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Auf dem Wege zur Vollendung

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Innerhalb der Werkreihe eines Künstlers erscheinen uns jene Schöpfungen als die vollendetsten und gültigsten, in denen sich der Eigenstil des Meisters am deutlichsten ausprägt und deren Stoff seiner besonderen Begabung am meisten entspricht.. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, rangieren die • drei ersten Neuinszenierungen unserer Staatsoper in der umgekehrten Reihenfolge ihrer Aufführung: Don Giovanni, Rosen-' kavalier und Tannhäuser.

Der Schritt — der Fortschritt auf dem Wege zum Musikdrama — von „Rienzi“ zn „Tannhäuser“ ist sicher bedeutend. Aber weit größer ist der Abstand zum übernächsten Werke Wagners, dem „Tristan“, in dem sich Wagners Genius am vollkommensten verwirklicht, in welchem sein Eigen-stä am entschiedensten ausgeprägt ist und dessen Stoff für Wagner — nicht nur in jener leidvoll-bewegten Epoche seines Lebens — de(r gemäßeste war. Im „T a n n h ä u s e r“ gelingt Wagner zum ersten Male jene Synthese von mittelalterlich-historischem Milieu, Lokalsage und Wunderglaube, die so charakteristisch für die romantische und nachromantische Oper ist. Freilich handelt es sich hiebei um jene konventionelle „romantische Gotik“ — ein wenig allzu edel, allzu ritterlich und sentimental —, die auch den Stil der Nazarener und Schinkels, eines Gustav Freytag oder Felix Dahn bestimmt.

Trotz des sehr deutlich spürbaren Bestrebens nach Einheit der Handlung und der musikalischen Atmosphäre treten die Elemente der alten Nummern-Oper — noch mehr die der damaligen „großen“ französischen und italienischen Oper — deutlich, zutage: große Soloarien, schwungvolle Duette, Priere und Marche celebre feiern fröhliche Urständ, sind aber — und das ist der Unterschied zu früher, der Fortschritt — dem Ganzen sehr geschickt, fast organisch einverleibt.

Die Staatsoper in der Volksoper hatte sich für die ursprüngliche, die Dresdener Fassung des Werkes entschieden. ' Sie ist kühler, spröder, ungelenker als die spätere Pariser Bearbeitung, aber darum nicht weniger reizvoll und interessant. Auf dieser Linie der Mäßigung, der Dämpfung, ja einer gewissen Nüchternheit lag auch die musika lische Interpretation durch Felix von Prohaska. Für den mangelnden Schwung einzelner Stellen entschädigte eine mustergültige Sauberkeit und Exaktheit, eine Durchsichtigkeit und Klarheit des Orchesterklanges, die allen jenen Freude machte, denen orchestraler Schwulst weniger behagt. Herbert Alsen, Max Lorenz, Paul Schöffler, Hilde und Anni Konetzni in den Hauptrollen bildeten ein darstellerisch und stimmlich glänzendes Ensemble. In der gesamten Aufführung aber war die geübte und energische Hand des Meisterregisseurs Doktor Lothar Wallerstein zu spüren, der auch Szenen, die für unser heutiges Gefühl kaum mehr erträglich sind (so die pseudobacchantische Venusbergepisode mit ihrem wilhelminischen Trompetengeschmetter und Beckengerassel) so geschmackvoll wie möglich gestaltete.

Eine Reihe bedeutender und schöner Opernwerke steht als das Ergebnis der jahrzehntelangen künstlerischen Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen Strauß und Hofmannsthal vor uns. Der „Rose n-kavalier“ scheint uns das glücklichste Produkt dieser Künstlerehe zu sein. Hier — wie im „Schwierigen“ — verzichtet Hofmannsthal einmal auf die Darstellung schwieriger menschlicher und metaphysischer Probleme. Nur an den dramatischen Brennpunkten schimmern sie durch. Sonst aber herrscht in dieser „Komödie für Musik“ ein fröhliches Treiben und ergötzliches Qui-proquo, unterbrochen von Dialogen voll feiner Melancholie und zarter Nachdenklichkeit. Das “Ganze im Stil des 18. Jahrhunderts — klingendes Rokoko, zierlicher Tand und glitzernd-buntes Beiwerk. Hier war Richard Strauß zu Hause; dazu konnte er Musik machen — ohne sich in symbolische Gestalten und Vorgänge zu vertiefen, ohne einen künstlich angemessenen Stil suchen zu müssen. Dazu kommt noch ein anderes: dem Bajuvaren Strauß war der Walzer und die mundartliche Färbung der Sprache fast ebenso vertraut, wie dem Wiener Textdichter. Und so entstand ein Werk, bei dem Wort und Ton, künstlerische Persönlichkeit und Stoff eine überaus glückliche Synthese eingegangen sind. —

Hat man die alte klassische Besetzung des „Rosenkavalicrs“ (Lotte Lehmann, Richard Mayr, Adele Kern) noch vor dem geistigen Auge und im Ohr, so will uns das Ensemble der Staatsoper noch nicht als würdige Nachfolge, als gültige Ablösung erscheinen. Das Darstellerische ist — gerade in diesem Werk

— vom Stimmlichen nicht zu trennen. (Hierüber kann in dem schönen Briefwechsel zwischen Strauß und Hofmannsthal nachgelesen werden.) Als gute Leistungen seien, neben den in allen Rollen bewährten Kräften der Staatsoper, die zweier jüngerer Künstlerinnen hervorgehoben: Dagmar Hermann (Öktavian) und Elisabeth R u t g e rs (Sophie). Alfred Jerger hat das Werk recht geschmackvoll inszeniert und versuchte, einen schwachen Abglanz der prachtvollen Livreen der Werdenberg, Rofrano und Faninal der früheren „Rosen-kavalier“-Inszenierungen herüberzuretten.

Kennt man die Tendenz des polyphonen Strauß-Orchesters, die Singstimmen fast restlos zuzudecken, und berücksichtigt man die außerordentlichen akustischen Schwierigkeiten des Theaters an der Wien, dann weiß man Geschick und Verdienst des Dirigenten Rudolf Moralt besonders zu würdigen. Trotz der dynamischen Differenzierung der einzelnen Orchesterstimmen in der Partitur

— die, genau eingehalten, ein ungefähr richtiges Klangbild ergeben — bleibt für den Dirigenten des „Rosenkavaliers“ noch immer viel zu tun. Rudolf Moralt hat nicht nur den für Strauß erforderlichen Klangsinn, sondern auch die federnde, nie erlahmende Kraft, dem Straußschen Rhthmus zu folgen, der kaum einmal länger als zwei Minuten der gleiche bleibt. Überflüssig, darauf zu verweisen, daß Moralt seine Intentionen — besser als mit jedem anderen Orchester — mit den Philharmonikern zu verwirklichen vermag.

Die Einheit: künstlerische Persönlichkeit, Stoff und musikalische Ausdrucksmittel ist im „D o n Giovanni“ so vollkommen, daß sie wie selbstverständlich wirkt. Ich glaube, daß nicht nur wir heute diese Einheit wie ein Wunder der Natur empfinden, sondern daß sie auch schon zu Mozarts Lebzeiten gespürt und anerkannt wurde. Das dramma gioecoso da Pontes ist ein ausgezeichnetes Textbuch, das von Mozarts Musik in eine Sphäre gehoben wird, in der die Grenzen zwischen Spiel und Ernst verschwimmen, wo das Komische plötzlich in tragischem Licht erscheint und auf das Ernsteste ein heiter-versöhnlicher Glanz fällt. Dies zu verwirklichen, ohne ständig“ die Register wechseln zu müssen, ist — neben vielen anderen Schwierigkeiten — das Hauptproblem für den Regisseur und jeden einzelnen Darsteller. Der Kapellmeister hat es leichter: er dirigiert eben Mozart-Musik, die „Don Juan“-Partitur. Professor Krips tat es vorbildlich. Er ist ein ausgezeichneter Opernkapellmeister, dem nicht nur die dramatischen Partien und die starken Akzente, sondern auch die lyrischen und rhythmisch beschwingten vorzüglich gelangen.

Ein solches ;-Iegi Juan“-Ilasvi'“!c von Schauspielern und Sängern hat heute wohl keine Opernbühne der Welt aufzuweisen. Wenn wir aus der Reihe der Hauptrollenträger (Paul Schöffler, Ludwig Weber, Ljuba Welitsch, Anton Dermota, Esther Rethy, Erich Kunz, Irmgard Seefried und Alfred Poell) den Titelhelden besonders hervorheben, so deshalb, weil es hier eine einmalige stimmliche, schauspielerische und gesamtkünstlerische Leistung zu bewundern gilt. Fast beängstigend war die Ähnlichkeit — Zug um Zug — mit dem berühmten Bilde Max Sfevogts, das den großen d'Andrade als Don Juan darstellt. Weniger glücklich war das Bühnenbild: zu massig und zu monumental für den Stil der Musik, den Stoff und die Zeit; das Lokalkolorit fehlte fast ganz und spiegelte sich nur in den Kostümen. Schinkel in Spanien — das geht schlecht zusammen. Auch die Bewegungen des Chores und einzelner Schauspieler hätte man sich gern etwas lebhafter gewünscht, mehr vom Geist der Musik inspiriert. Zur statuarischen Händel-Oper war manchmal nur ein Schritt und der Abstand zur Buffa zu groß. Trotz dieser Einwände, welche die Gesamtleistung nicht berühren können: eine : glanzvolle Aufführung, die unser Operntheater wieder an die erste Stelle rückt. Das Orchester musizierte vorzüglich.

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