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Meistersinger und Gurrelieder

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Die. Wiener Musikfestwochen wurden am vergangenen Samstag und Sonntag dreimal eröffnet: auf dem Rathausplatz, im Großen Konzerthaussaal (mit einem Konzert der Philharmoniker unter Doktor Karl Böhm, der die Haffner-Symphonie, Mozarts Violinkonzert D-dur und „Ein Heldenleben“ von Strauss dirigierte) und in der Staatsoper. Hier gab man, als Neueinstudierung, Wagners „M e i- stersingör“. Doch — hier stock’ ich schon. Denn das Programmheft der Staatsoper bezeichnet in einer „kleinen Ghronik“ diese Aufführung als „Neuinszenierung“, und zwar als zehnte seit 1870. Das wäre ein passender Anlaß gewesen, ein Jubiläum, sozusagen, um eine wirkliche Neuinszenierung zu veranstalten, zumal die letzte von 1955, unter der Spielleitung Herbert Grafs, anläßlich des Opernfestes, wenig festlich war. Und von ihr hat man, unverändert — mit Ausnahme des letzten Bildes — die Kulissen und Kostüme Robert Kautskys übernommen. (Etwas Einfalls- und Stimmungsloseres hat dieser talentierte und routinierte:; Künstler Wohl . selten "geliefert.)

Lediglich ‘ äie’’ilaus Latten gefügten Aus-

sichtstürme auf der Festwiese hat man entfernt und alles „zu ebener Erde“ arrangiert; aber die Aufzüge, Tänze und Gruppierungen waren so unklar gegliedert, daß der Gesamteindruck dementsprechend wirr und unfesdich war. — Auch bei den Dirigenten setzte sich die Pechsträhne von 1955 fort: dem damals recht umstrittenen Fritz Reiner aus Ghikago folgte nun, am vergangenen Samstag, Heinz Wallberg. — Ein ganz tüchtiger Mann, gewiß, und ein sauberer Taktierer, aber für das Feine und Hintergründige, das diese Musik von einer deutschtümelnden Oper unterscheidet, eben nicht fein und differenziert genug. Wesentlich besser stand es um die Besetzung, sowohl der Haupt- als der Nebenpartien; Otto Wiener als Hans Sachs, Hans Hotter als Pogner, Karl D ö n c h als Beckmesser, Heinrich I m- d a h 1 als Kothner, Wolfgang Windgassen als Stolzing und Murray Dickie als David. Problematischer die beiden Frauenrollen. Lisa Deila Casa meidet zwar erfreulicherweise das kleinbürgerliche Klischee und stattet die Gestalt der keineswegs naiven Eva mit zahlreichen, durchaus gerechtfertigten Schattierungen aus, aber ihre Stimme haben wir schon schöner gehört. Und Jean Madeira als südländisch-ungebärdige

Magdalena kann man wohl nur als Fehlbesetzung bezeichnen. Festwochenformat hatte nur der Beifall, der zwar den Leistungen der männlichen Hauptrollenträger angemessen war, mit dem das Publikum aber eher bewies, daß es sich die großartige Musik Wagners um keinen Preis verleiden lassen wollte.

Wollte man auf Grund der ersten Veranstaltungen eine Prognose der Wiener Musikfestwochen wagen, so könnte man sagen, daß sie sich zwischen extremem Gelingen und Mißlingen abspielen werden. Nach den durchaus unfestlichen „Meistersingern“ folgte am übernächsten Abend in der Wiener Stadthalle eine Aufführung von Schönbergs „Gurreliedern", die in der Chronik dieses merkwürdigen Werkes einen Ehrenplatz einnehmen wird. Zunächst der äußere Rahmen und das „Aufgebot“. Die rund 14.ppo Pmotien. fassende Stqdthglle war durch .■ Vorhänge in einen Kqnzertsaal für. etwa .3Q00 .Perso®eiv.das. Podium in eine gut reflektierende hölzerne Muschel verwandelt. — Auf dieser „Bühne" befanden sich 450 Choristen, 150 Orchestermusiker Sowie fünf Gesangssolisten, der, Sprecher und der Dirigent. Schönbergs Werk erfordert nämlich den größten, uns bekannten Aufführungsapparat. Zu den 50 Bläsern tritt ein mächtiger Streicherchor mit zehnfach geteilten Geigen und achtfach geteilten Bratschen und Celli. Der große gemischte Chor ist achtstimmig, der Männerchor dreigeteilt. Diesem Massenaufgebot versagen sich normale Konzertsäle, und daher war die kostspielige Aufführung in der Stadthalle gerechtfertigt. Wer das Riesenwerk öfter gehört hat, wird zugeben müssen, daß trotz einer gewissen klanglichen Verfremdung die

„Gurrelieder“ noch nie so klar erklungen sind.

Ob die musikalische Substanz diesen Riesenaufwand voll und ganz rechtfertigt, ist eine andere Frage. Auf jeden Fall handelt es sich um ein Werk von hohem musikhistorischem Interesse, das uns Schönberg, einen der Väter der zeitgenössischen Musik, in seiner ersten, noch ganz der Romantik, speziell der Chromatik Wagners verpflichteten Phase zeigt.’ Auch zu den Monumentalwerken von Pfitzner, Mahler und Richard Strauss ergeben sich erstaunliche Parallelen, in dem wunderschönen Vorspiel, welches das Heraufziehen der Abenddämmerung malt, ist der Einfluß Debussys unüberhörbar.

Schönberg begann die Komposition der Dichtung von Jens Peter Jacobsen (in der Übertragung von R. F. Arnold) im Jahre 1900, und bereits im Jahr darauf war die Vertonung beendet. Die mehrfach unterbrochene Arbeit an der Partitur zog sich bis zum Jahre 1911. Die denkwürdige Uraufführung unter Schreker am 23. Februar 1913 im Großen Musikvereinssaal brachte Schönberg einen großen — für lange Jahre den letzten — Publiknms- erfolg. Dieser war damals, mit dem hochromantischen Text Jacobsens und dem hypertrophen Aufführungsapparat, leichter zu erzielen als heute, da man sowohl vom einen wie vom anderen sich entfernt hat. Auf Grund einer nordischen Sage erzählt der Niels-Lhyne-Dichter von König Waldemar (Volmer), der das schöne Mädchen Tove Lille (die kleine Taube) liebt, die auf Schloß Gurre in Seeland lebt. Nachdem die eifersüchtige Königin Hel- wig das Mädchen töten ließ, hadert Waldemar mit Gott und jagt (ein zweites Sagenmotiv) mit seinen Mannen in wilder Jagd allnächtlich von Vordingborg nach Gurre.

Diese Flandlung bietet den Stoff für schwelgerische Liebesgesänge, poetische Naturschilderungen, bizarre Tonmalereien (des Totenheeres, im Solo des Klaus-Narr und des Sprechers) sowie rüde Mapnen- chöre. Der Klangpracht des das Werk beschließenden Sonnenhymnus kann man sich ebensowenig entziehen wie dem Dämmerzauber des Vorspiels und den lyrischen Episoden. Durch seine kühnen Klangmalereien und die reiche Polyphonie weist die zwar in der Romantik verwurzelte Sprache Schönbergs auch in die Zukunft.

Singakademie, Singverein, Österreichischer Kammerchor und Wiener Symphoni- ‘Teer“ stnndeii unter der2piii(tn “wff!AfiW ;D p. r a 11, ‘ der

‘‘gründiiefi’1 sflädiert (ttiMv nflßälleF ! wün-: sehenswerten Klarheit zum Klingen gebracht hat. Während der etwa zweistündigen Aufführung gab es keinerlei Unsicherheit und Differenzen, weder im Orchester, im Chor noch mit den hervorragenden Solisten, von denen an erster Stelle der schöntimbrierte, guttragende Tenor von James McCracken genannt werden muß. In den übrigen Partien: Teresa Stich- Randall, Martha Deisen (mit erstaunlichem Umfang und gleichfalls hervorragend schönem Timbre), Murray Dickie, Deszö Ernster und Albin Skoda als Sprecher. Lebhafter und langanhaltender Beifall des mehr Oäf 2500 Personen umfassenden Auditoriums.

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