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Musik an der Jahreswende

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Ist mit den beiden Aufführungen von Beethovens IX. Symphonie durch die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Erich Leinsdorf eine „neue Tradition“ begründet worden? Wir möchten es sehr hoffen und wünschen, und der Erfolg — ein zweimal ausverkaufter Großer Konzerthaussaal — spricht dafür. Dem Generalsekretär Peter Weiser ist da jedenfalls etwas ebenso Gutes wie Naheliegendes für Wien eingefallen — aber es muß halt jemand drauf kommen! Denn es gibt sicher viele, die den Übergang vom alten ins neue Jahr gern mit „ernster Musik“ begehen, besonders vielleicht gerade mit diesem Werk, zumal sie wahrscheinlich schon mehrmals an einem der beiden Abende oder am Neujahrs vormittag bei den Philharmonikern oder in der „Fledermaus“, also bei Johann Strauß, zu Gast waren.

Doch mit der Idee allein wäre es nicht getan gewesen. Auch die Ausführung dieses immer wieder höchste Ansprüche an alle Beteiligten stellenden Werkes war vorbildlich. Da ist zunächst der 1912 geborene Wiener Erich Leinsdorf, ein viel in der Welt herumgekommener Mann, überall geschätzt, und zwar nicht nur als Musiker, sondern auch als Mensch. Nach seiner Ausbildung an der Wiener Musikakademie war er Assistent von Bruno Walter und Toscanini, von 1939 bis 1943 betreute er die gesamte „deutsche Saison“ an der Met, war Orchesterchef in Cleveland und Rochester, vorübergehend Intendant der Met, zuletzt Direktor des Boston Philharmonie Orchestra.

In Wien sah man Leinsdorf allzu selten am Pult, und so mag es dieser kluge und sensible Musiker auch als eine besondere Ehre aufgefaßt haben, daß man ihn als ersten zu diesen beiden Konzerten eingeladen hat. — Wer aber zu danken hat, das sind wir. Ich meine: sowohl die Ausführenden, mit denen er in offensichtlich bestem Einvernehmen musizierte, wie auch das Publikum. Die Symphoniker gaben ihr Bestes, im Ganzen und im Detail, desgleichen der von Friedrich Lessky einstudierte große Chor der Singakademie und die Solisten Sona Gharzarian, Anna Reynolds, Werner Hollweg und Siegmund Nimsgern, denen alles (auch die exponiertesten Töne) makellos geriet. Und Leinsdorf ist so ganz und gar kein Showdirigent. Aber er hat ein überaus genaues und äinleuchtendes Konzept von jedem einzelnen Satz, jeder Phrase, jeder Farbe — und ein untrügliches Gefühl für richtige Tempi daß er die bestens bewährte Gesamtdauer von 70 Minuten sozusagen auf die Sekunde genau einhielt, sei nur nebenbei vermerkt). - Also: Auf die neue Tradition! Entweder mit dem gleichen Werk oder einem anderen. *

Im Silvester- und Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker wurde alles wieder gutgemacht, was man im Johann-Strauß-Jahr 1975 oft nur mit teilweisem Gelingen „probiert“ hatte. Von der Auswahl bis zur Aufführung war alles blendend gelungen. Hier kann man einmal wirklich von einem „Sound“ des Orchesters sprechen, welcher der Musik der Strauß-Dynastie vollkommen entspricht. Ein kurzer erster Teil mit nur fünf Nummern — und ein längerer zweiter. In beiden gab es mehr Polkas als Walzer, und Willi Boskovsky wird wissen, warum er das so macht. — Für die Piecen aus — und damit Hinweise auf — drei so gut wie unbekannten Strauß-Operetten sind wir dankbar („Prinz Methusalem“, „Blindekuh“ und „Fürstin Ninette“).

Sehr erfreulich der Verzicht auf allerlei Spaße bei der Fernsehüber-tragung und die ebenso sparsame wie noble Einsetzung des Opernballetts in dem prächtigen Zeremoniensaal der Hofburg und im Foyer der Staatsoper. Das bietet immer wieder eine willkommene Auflockerung der immerhin schon seit 1941 veranstalteten, von Clemens Kraus initiierten Neujahrskonzerte.

Wie so oft erweist sich das gute Alte zugleich auch als das denkbar Beste. Das trifft voll und ganz auf die „Fledermaus“ der Staatsoper zu, die man in der Inszenierung Leopold Lindtbergs aus dem Jahre 1960 mit den Bühnenbildern Theo Ottos und den Kostümen Erni Knieperts gab (damals war Jeanine Charrat die Choreographin, heuer sahen wir die Ballettriege von Orlikowsky). — Bei den Sänger-Schauspielern war man besonders natürlich auf den Frosch bzw. das Froscherl oder Fröscherl Heinz Rühmanns gespannt, der alle entzückte. Aber auch sämtliche Haupt- und Nebenpartien waren gut besetzt: Rudolf Schock als Eisenstein, Wilma Lipp — Rosalinde, Erich Kunz — Gefängnisdirektor, Christa Ludwig — Orlofsky, die sich, ebenso wie Hilda de Groote, in glänzender stimmlicher Verfassung erwies. Alfred war Hans Beirer, der Notar Hans Helm, die Ida — Susanne Kirnbauer. — Damals, bei der Neuinszenierung zu Silvester 1960, stand Karajan am Pult, diesmal war es Henry Krips. — In der Zwischenzeit hat Hans Bauer-Theussl das immer wieder bezaubernde Werk am häufigsten betreut... H.M.

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