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Beginn mit drei großen B

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Das Wiener Publikum hat schöne und anregende, der Kunstkritiker vor allem anstrengende Wochen vor sich. Schwere Wochen nicht nur im Hinblick auf die „Bewältigung“ des Dargebotenen, wie es in dem von der Intendanz der Wiener Festwochen herausgegebenen, 60 Seiten umfassenden Dünndruckprogramm aufgezählt ist, sondern auch — und vor allem — was die Unterbringung selbst nur des Wichtigsten auf unserer Referatseite betrifft. Wir bitten daher Veranstalter und Leser um Verständnis dafür, daß wir auswählen müssen und daß wir einen Monat lang dem Neuen und den Gästen vor unseren einheimischen Künstlern und Ensembles den Vorzug geben, vor allem bei den vielen Konzertveranstaltungen. Wir bitten um Verständnis auch die vielen prominenten und kompetenten Festredner, deren wohlgesetzte und hörenswerte Ansprachen von uns eben gerade nur vermerkt werden können.

Der Auftakt fand am vergangenen Samstagabend bei windig-kühlem, aber doch regenfreiem Wetter im Beisein vieler Tausend vor dem Rathaus statt: mit Ansprachen des Bürgermeisters und des Vizebürgermeisters der Stadt Wien, des Unterrichtsministers und des Herrn Bundespräsidenten, der die feierliche Eröffnung der Wiener Festwochen 1962 proklamierte. Zum Schluß: „An der schönen blauen Donau“, getanzt vom Staatsopernballett, und Aufflammen der Festbeleuchtung in der ganzen Stadt.

Einen zweiten großen Festakt gab es dann am Sonntagvormittag im Großen Musikvereinssaal, wo Bundeskanzler, Unterrichtsminister und Bürgermeister ihre Glückwünsche der jubilierenden Gesellschaft der Musikfreunde darbrachten, die in der Person ihres Präsidenten, Dr. Alexander Hryntschak, vertreten war. Nicht ans Rednerpult trat der Generalsekretär der Gesellschaft, Professor Garnsjäger, der in den Nachkriegsjahren ihre Geschicke praktisch lenkte, der auch dieses glanzvolle Jubiläumsfest organisiert hat und dem der Dank der Musikfreunde Wiens zu reiten hat. Dann hatte die Musik das Wort: unter Herbert von K a r a j a n s Leitung spielten die Wiener Philharmoniker Bruckners IX. Symphonie und sang der hauseigene Chor, der Singverein, Bruckners Tedeurq, dem das Solistenquartett (Wjhha. Lipp, . Tlisabeth Höngen. Nicolai GeddaWärter Krep-pelV zusätzlichen festlichen Glanz verlieh.

Am ersten Abend des Festtages spielte das Philharmonia Orchestra o f London, das unter der Leitung von Josef Krips einen vier Konzerte umfassenden Brahms-Zyklus gibt, die 1. Symphonie und begleitete (aber das ist hier nicht das richtige Wort) Wilhelm Backhaus im 1. Klavierkonzert d - M o 11. Es war ein großartiges, höchst eindrucksvolles Konzert, das man nicht so bald vergessen wird. Unvergleichlich der symphonische Schwung und das noble Pathos des „Maestoso“, mit dem das Bra'imssche Klavierkonzert anhebt, unvergleichlich auch die Interpretation des Klavierparts durch Wilhelm Backhaus, seine sich in iedem Takt manifestierende Musikalität, die sich einer völlig durchgeistigten Technik bedient — die es mit der jüngerer, brillanterer Virtuosen immer noch aufnehmen kann. Dazu das typisch

Brahmsische: jenes Clair obscur, der gedämpfte Trauerton, jene mimosenhaftzarten melodischen Blüten, die aus einem knorrigen Stamm sprießen... Vielleicht ist es das größte Kompliment, das man einem ausländischen Orchester machen kann, wenn man sagt: es sei ein richtiges Brahms-Orchester. Mozart, Beethoven, Wagner, Strauß und die Impressionisten: das ist längst internationaler Standard geworden. Aber Brahms, dieser deutscheste unter den deutschen Musikern (daher auch Furtwänglers recht eigentliche Domäne I), ist vielleicht am schwersten von Menschen anderer Musikkulturen zu „erfühlen“. Die Londoner scheinen unseren Brahms besonders zu' lieben und zu pflegen. Da mag Klemperer vorgearbeitet und Krips weiteres beigesteuert haben. Für die Realisierung dieser Vorstellung steht dem ganzen Orchester eine hochentwickelte Technik und eine Fülle ganz besonders tonschön spielender Instrumentalisten zur Verfügung (Holzbläser, Hörner, der Paukistl). Die Gestaltung der beiden Brahms-Werke durch Josef Krips war reif und souverän. Krips war immer schon ein ausgezeichneter Dirigent; jetzt hat er sich zu einem großen Musiker entwickelt. Der Applaus war, wie die Leistungen der Interpreten, ungewöhnlich.

Am “Montag, den 2sVjMs-v «rh Seht Uhr abends, wurde das renovierte Th e a t e ft an der Wien eröffnet. Im Mittelpunkt des musikalischen Programms stand Beethovens Chorfantasie mit Klavier und Orchester, die anno 1808 hier uraufgeführt worden ist. Nach Ansprachen des Bürgermeisters und des Vizebürgermeisters von Wien, Hofrat Hans Mandl, nahm der Herr Bundespräsident die Weihe des Hauses vor. Näheres über die Vorgeschichte der Renovierung und über diese selbst werden unsere Leser aus der Festwochenbeilage der „Furche“ erfahren, die wir unserer Pfingstnummer beigeben. — Wir dürfen auch daran erinnern, daß unser Blatt als allererstes, und zwar in einem großen Artikel mit dem Titel „Notruf für das Theater an der Wien“ (aus der Feder von Prof. O. E. Deutsch) in seiner Ausgabe vom 20. November 1954, also noch vor der Inbetriebnahme des Großen Hauses am Ring, für die Erhaltung dieses wertvollen KulturbesitTes eingetreten ist.

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