner: neun grundverschiedene Menschenkinder und neun junge Elephanten.“

In einem Bild von Pfitzners menschlicher Persönlichkeit, die durch Ein-zelgängertum, zum Teil selbstverschuldeter Einsamkeit, Abwehrstellung gegenüber der Gegenwart und Glücklosigkeit gekennzeichnet ist — in diesem Bild darf auch die Pfltz-ner-Anekdote nicht fehlen. Seine Aussprüche zeichnen sich durch kaustischen Geist, Sarkasmus und jene bei Musikern häufig anzutreffende Vorliebe für Wortspiele aus, die man als Kalauer bezeichnet. Die charakteristischesten stammen aus den letzten Kriegs- und Nachkriegsjahren. Nach seiner Meinung über einen jungen Komponisten befragt, der sich seit 1933 besonderer Protektion erfreute, und auch heute noch emsig tätig ist, meinte Pfitzner, der hoffnungsvolle junge Mann möge doch „eine Pimpfonie in Bai-Dur“ schreiben... Über seinen jungen Chauffeur, der seinen neuen Ford-Wagen bei einer nächtlichen Tour zuschänden gefahren hatte, sagte Pfitzner: „Schnell ist die Jugend mit dem Ford.“ Nach der Zerstörung seines Hauses in München durch Bomben wurde Pfitzner von einem Nachbarn beglückwünscht, weil er selbst unverletzt geblieben sei. Es müsse ein Schutzengel über ihn gewacht haben. Worauf Pfitzner berichtigte: „Das scheint mir doch eher ein Schuttengel gewesen zu sein!“ — Und aus dem gleichen Anlaß tat er den Ausspruch: „Es ist doch traurig, wenn einem alten Komponisten nichts weiter mehr einfällt als das Haus.“

Die erste umfassende Pfitzner-Mono-graphie verfaßte Walter Abendroth. Er gab auch 3955 unveröffentlichte und verstreute Reden, Schriften und Briefe Pfitzners heraus. — Der Autor der vorläufig letzten Pfitzner-Mono-graphie ist Hans Rutz. Sie erschien in einem Wiener Verlag zum 70. Geburtstag des damals schon in Österreich weilenden Meisters. Zu den frühesten Pfitzner-Aposteln gehört der (verstorbene) Münchner Musikkritiker Alexander Berrsche. Ein sehr lesenswertes Pfitzner-Portät findet sich in dem Buch „Breviarium Musicae“ von Hans von Dettelbach (Stiasny-Verlag. Graz). Die „österreichische Musikzeitschrift“ hat einen Großteil ihrer Aprilnummer Hans Pfitzner — anläßlich, des 100. Geburtstages und des 20. Todestages — gewidmet. Der österreichische Rundfunk bringt mehrere Pfitzner-Sen-dungen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung