6586448-1951_49_14.jpg
Digital In Arbeit

Verspätete Erstaufführungen

Werbung
Werbung
Werbung

Als Erstaufführung im Rahmen der Philharmonischen Konzerte hörten wir — nach der „Jupiter-Symphonie“ und vor dem „Heldenleben“ von Richard Strauß — unter der Leitung von Clemens Krauß die „Six epigraphes antiques“ von Claude Debussy. Ernest Ansermet hat die 1914 entstandenen Klavierstücke jener Klangvorstellung entsprechend instrumentiert, die 6eine Debussy-Interpretation, etwa die von „La mer“, bestimmt: hauchzart und mit bestimmtester Kontur, wie japanische Meisterblätter. In der Thematik, im Stil und in der Stimmung haben diese 6echs kurzen „antiken“ Stücke etwas östliches, und neben der Anrufung Pans und dem Dank für den Morgen-regen steht die Huldigung für eine Ägypterin. Diese farbigen Schatten nachzuzeichnen, bedarf es in der Tat eines Ensembles von Meistersolisten, wie es die Wiener Philharmoniker sind. — Erwähnen wir nur noch, daß nach ihrer Rückkehr von der triumphalen Aus-landstournee die Reihe der Rot-Weiß-Rot-Konzerte fortgesetzt wurde und daß sich die Befürchtungen wegen Schädigung anderer musikalischer Veranstaltungen erfreulicherweise nicht bewahrheitet haben. Der Zyklus „Die große Symphonie“ ist, wenn wir recht unterrichtet sind, gut besucht, und die Sonntagnachmittagskonzerte der Tonkünstler sind bis auf weiteres ausverkauft. Das erste öffentliche Konzert im Theater an der Wien unter Leitung von Clemens Krauß war Richard Strauß gewidmet, im zweiten dirigierte Rudolf Moralt die 1. Symphonie von Gustav Mahler. Die Erwartungen, daß in diesen Konzerten auch die zeitgenössische Musik zu Wort kommen wird, haben 6ich vorläufig leider nicht erfüllt

Anwalt der Moderne ist nach wie vor das Konzerthaus; auch wenn es gilt, Versäumtes nachzuholen. Im ersten Orchesterkonzert der Symphoniker unter der Leitung von Hermann Scherchen wurden, „Arnold Schönberg zum Gedächtnis“ — wie das Programmheft vermerkt —, die „Variationen für Orchester“ Op. 31, in Wien zum erstenmal aufgeführt. Schönberg hat dieses Werk 1928 vollendet, und Wilhelm Furtwängler hob es im Dezember des gleichen Jahres in Berlin aus der Taufe ... Das waren noch Zeiten! — Diese neun Variationen mit Finale für großes Orchester beginnen mit Zwölftonstücken und enden mit immer expressiveren und charakteristischeren Sätzen, deren Struktur für das Ohr allmählich faßlicher wird. Freilich nur in dem Maß, daß man — wenn das Werk zu Ende ist — das Gefühl hat: nun habe man dieses steinige, abenteuerlich zerklüftete Terrain vom Rande her betreten... Im Gegensatz zu unserer .Musikalischen Jugend“, die das

überaus schwierige Werk am Abend vorher mit respektvollem Applaus bedachte, verhielten sich einige Zuhörer beim zweiten Konzert so, wie es sich bei einem Gedächtnis-k o n z e r t auf keinen Fall gehört. Sie seien an die Worte Scherchens erinnert, die er zur Jugend sprach: Daß man einem Künstler die Achtung nicht versagen dürfe, der mit seinen früheren Werken gezeigt hat, daß er die Mittel des Rausches und der Verzauberung beherrschte, wie nur je ein anderer, der aber, aus Uberzeugung und einem strengen Kunst-etjhos folgend, den Weg der Vereinsamung und des Verzichts auf Wirkung gewählt hat. Die Schönberg-Variationen, von Scherchen mit souveräner Sicherheit geleitet, standen zwischen Bachs Suite h-rholl (deren Flötenpart leider nicht erstklassig besetzt war) und der Fünften von Beethoven.

Eine im Technischen hervorragende, in der Wirkung ergreifende Aufführung des „Deutschen Requiems“ von Biahms schenkten uns der Singverein und die W i e-ner Symphoniker unter der Leitung Herbert von Karajan s. Wenn wir neben dem Bariton Sigurd Björling Elisabeth Schwarzkopf besonders hervorheben, so geschieht es vor allem dem seltenen Gast zu Ehren, dessen Musikalität übrigens vor kurzem durch den größten lebenden Komponisten bestätigt wurde. (Es geschah in Venedig bei der Premiere von „The Rakes' Progress“.) Der Arien- und Liederabend von Elisabeth Schwarzkopf hatte fast enzyklopädischen Charakter und reichte von J. S. Bach über Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Wolf, Strauß und Puccini bis Strawüusky. Es durfte keiner fehlen! Ein fast naives'Programm für eine so große Künstlerin, die es doch nicht nötig hätte, zu demonstrieren, daß 6ie alles kann! Sie zeigt mit einer schätzenswerten Offenheit, daß Wirkung (und Kunst überhaupt) zunächst mit Hilfe der Technik realisiert wird. Diese beherrscht sie mit vollkommener Virtuosität, und da Elisabeth Schwarzkopf überdies eine starke künstlerische Persönlichkeit ist, fohlt es auch an „Ausdruck“ nicht. In dieser Hinsicht war die Skala ihres Programms nicht sehr reichhaltig und beschränkte 6ich, für unser Gefühl, ein wenig zu sehr auf das Anmutig-Leichte. Aber wir hatten noch da6 ergreifende Sopransolo des Brahmsschen „Requiems“ im Ohr, und so entstand als Gesarateindruck das Bild einer Künstlerin, die zu höchsten Leistungen berufen und befähigt ist. Als Kuriosität sei vermerkt, daß die virtuosesten Stücke im beicanto-Stil im Rahmen dieses reichhaltigen Programms von einem jener zeitgenössischen Komponisten stammten (wir meinen Rezitativ, Arie und Cabaletta aus „The Rakes' Progress“ von Strawinsky), die ja — wenn wir unseren Kulturpessimisten glauben wollten — aller Schönheit und Anmut abgeschworen haben ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung