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Staatsoperette in der Volksoper

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Der Artikel „Die Zukunft der Volksoper“, der Anfang Oktober in der „Oesterrei- chischen Furche“ erschien, und die unmittelbar darauf erfolgte Erklärung des Herrn Unterrichtsministers vor dem auf der Bühne des Hauses versammelten Personal überraschten- die Freunde dieses Theaters. Sein Schicksal schien, wie das des Theaters an der Wien, mit der Wiedereröffnung der Staatsoper besiegelt zu sein. Die Stadt Wien, der das „Kaiser - Jubiläums - Stadttheater“, die spätere „Volksoper“, seit der Gründung im Jahre 1898 gehörte, wollte dieses Theater nicht wieder selbst betreiben, und der Bund konnte sich offenbar den Luxus eines zweiten Opernhauses nach der Eröffnung des Staatsopernhauses nicht mehr leisten. Nun aber hieß es, die Regierung wolle das von der Gemeinde gemietete Haus baulich restaurieren, sein großes Eigenpersonal beibehalten und dort weiterhin Operetten spielen lassen. Von der Spieloper, die ja eine Konkurrenz des Hauses am Opernring bedeuten würde, war nicht mehr die Rede; auch nicht davon, ob man in der erneuerten Staatsoper wieder einige Operetten geben werde. Aber es wurde angedeutet, daß man am Währinger Gürtel in der Saison 1955 56 nur versuchen wolle, den Betrieb weiterzuführen, d. h. zwar das Risiko der Restaurierung des Hauses und der Pensionierung der dann schon zehn Jahre dort dienenden Personen übernehmen möchte, nicht aber eine dauernde Verpflichtung zum Fortbetrieb eines dritten Staatstheaters. Die Volksoper sollte künftig etwa „Opera comique“ benannt werden, was aber in Paris nicht immer ein Haus für komische oder auch nur leichte Opern bedeutet, sondern eher eines für Opern mit gesprochenem Dialog oder mit Rezitativen im Gegensatz zur „Opera bouffe“ und zur „Grand Opera“. Für Wien wäre natürlich der Name „Komische Oper“ angemessener, den ja das abgebrannte Ringtheater ursprünglich getragen hat. Wenn aber doch vom Herbst 1955 an in der Volksoper nicht mehr Oper gespielt werden soll, dann wäre es ehrlicher, das Haus ein Operettentheater zu nennen. In München hat man es gewagt, von der „Staatsoperette“ zu reden, und es steht außer Frage, daß die „Staatsoper in der Volksoper“ seit 1945 darin Besseres geleistet hat als das Theater am Gärtnerplatz.

Damit kommen wir auf die Berechtigung eines aus öffentlichen Mitteln erhaltenen, oder richtiger: ausgehaltenen Operettentheaters zu sprechen. So wie zu allen Zeiten ein gutes Opernhaus, kann heuzutage auch ein gutes Operettentheater nicht mehr privat betrieben werden. Ausnahmen von dieser Regel bilden das Gilbert- und Sullivan- Ensemble des Londoner Verlags D’Oyly Carte, der bis 1961 ein Monopol auf die „Comic operas“ dieser Autoren hat, und die amerikanischen „Musicals“, die in New York und in London jahrelang en suite gespielt werden.

Daß die Volksoper ein gutes, ja wohl das beste Operettentheater geworden ist, war nicht einem weitschauenden Plan zu danken, sondern dem Zusammentreffen von Umständen, die ideale Besetzungen ermöglichten. Was im Frühjahr 1945 noch dort gewesen ist, bildete den kleinen Grundstock für Orchester, Chor und Bühnenpersonal, der aber von den Bundestheatern, besonders der Staatsoper, entscheidend vermehrt, verbessert und erneuert worden ist. Direktor und Kapellmeister kamen von dort, und Gastregisseure hervorragenden Ranges, Dekorateure und Bühnenarbeiter mit alter Tradition sowie begabte Solisten aus beiden Bundestheatern ergänzten eine Handvoll echter Operettenkünstler zu einem Ensemble, das manchmal Ausgezeichnetes, immer Sehenswertes leistete. Was die „Staatsoper in der Volksoper“ von anderen Operettenbühnen, auch denen in den besten Zeiten Wiens, unterschied, war die hohe Musikalität der meisten Solisten, des Chors, des Balletts und des Orchesters. Regie und Ausstattung waren glänzend, Einrichtung und Bearbeitung der Libretti und Partituren meist sorgfältig vorbereitet, und mit Proben wurde nicht gespart. Allerdings auch nicht mit Honoraren, mit der Garantie einer großen Zahl von Auftrittsabenden und mit anderen Privilegien für die „Prominenten“. Das Budget dieses Hauses hat zwar nicht 18 Millionen betragen, wie eine Wiener Tageszeitung neulich schrieb, aber immerhin bei 12 Millionen, wovon kaum mehr als die Hälfte wieder hereinkam. Das sind jedoch Verluste, die sich anderswie bezahlt machen, und die Pflege der veredelten Operette ist in Wien gewiß der Mühe und des Geldes wert.

Freilich darf man nicht glauben, daß wir die Kunst der Operette „gepachtet“ haben. Die Franzosen haben eine ältere Tradition, und die Engländer haben Großes darin geleistet. Die Blütezeit der naiven Wiener Operette war zweifellos die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts; die mehr sentimentale des 20. aber schien Karl Kraus, einem echten Liebhaber dieses Genres, und scheint vielen Kennern einen Verfall zu bedeuten, mit Aus- rfthme ganz weniger Werke. Auch in Paris hat sich ja die Operette in unserer Zeit nicht mehr entwickelt. Wer imstande ist, die Perioden der Künste in den Ländern Europas zu überblicken, der weiß, daß jede nationale Kultur nur in einer Kunstgattung Höchstleistungen vollbringen kann und das nur während eines begrenzten Zeitabschnittes. Zu glauben, daß Offenbach, Sullivan und Johann Strauß in ihren Ländern Nachfolger haben müßten, ist ebenso weltfremd wie ein Preisausschreiben für gute Libretti in der Erwartung, damit gute Operetten hervorzubringen.

Im Grunde muß also das veredelte Operettentheater, wie die große Oper, m i t historisch gewordenen Werken arbeiten. So wie das Repertoire der Opernhäuser zum größten Teil aus Werken des 18. und 19. Jahrhunderts besteht, so wird das aus öffentlichen Mitteln gespeiste Operettenhaus sich im wesentlichen auf die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts beschränken müssen, auf das, was man jetzt etwas vage die klassische Operette nennt.

Die Volksoper, deren Fortbestand ja trotz aller Erfolge in den letzten neun Jahren ungesichert war, hatte nie den Mut, ihr Repertoire zielbewußt auszubauen. Noch manche gute österreichische Operette ist wieder zu erwecken, viel mehr aber aus dem großen Reservoir der Franzosen zu schöpfen.

Von den ausgezeichneten „M u s i c a 1 s“ der Amerikaner darf man sich für die Volksoper leider nichts versprechen. Schon vor Jahresfrist haben sich Freunde des Hauses darum bemüht, eines der höchst erfolgreichen Werke von Hammerstein und Rodgers, „Oklahoma“ oder „South Pacific“, für Wien zu bekommen. Das Schlußwort der umständlichen Korrespondenz war ein Brief des New- Yorker Anwalts der beiden Autoren: sie seien nicht daran interessiert. Diese Haltung ist wohl daraus zu erklären, daß Librettist und Komponist durch den jahrelangen Lauf jedes ihrer neueren Werke auf einer New- Yorker und dann einer Londoner Bühne, mit ihrem eigenen musterhaften Ensemble, so verwöhnt sind, daß ihnen an einer Ueber- setzung und an sporadischen Aufführungen einer kontinentalen Bühne nichts gelegen sein kann.

Während dieser Sachverhalt durch die Wahrsagereien eines vorlauten „Fachmanns“ für Operetten in einem Wiener Sender unberührt blieb, muß leider gesagt werden, daß die Verlautbarungen amtlicher Sellen nicht viel besser fundiert waren. Den Eingeweihten scheint es, daß die Volksoper, wenn sie im Herbst 1955 in neuem baulichen Glanz erstrahlen wird, folgendes Personal aufweisen dürfte: kein erfahrener Direktor, da der bisher waltende sich für ein ausschließlich der Operette gewidmetes Haus nicht zu interessieren scheint; kein kompetenter Kapellmeister, nachdem der bisher tätig gewesene erste Dirigent bereits ausgeschieden ist; keiner der beiden hervorragenden Regisseure, da der eine Burgtheaterdirektor geworden und der andere neben seinem Berliner Amt bereits an die Staatsoper verpflichtet ist; keiner der. beliebten Solisten vom Burgtheater und der Staatsoper, weil- die Gemeinschaft erloschen sein wird; auch kein Ballett mehr von der Staatsoper. Orchester und Chor könnten vielleicht in der bisherigen Qualität erhalten bleiben, obwohl z. B. ein oder der andere Konzertmeister von der Staatsoper fehlen wird. Aber wie die Handvoll Operettenkünstler, die der Verfall der Wiener Operette seit 1935 übriggelassen hat, zu einem Ensemble von Qualität erweitert werden soll, ist vorläufig nicht abzusehen. Hier versagt der wohlmeinende Rat der Freunde des Hauses, die die Staatsoperette in der Volksoper von Herzen gern zu erhalten wünschten.

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