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Richter, Giulini

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Im vorletzten Jahr seines Lebens schrieb Felix Mendelssohn-Bartholdy sein zweites großes Oratorium, den „Elias“, nach Worten des Alten Testaments. Und zwar komponierte er es für das Musikfest von Birmingham, wo man ihn besonders schätzte und das er liebte. Hier also fand 1846 vor 3000 Zuhörern die Uraufführung statt, bei der außer den vier bzw. acht Solisten ein 125-Mann- Orchester und ein mehr als 300 Sänger umfassender Chor mitwirkten. Es wurde ein Riesenerfolg, aber der Komponist war mit seinem Werk nicht ganz zufrieden und unterzog es, bevor es im Frühjahr 1847 sechsmal in London aufgeführt wurde, einer gründlichen Revision. Am 9. Mai kehrte er aus England zurück, und am 4. November starb er, erst 38 Jahre alt, in Leipzig (näheres in dem ausgezeichneten Buch „Die Mendelssohns“ von Herbert Kupferberg). Am vergangenen Wochenende wurde das umfangreiche Werk unter der Leitung von Karl Richter zweimal im Großen Musikvereinssaal aufgeführt. Zweierlei wurde beim Anhören deutlich: einerseits die bewußte Anknüpfung an Bachs Oratorien (jedoch weniger fühlbar als im „Paulus“) und die Begabung des verhinderten Opernkomponisten, der nach einem mißlungenen Jugendversuch an die „Belagerung von Calais“ und sogar an die „Nibelungen“ als Opernsujet dachte. „Elias“ ist ein überaus wirkungsvolles Werk, mit großen dramatischen Soli, virtuosen Chorsätzen und einem farbigen Orchester nebst Orgel. So hervorragend und intensiv interpretiert, wie durch Karl Richter und mit so hervorragenden Solisten wie Heather Harper, Marga Höffgen, Peter Schreier und Theo Adam kann es seine Wirkung nicht verfehlen (man bedauert nur, daß der ausgezeichnete Tenor so selten beschäftigt ist; aber dafür hat der Träger der Titelpartie eine „Bombenrolle“). Im sorgfältig einstudierten Singverein besitzt die Gesellschaft der Musikfreunde ein überaus kostbares (und für die Veranstalter billiges) Instrument, dessen Klangschönheit, Präzision und Reinheit der Intonation kaum übertroffen werden können. Auch die Mitwirkung der Wiener Sängerknaben sei nicht vergessen.

Ein wenig post festum (infolge eines Manuskriptverlustes) erscheint erst heute die Besprechung des 1. Konzertes im Wiener Symphoniker-Zyklus, die eigentlich an der Spitze der Musikberichte der vorigen Woche hätte stehen sollen. Denn um Spitzenleistungen in mehrfacher Hinsicht handelte sich’s an diesem Abend. Da war zunächst das Programm, eingeleitet durch drei Blä- serkanzonen des 1613 verstorbenen Giovanni Gabrieli, der, wie sein Onkel Andrea, Organist in San Marco war und als „Erfinder“ der vokalen und instrumentalen Mehrchörigkeit gelten kann. — Hierauf folgte, einfühlsam und zurückhaltend begleitet, das letzte Eliavierkonzert von Mozart, (in B-Dur), von Clifford Cur- zon musikalisch wie technisch gleichermaßen vorbildlich gespielt. Den krönenden Abschluß bildete Schuberts Es-Dur-Messe, ebenfalls — in ihrem Genre — ein Abschieds werk. Der Singverein nebst Sängerknaben vereinte Wärme mit Reinheit der Intonation. Die Solisten Elly Ameling, Margerita Lilowa, Jan Patridge, Werner Krenn und Manfred Schenk bildeten ein ideales Vokalquintett. — Zuletzt sei derjenige genannt, der ein besonders feines Einfühlungsvermögen nicht nur in Mozarts Geisteswelt, sondern auch in die stilistische Eigenart der Schubert-Messe bewies und sie klanglich und ausdrucksmäßig genau dort ansiedelte, wo ihr musikhistorischer Platz ist: zwischen Beethovens „Missa solemnis“ und Bruckners großen Messen. — Mit diesem Konzert, seinem Programm und der Ausführung, erwies sich erneut, was für eine glückliche Wahl man getroffen hatte, als Carlo Maria Giulini, dieser feine und auf Details wie auf die große Linie ebenso bedachte Musiker, als künstlerischer Leiter der Symphoniker berufen wurde. (Das besprochene Konzert wird am 26. Dezember um 11 Uhr vormittag in ö 1 gesendet).

H. A. F.

Die Doyenne des Burgtheaters, Hofschauspielerin Rosa Albach- Retty, wird am 26. Dezember 100 Jahre alt. Ein unfaßbares Jubiläum für alle, die sie kennen, und für alle, die sie vielleicht kürzlich am Fernsehschirm erlebt haben, als sie in ungebrochener Frische und Natürlichkeit mit ihrem Interviewer plauderte und alle Fragen (auch heikle) entweder glänzend parierte oder mit der Noblesse einer wahren Grande Dame einfach nicht zur Kenntnis nahm. — Als die in Hessen geborene Tochter eines Schauspielerehepaares 1903 ans Burgtheater kam (Stationen davor: Deutsches Theater und Les- sing-Theater Berlin, Deutsches Volkstheater Wien) waren Josef Kainz und Hugo Thimig ihre Partner, Stella Hohenfels und Lotte Me- delsky ihre Kolleginnen. Sie begann als jugendliche Naive (größte Erfolge am Volkstheater: der „Kleine Lord“ und die Käthi in „Alt-Heidelberg“, am Burgtheater die Rahel in der „Jüdin von Toledo“) und bewältigte später nahtlos den Übergang ins ältere Fach („Königin Christine“, Amme in „Romeo und Julia“, Herzogin von Marlborough im „Glas Wasser“). Die Charakterkomik war ihre Stärke, aber sie ist auch oft über dieses Fach hinausgegangen: noch heute freut sie sich besonders darüber, daß sie mit ihrer Aase in „Peer Gynt“ so überzeugen konnte, obwohl manche ihr die Rolle nicht zugetraut hatten. 1958 nahm sie mit der „Sonderbaren Dame“ Abschied von der Bühne. — In glücklicher Ehe mit dem Offizier und späteren Rechtsanwalt Dr. Karl Albach verheiratet, stand sie auch mit ihrem Sohn Wolf noch auf der Bühne („Komtesse Mizzi“), bevor er sich seiner spektakulären Filmlaufbahn zuwandte. Heute verfolgt sie mit großem Interesse die Karriere ihrer Enkelin Romy Schneider. — Für vier Generationen von Wiener Theaterfreunden war „die Rosi“ die strahlende und charmante Verkörperung der Muse des Theaters, der heiteren wie der ernsten. Das Glück, die Erfolge, die zahllosen Ehrungen und Auszeichnungen, aber auch den Schmerz, Gatten und Sohn verlieren zu müssen, all das hat sie aufgenommen und ist dabei sie selber geblieben. „Ich bin eine Frohnatur und das will ich bleiben bis zu meinem Ende“, sagt sie von sich heute. Diesem Wunsch wollen wir uns von ganzem Herzen anschließen — für die nächsten 100 Jahre.

URSULA TAMUSSINO

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